rodrik176_ANDREW HARNIKPOOLAFP via Getty Images_pompeoUShuawei Andrew Harnik/Pool/AFP via Getty Images

Der kommende globale technologische Bruch

CAMBRIDGE – Unser derzeitiges internationales Handelssystem, das seinen Ausdruck in den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) und anderen Vereinbarungen findet, ist nicht von dieser Welt. Es war auf eine Welt der Autos, des Stahls und der Textilien ausgelegt, nicht der Daten, Software und künstlichen Intelligenz. Schon jetzt steht es durch Chinas Aufstieg und die Gegenreaktion auf die Hyper-Globalisierung schwer unter Druck, und zur Bewältigung der drei wichtigsten von diesen neuen Technologien ausgehenden Herausforderungen ist es völlig unzureichend.

Zunächst einmal sind da die Geopolitik und die nationale Sicherheit. Digitale Technologien erlauben es ausländischen Mächten, industrielle Netzwerke zu hacken, Cyberspionage zu begehen und die sozialen Medien zu manipulieren. So wurde Russland beschuldigt, es habe sich durch Websites mit „Fake News“ und Manipulation der sozialen Medien in die Wahlen in den USA und anderen westlichen Ländern eingemischt, und gegen das chinesische Großunternehmen Huawei hat die US-Regierung harte Maßnahmen eingeleitet, weil sie fürchtet, die Huaweis Verbindungen zur chinesischen Regierung würden seine Telekommunikationsausrüstung zur Sicherheitsbedrohung machen.

Zweitens sind da die Sorgen über den Datenschutz. Internetplattformen können enorme Mengen von Daten darüber erheben, was die Menschen online und offline tun, und einige Länder haben strengere Regeln als andere, was sie mit diesen Daten machen dürfen. Die Europäische Union etwa hat Bußgelder gegen Unternehmen verhängt, die die Daten der Einwohner von EU-Ländern nicht schützen.

Drittens ist da die Wirtschaft. Neue Technologien verschaffen Großunternehmen einen Wettbewerbsvorteil; diese können enorme weltweite Marktmacht anhäufen. Skalen-, Verbund- und Netzwerkeffekte bringen Alles-oder-nichts-Ergebnisse hervor, und merkantilistische Politiken und andere staatliche Praktiken können dazu führen, dass bestimmte Firmen unfair bevorteilt zu werden scheinen. So ermöglicht die staatliche Überwachung es chinesischen Unternehmen, enorme Datenmengen anzuhäufen, was diese wiederum in die Lage versetzt hat, den Weltmarkt für Gesichtserkennung zu beherrschen.

Eine gängige Reaktion auf diese Herausforderungen besteht in der Forderung nach größerer internationaler Koordination und globalen Regeln. Transnationale Zusammenarbeit im Bereich der Regulierung und Anti-Kartell-Maßnahmen könnten neue Standards und Durchsetzungsmechanismen hervorbringen. Selbst wenn ein wirklich globaler Ansatz nicht möglich ist – weil sich etwa autoritäre und demokratische Länder in der Frage der Privatsphäre zutiefst uneinig sind –, ist es nach wie vor möglich, dass die Demokratien untereinander zusammenarbeiten und gemeinsame Regeln entwickeln.

Die Vorteile gemeinsamer Regeln sind klar. Ohne sie schaffen Praktiken wie Datenlokalisierung, lokale Cloud-Anforderungen und Diskriminierung zugunsten nationaler Champions insofern wirtschaftliche Ineffizienzen, als sie die nationalen Märkte voneinander abgrenzen. Sie verringern die Vorteile durch den Handel und hindern Unternehmen daran, von Skaleneffekten zu profitieren. Und die Regierungen sehen sich der ständigen Gefahr ausgesetzt, dass ihre Regulierungsbemühungen durch Unternehmen untergraben werden, die von Rechtsräumen mit lascheren Regeln aus operieren.

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Doch sind in einer Welt, in der Länder unterschiedliche Präferenzen haben, globale Regeln – selbst dort, wo sie vorstellbar sind – im breiteren Sinne ineffizient. Jede globale Ordnung muss die Vorteile aus dem Handel (die maximiert werden, wenn die Regulierung vereinheitlicht wird) mit den Vorteilen aus regulatorischer Vielfalt (die maximiert werden, wenn es jeder nationalen Regierung völlig freisteht, zu tun, was sie will) ins Gleichgewicht bringen. Wenn sich die Hyper-Globalisierung bereits als etwas brüchig erwiesen hat, so liegt das u. a. daran, dass die Politiker die Vorteile aus dem Handel über die Vorteile aus regulatorischer Vielfalt gestellt haben. Diesen Fehler sollte man bei den neuen Technologien nicht wiederholen.

Tatsächlich unterscheiden sich die Prinzipien, die unser Denken in Bezug auf die neuen Technologien leiten sollten, nicht von denen für traditionelle Bereiche. Länder können eigene Regulierungsstandards entwickeln und ihre eigenen nationalen Sicherheitsanforderungen festlegen. Sie können tun, was nötig ist, um diese Standards und ihre nationale Sicherheit zu verteidigen – auch durch Handels- und Investitionsbeschränkungen. Sie haben jedoch kein Recht, ihre Standards zu internationalisieren und anderen Ländern ihre Regeln aufzuzwingen.

Man betrachte, wie diese Prinzipien auf Huawei Anwendung finden würden. Die US-Regierung hat Huawei am Erwerb amerikanischer Unternehmen gehindert, seine Geschäftstätigkeit in den USA eingeschränkt, Gerichtsverfahren gegen sein Chefmanagement eingeleitet, ausländische Regierungen unter Druck gesetzt, nicht mit Huawei zusammenzuarbeiten, und es zuletzt US-Unternehmen verboten, Chips an Huaweis Lieferkette überall auf der Welt zu verkaufen.

Es gibt kaum Hinweise darauf, dass Huawei Spionage im Auftrag der chinesischen Regierung betreibt. Doch das heißt nicht, dass es das auch künftig nicht tun wird. Westliche Technologieexperten, die Huaweis Code untersucht haben, waren nicht in der Lage, die Möglichkeit auszuschließen. Die Undurchsichtigkeit unternehmerischer Praktiken in China könnte Huaweis Verbindungen zur chinesischen Regierung durchaus verschleiern.

Von daher lässt sich plausibel argumentieren, dass die USA – oder ein beliebiges anderes Land – Huaweis Geschäftstätigkeit innerhalb ihrer Grenzen einschränken dürfen. Andere Länder, einschließlich Chinas, sind nicht in einer Position, diese Entscheidung nachträglich in Frage zu stellen.

Schwerer als das Verbot von Huaweis US-Tätigkeit lässt sich unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheit das Exportverbot gegenüber US-Unternehmen rechtfertigen. Wenn Huaweis Tätigkeit in Drittländern ein Sicherheitsrisiko für diese Länder darstellt, sind deren Regierungen am besten positioniert, um die Risiken zu bewerten und zu entscheiden, ob ein Tätigkeitsverbot angemessen ist.

Darüber hinaus hat das US-Verbot schwere wirtschaftliche Folgen für andere Länder. Es hat erhebliche negative Auswirkungen auf nationale Telekommunikationsanbieter wie BT, die Deutsche Telekom, Swisscom usw. in nicht weniger als 170 Ländern, die sich auf Huaweis Ausrüstung und Hardware stützen. Vielleicht am schwersten betroffen sind die armen Länder in Afrika, die in überwältigender Mehrzahl von der preiswerteren Ausrüstung des Unternehmens abhängig sind.

Verkürzt gesagt: Es steht den USA frei, Huawei den Zugang zu ihrem Markt zu versperren. Doch den US-Bemühungen zur Internationalisierung ihrer nationalen Maßnahmen gegen Huawei fehlt es an Legitimität.

Der Fall Huawei ist ein Vorbote einer Welt, in der nationale Sicherheit, Datenschutz und Wirtschaft in komplizierter Weise interagieren werden. Globale Steuerung und Multilateralismus werden häufig fehlschlagen, und zwar aus guten wie aus schlechten Gründen. Das Beste, was wir erwarten können, ist ein regulatorisches Flickwerk, das auf klaren Grundregeln beruht, die es Ländern erleichtern, ihre zentralen nationalen Interessen zu verfolgen, ohne ihre Probleme in andere Länder zu exportieren. Entweder wir entwerfen dieses Flickwerk selbst, oder wir werden zwangsläufig bei einer chaotischen, weniger effizienten und gefährlicheren Version davon landen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/CWWrEHQde