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Was will Sanders?

NEW YORK – Wenn sich US-Senator Bernie Sanders selbst als „demokratischen Sozialisten“ bezeichnet, verwendet er diese Worte wahrscheinlich anders als viele andere Menschen. Sobald dies klar wird, könnte er von den Amerikanern mehr Unterstützung bekommen als bisher.

Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs „Sozialismus“ beinhaltet den öffentlichen Besitz der Produktionsmittel, oder, umgangssprachlicher, die Verstaatlichung von Unternehmen und Konzernen. Laut dieser Definition ein Sozialist zu sein wäre in der Tat ein Fehler: Zunächst einmal ist der Staat kein effizienter Verwalter. Und darüber hinaus hat sich gezeigt, dass dieses Modell des Sozialismus langfristig zu einer völlig anderen Gesellschaft führt, als es durch die Verstaatlichung eigentlich geplant war.

Die Erfahrungen der Sowjetunion zeigen, warum es ein Fehler ist, das gesamte Eigentum in der Hand des Staates zentralisieren und verwalten zu wollen. Früher oder später wird es dann nämlich von wenigen Einzelpersonen kontrolliert – auf dem Höhepunkt des Kommunismus von der Nomenklatur und nach seinem Zusammenbruch von den Oligarchen. Mit anderen Worten: Ironischerweise mündet die letzte Stufe des Sozialismus in eine kapitalistische Vetternwirtschaft.

Hört man Sanders allerdings aufmerksam zu, wird schnell klar, dass er einen sehr anderen „Sozialismus“ anstrebt – nämlich eine Variante des Nordischen Modells, die auf das 21. Jahrhundert ausgerichtet wird. In den nordischen Ländern geht es sehr viel gerechter zu als in den Vereinigten Staaten, und entgegen der allgemeinen Ansicht geben ihre Volkswirtschaften auch stärkere Aufstiegsmöglichkeiten. So hat eine arme Person in Dänemark eine viel größere Chance, auf der Einkommensleiter aufzusteigen, als im heutigen Amerika.

Dies hat Sanders immer betont, und schon seit langem setzt er sich aktiv für die Armen und die Unterdrückten ein. Er scheint ein wahrhaftig integrierender Charakter zu sein und hat sich wiederholt gegen die Diskriminierung aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung ausgesprochen, obwohl dies nicht immer populär ist. Man muss ihm zugute halten, dass er diese Botschaft nicht abgeschwächt hat, um dadurch beliebter zu werden.

Sanders sagt ganz klar, dass er so ist, wie er ist, und dass man ihn genau so ablehnen oder annehmen muss. Damit hat er die politische Arena um eine seltene moralische Stimme bereichert.

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Wir brauchen einen solchen Ansatz, weil das Ausmaß der Ungleichheit in der heutigen Welt untragbar geworden ist. Langfristig wird dadurch die Demokratie gefährdet, weil die Armen, wenn sie derart benachteiligt werden, keine Stimme haben können. Sanders’ wiederholte Kritik an der Ungleichheit bringt die Sache genau auf den Punkt. Tatsächlich ist er ein Sozialdemokrat und liegt damit näher bei seiner Senatorenkollegin Elizabeth Warren, einer seiner Gegnerinnen bei der demokratischen Präsidentschaftsnominierung, als es ihre rhetorischen Unterschiede vermuten lassen.

Die Herausforderungen für den nächsten US-Präsidenten sind erheblich: Donald Trumps Amtszeit hat nicht nur Amerika beschädigt, sondern angesichts der globalen Bedeutung des Landes auch den Rest der Erde. Wir leben heute in einer polarisierten Welt, in der das Schicksal der Ärmsten so hoffnungslos ist, wie es schon seit langer Zeit nicht mehr war. Und in ihrer Aussichtslosigkeit unterstützen diese Menschen häufig genau die Politiker, die sich am wenigsten um sie kümmern.

Eine Gesellschaft aufzubauen, die aktiv, wachstumsorientiert, demokratisch und gleichberechtigt ist, wird nicht leicht sein, da, wie Anand Giridharadas kürzlich in der New York Timesargumentierte, die Superreichen ein starkes Interesse daran haben, den Status Quo beizubehalten. Die Wirklichkeit ist komplexer als die Worte, die wir haben, um sie zu beschreiben. Dies birgt die Gefahr einer absichtlichen Verzerrung der Begriffe, die beispielsweise dann stattfindet, wenn jemand, der die extreme Ungleichheit lindern will, als Unterstützer des sowjetischen Kommunismus bezeichnet wird.

Darüber hinaus werden die Arbeitswelt und die Verteilung des Wohlstands durch Globalisierung und Robotik verändert – oder durch Globotik, wie es Richard Baldwin und Rikard Forslid prägnant ausdrücken. Wir bewegen uns innerhalb einer neuen Umgebung, und wir brauchen eine neue Politik, um uns darin zurechtzufinden. Beispielsweise werden traditionelle Maßnahmen wie Wettbewerbsgesetze immer weniger wirksam, da die konventionelle Lohnarbeit zurückgeht und sich das Einkommen zunehmend bei jenen sammelt, die Kapital oder Patente für neue Maschinen und Produkte besitzen.

Also müssen wir zugeben, dass wir nicht genau wissen, was die richtige Politik ist. Wir müssen intensiv mit neuen Maßnahmen experimentieren, und wer auch immer die amerikanische Präsidentschaft antritt, muss darauf vorbereitet sein, diese Maßnahmen anzupassen und, wenn nötig, den Kurs zu ändern. Angesichts dieser Umstände ist es wichtig, dass der Präsident nicht nur die Bereitschaft, sondern auch die nötige Intelligenz und Flexibilität mitbringt, um experimentieren und verändern zu können. Diese wichtige Fähigkeit haben mehrere der demokratischen Kandidaten (die wenigen Republikaner, die dies auch können, wurden durch Trumps Aufstieg marginalisiert), aber Sanders sticht in dieser Hinsicht heraus.

Ich glaube, Sanders wird nicht all seine Ziele für Amerika erreichen können. Schon aufgrund von Haushaltseinschränkungen wird dies unmöglich sein. Aber wenn er im November gewinnt und dann aus Erfahrung lernt, wird dies kein ernstes Problem sein. Selbst wenn er nur einen Teil seiner Ziele erreicht, ist dies ein Schritt in die richtige Richtung.

Kürzlich wurde berichtet, Sanders werde bei den demokratischen Vorwahlen von Russland unterstützt, und daraufhin haben sich einige demokratische Wähler von ihm abgewandt. Der russische Präsident Wladimir Putin, so hieß es, will, dass Trump gewinnt, und glaubt, dass ihm das gegen Sanders gelingt. Aber etwas Erfahrung mit Spieltheorie lässt darauf schließen, dass Putin diese Information selbst verbreitet haben könnte, da er weiß, dass Sanders der einzige Kandidat ist, der Trump besiegen kann. Indem er durchblicken lässt, er unterstütze Sanders, hofft Putin, der Senator aus Vermont verliere dadurch die Unterstützung der Demokraten. Und dies wäre für Trump eine gute Nachricht.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/8xywUzxde