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Vergangene Zinssätze und künftiges Wachstum

NEW YORK – In der Geschichte globaler Zinssätze auf risikofreie Anlagen wurde ein neues Kapitel geschrieben. In einer aktuellen Untersuchung verfolgt Paul Schmelzing von der Bank von England die Entwicklung der globalen realen (inflationsbereinigten) Zinsen für den Zeitraum von 1311 bis 2018. Er stellt fest, dass die globalen Realzinsen auf sichere Anlagen trotz vorübergehender Stabilisierungen in den Phasen von 1550 bis 1640, 1820 bis 1850 und 1950 bis 1980 während der vergangenen fünf Jahrhunderte im Trend beharrlich gesunken sind und dass negative Realzinsen auf sichere Anlagen seit dem 14. Jahrhundert stetig häufiger geworden sind.

Angesichts dieser historischen Daten stellt Schmelzing die von Lawrence H. Summers von der Universität Harvard und anderen propagierte Hypothese in Frage, wonach die hochentwickelten Volkswirtschaften eine „säkulare Stagnation“ durchmachen. Soweit das Narrativ der säkularen Stagnation „eine Abweichung von der längerfristigen Dynamik während der letzten Jahrzehnte postuliert“, so Schmelzing, sei es „völlig irreführend“.

Allerdings ist eine gewisse Vorsicht gegenüber Schmelzings empirischen Ergebnissen angebracht. Die von ihm aufgeführten Zinssätze auf angeblich sichere Anlagen könnten in Wahrheit gängige Risikoaufschläge enthalten, die im Laufe der Zeit systematisch variieren könnten. Die frühen Inflationsdaten sind vermutlich nicht zuverlässig. Und selbst wenn Schmelzings Daten ein unvoreingenommenes und verlässliches Bild der Entwicklungen bei den Realzinsen seit dem 14. Jahrhundert zeichnen, stehen sie in keinem offensichtlichen Zusammenhang mit der Plausibilität der Hypothese von der säkularen Stagnation für 2020 und die Folgejahre.

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