Bottle of champagne Dominic Lipinski/Getty Images

Man nennt es den amerikanischen Traum

NEW YORK – 1968 grübelte der Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson über „diese Sache mit dem Ende des amerikanischen Traums“ nach. Aber was war es, dass man den amerikanischen Traum nannte? Was war daran so unverwechselbar amerikanisch?

Manche sahen in diesem Traum den Glauben der Amerikaner, dass ihre Wirtschaft Waren in Hülle und Fülle produziert und mit Sicherheit einen Lebensstandard mit sich bringen würde, der in anderen Volkswirtschaften unvorstellbar ist: Der Traum von unübertroffenem Reichtum und Komfort. Amerika hatte im 18. Jahrhundert zwar ein höheres Lohnniveau, aber Großbritannien hatte den Lohnunterschied zu Amerika in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts annähernd ausgeglichen und Deutschland war 1913 auch fast so weit. In den 1970er-Jahren hatten Deutschland und Frankreich Amerika dann eingeholt.

Für einige Ökonomen war der Traum die Hoffnung auf einen sich verbessernden Lebensstand: der Traum vom Fortschritt. Der Wirtschaftswissenschaftler Raj Chetty hat gemessen, wie sich das Einkommen von Kindern im Vergleich zu ihren Eltern entwickelt hat. Er hat festgestellt, dass in den 1940er-Jahren fast alle jungen Amerikaner – 90 Prozent, um genau zu sein – ein höheres Haushaltseinkommen hatten als ihre Eltern in jungen Jahren. Dieser hohe Prozentsatz spiegelt vor allem das rasche US-Produktivitätswachstum und die damit verbundenen Lohnsteigerungen. Von 1890 bis 1940 war rasches Produktivitätswachstum aber auch in Großbritannien, Deutschland und Frankreich normal – so wie in den „glorreichen 30 Jahren“ der Nachkriegszeit von 1945 bis 1975. Wenn also Fortschritt der Traum war, hätten auch die Europäer vom Fortschritt träumen können.

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