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Beim Pariser Klimaversprechen darf keine Zeit verloren werden

DUBLIN – 2020 wurde die Welt durch COVID-19 auf den Kopf gestellt. Aber die Pandemie hat uns auch gezeigt, dass menschlicher Einfallsreichtum und Innovationsgeist schnell und flächendeckend genug eingesetzt werden kann, um globale Herausforderungen zu bewältigen – wenn ein politischer Konsens für die nötigen Maßnahmen besteht.

Mit beispielloser Geschwindigkeit haben wir mehrere effektive Impfstoffe gegen COVID-19 entwickelt und getestet sowie mit ihrer Verbreitung begonnen. Jetzt müssen wir die gleiche Entschlossenheit zeigen, um unseren Kampf gegen die andere große, existenzielle Bedrohung für die Menschheit fortzusetzen: den Klimawandel. Wie es UN-Generalsekretär António Guterres im letzten Monat ausdrückte: „Sicherheit und Wohlstand unserer Zukunft hängen von mutigen Klimamaßnahmen ab.“

Und trotzdem sind die Zusagen vieler Politiker auf dem jüngsten Climate Ambition Summit am 12. Dezember weit hinter dem zurückgeblieben, was zur Bewältigung dieser gemeinsamen Herausforderung erforderlich ist. Sicherlich haben die Europäische Union, Großbritannien und sogar einige der kleineren Länder, die für den Klimawandel am anfälligsten sind, ihre Emissionsminderungsziele für 2030 erheblich verschärft. Aber auch die Vereinigten Staaten, Japan, China, und andere große Treibhausgasemittenten müssen sich dem anschließen – möglichst schon lange vor der UN-Klimakonferenz (COP26) in Glasgow im kommenden November. Angesichts der Krise, vor der wir stehen, lassen sich weitere Verzögerungen oder Ausflüchte nicht mehr entschuldigen.

Vor fünf Jahren kam die Welt nach langen und mühsamen Verhandlungen zusammen, um das Pariser Klimaabkommen zu verabschieden. Dies war einer der größten Triumphe der multilateralen Diplomatie der letzten Jahre, darf aber nicht für selbstverständlich gehalten werden. Wenn wir uns nicht noch stärker engagieren, läuft das Erbe von Paris Gefahr, völlig im Sande zu verlaufen.

Die Ereignisse der letzten fünf Jahre haben ein geopolitisches Umfeld geschaffen, das diejenigen, die sich damals in Paris trafen, kaum noch wieder erkennen würden. Damals hätten Worte wie „Coronavirus“ oder „Brexit“ kaum mehr als ein verwirrtes Schulterzucken ausgelöst. Heute hingegen erregen sie die fieberhafte Aufmerksamkeit von Politikern, Staatschefs und Regierungen in der ganzen Welt.

Aber wir dürfen nicht zulassen, dass diese Entwicklungen die anhaltende und immer dringendere Notwendigkeit von Maßnahmen gegen den Klimawandel verschleiern – insbesondere was die Finanzierung dieser Maßnahmen angeht. Vor über einem Jahrzehnt versprachen die reichsten Länder der Welt, bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zu mobilisieren, um den ärmeren Ländern bei der Anpassung an den Klimawandel und ihren Bemühungen um Schadensminderung zu helfen. Diese Frist ist nun abgelaufen, und die reichen Länder haben ihr Versprechen bisher nicht erfüllt.

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Aber es gibt immer noch Hoffnung. Ich bin sehr erfreut, dass der neue US-Präsident Joe Biden sein Versprechen, direkt nach seinem Amtsantritt dem Pariser Abkommen wieder beizutreten, erneut bestätigt hat. Nach vier verlorenen Jahren unnötiger Zerstörung unter Donald Trump wird die amerikanische Führungsrolle dringend benötigt. Würden die USA zwei Milliarden Dollar an den Grünen Klimafonds zahlen und sich damit an den Zusagen des Fonds in Höhe von 100 Milliarden beteiligen, könnten sie so ihren erneuten Beitritt zum Pariser Abkommen durch konkrete Taten untermauern. Dieses Geld wurde bereits während der Präsidentschaft von Barack Obama versprochen, also gibt es keine Entschuldigung dafür, es im Tresor des US-Finanzministeriums liegen zu lassen.

Entsprechend dürfen andere reiche Länder den erneuten Blick auf die USA nicht als Alibi dafür verwenden, von ihren eigenen Verpflichtungen abzulenken. Die kürzliche Ankündigung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, dass sie bald einen neuen internationalen Prozess zur Klimafinanzierung einleiten will, ist eine willkommene Absichtserklärung. Aber die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, dass wir uns auf blumige Reden nicht verlassen können.

Darüber hinaus müssen alle Länder im Jahr 2021 klar nachweisen, dass sie ihre „national festgelegten Beiträge“ überprüfen und verstärken wollen – das freiwillige Instrument, mit dem die Unterzeichnerländer ihre Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens erfüllen.

Sowohl dieses Abkommen als auch die Ziele Nachhaltiger Entwicklung der UN, die ebenfalls 2015 aufgestellt wurden, sind im Kern durch Solidarität und Gerechtigkeit motiviert. Diese Prinzipien und die damit verbundene Verantwortung sind im Zuge einer nachhaltigen Erholung vom COVID-19-Schock wichtiger als je zuvor.

Die schlichte Wahrheit ist, dass wir in den fünf Jahren nach Paris zu viel Zeit verschwendet haben. Die Politik zur Emissionsminderung – zu der ein Ende der Subventionen für fossile Energien, ein vernünftiger Kohlenstoffpreis und Investitionen in erneuerbare Energien gehören – war unbeständig, widersprüchlich und unkoordiniert. Aber ebenso wie COVID-19 respektiert die Klimakrise keine Grenzen und kümmert sich nicht um nationale Souveränität.

Obwohl sich die Aufmerksamkeit zu Recht auf das Virus konzentriert hat, gab es auch immer extremere Wetterphänomene – von Waldbränden in Australien und Kalifornien bis hin zum teuersten Sturm der Geschichte am Golf von Bengalen, der zwei Millionen Menschen zum Verlassen ihrer Häuser gezwungen hat. Wir alle wurden uns auf akute und intime Weise der Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz bewusst – und dessen, wie stark unsere Schicksale grenz- und generationenübergreifend miteinander verbunden sind.

Während wir uns von Paris auf das Jahr 2030 hinbewegen, müssen Staatschefs, Unternehmen und Bürger gleichermaßen damit rechnen, dass sie zukünftig danach beurteilt werden, was sie heute getan (oder versäumt) haben. Unsere Nachkommen und auch der Planet selbst werden kein selbstsüchtiges Kurzzeitdenken mehr tolerieren.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/Y1Mdvnqde