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Nicht die russische Seele ist schuld

NEW YORK – In einem interessanten aktuellen Artikel im Times Literary Supplement tadelt die ukrainische Romanautorin, Essayistin und Poetin Oksana Sabuschko die westlichen Leser dafür, die russische Barbarei nicht zu erkennen. Zu viele Menschen, so argumentiert sie, glaubten, die großen russischen Schriftsteller wie Fjodor Dostojewski drückten humanistische europäische Werte aus. Diese Menschen hätten die primitive russische Seele nicht tief genug verstanden.

Sabuschko glaubt, die russische Literatur repräsentiere „eine altertümliche Kultur, in der die Menschen nur unter Wasser atmen und jene, die Lungen anstatt Kiemen haben, mit banalem Hass betrachten“. Russlands Invasion in der Ukraine könne nur durch die Linse des „Dostojewskismus“ betrachtet werden, den sie als „Explosion reinen, destillierten, bösen und lang unterdrückten Hasses und Neides“ definiert.

Diese Art kultureller Analyse hat einen ziemlich altmodischen Beigeschmack. Sie diente einst dazu, das Dritte Reich als Krankheit der deutschen Seele zu interpretieren: „Von Luther zu Hitler“ lautete damals die These, womit gemeint war, Luthers Antisemitismus habe bereits 350 Jahre vor Hitlers Geburt den Samen des Nazismus gesät. Aber eine derart plumpe Sichtweise der deutschen Geschichte wird heute kaum noch vertreten.

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