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Ein kleiner Schritt für Manchin, ein gewaltiger Sprung für die Menschheit?

CAMBRIDGE – Ende 2016 leuchteten der Arc de Triomphe und der Eiffelturm für eine Nacht in hoffnungsfrohem Grün, um die Welt an die Umsetzung des Übereinkommens von Paris zu erinnern. Für die Klimaschutzgesetzgebung in den USA stand die Ampel allerdings in jüngster Zeit auf Rot; vor allem, weil Joe Manchin, ein eher konservativer demokratischer Senator aus West Virginia, die Maßnahmen zur Erreichung der amerikanischen Emissionsziele in Geißelhaft genommen hatte.

Nachdem er Präsident Joe Bidens 2 Billionen schweren Build Back Better Act – dem ehrgeizigsten Klimaschutzgesetz in der Geschichte der USA – noch den Todesstoß versetzt hatte, ändert Manchin nun Kurs und unterstützt ein bescheideneres Ersatzgesetz, durch das unter anderem Hunderte Milliarden Dollar des Bundes in die Förderung der Energiewende gelenkt werden. In einer Zeit, in der viele Teile der Welt unter extremen Wetterereignissen leiden, ist diese Kompromisspaket ein echter Hoffnungsschimmer. Für die angeschlagenen Demokraten, die sich noch immer nicht von der Rücknahme des Grundsatzurteils Roev. Wade erholt haben, und für die amerikanischen Wähler, die sich zunehmend Sorgen über den Klimawandel machen, ist es aber eher enttäuschend.

Der Weg zu einem globalen System zur Steuerung der Klimapolitik verlief lang und gewunden über 26 „Klimagipfel“. Dabei war der Start mit der Schaffung des Weltklimarates, des ersten klimawissenschaftlichen Gremiums der Welt, im Jahr 1988 noch vielversprechend. 1992 folgte die Rio-Konferenz, auf der 178 Länder die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen verabschiedeten.

Diese sah allerdings keine verbindlichen Verpflichtungen vor und auf dem Gipfel in Kyoto im Jahr wurde der erste Versuch, die Entwicklungsländer in der globalen Klimapolitik zu konkreten Emissionseinsparungen zu verpflichten, noch blockiert. Nachdem der US-Senat die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls verweigert und es für „klinisch tot“ erklärt hatte, gab es fast zwei Jahrzehnte lang kaum noch Fortschritte.

Als die 196 Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention dann Ende 2015 in Paris das Klimaabkommen verabschiedeten, hatte die Erderwärmung den Grenzwert von 1° Celsius bereits überschritten. Trotz alledem stellt das Pariser Klimaabkommen, dessen wichtigste Ziel es ist, die Erderwärmung auf unter 2° C und am besten unter 1,5° C zu begrenzen, eine entscheidende epochale Wende für den Klimaschutz dar. Es wurde von jedem Land der Erde angenommen (wenn auch nicht ratifiziert) und ist das erste wirklich globale Abkommen in diesem Bereich.

Alle Unterzeichnerstaaten müssen ihre eigenen Klimaschutzziele, die so genannten national festgelegten Beiträge, formulieren und diese Ziele alle fünf Jahre überprüfen und verbessern. Das Abkommen legt also ein gemeinsames Ziel fest, überlässt den Weg zu diesem Ziel jedoch den Vertragsparteien und verlässt sich dabei mehr auf Zuckerbrot (internationale Anerkennung) als auf die Peitsche (es gibt keine Bußgelder, Sanktionen oder formale Schiedsverfahren, wenn die Ziele nicht eingehalten werden).

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Als äußerst dynamischer, hybrider und flexibler Rechtsrahmen entspricht das Übereinkommen von Paris dem neuesten Stand internationaler Verträge. Sein Schwerpunkt liegt nicht auf Zwang, sondern auf Konsens, Partizipation, Interaktion und regelmäßiger Berichterstattung. Damit repräsentiert das Übereinkommen nicht nur einen Durchbruch in der Klimapolitik, sondern bietet auch einen Meisterkurs im Institutionenaufbau und zieht seine moralische Stärke aus einer breit aufgestellten globalen Bewegung von Aktivisten, NRO, Studierenden, indigenen Gruppen und vielen anderen Akteuren.

Obwohl das Übereinkommen (zumindest verfahrenstechnisch) einen rechtsverbindlichen Vertrag darstellt, verlässt es sich auf den guten Wille einzelner Akteure (in diesem Fall der Nationalstaaten). Das macht ihn zu einem Meilenstein des internationalen Rechts. Die Frage, ob etwas als „Rechtssystem“ gilt, lässt sich nicht mit einem wissenschaftlichen Lackmustest abschließend entscheiden. Die beste Definition, die wir haben, stammt vom englischen Rechtsphilosophen H. L. A. Hart, der in seinem Werk Der Begriff des Rechts ein Rechtssystem als eine Einheit von primären und sekundären Rechtsnormen, d. h. von „Regeln“ und von „Regeln über Regeln“, beschreibt.

Wenn wir wissen wollen, ob das Übereinkommen von Paris ein wirksames globales System zur Steuerung der Klimapolitik begründet hat, müssen wir also prüfen, ob seine „Regeln über Regeln“ in die „Regeln“ einsickern, die sich die Nationalstaaten durch ihre Rechtsvorschriften geben. Schon jetzt haben die Europäische Union, Kanada, Südkorea, Japan, Südafrika und Großbritannien bestehende Gesetze überarbeitet oder neue Gesetze erlassen, um ihre Verpflichtungen im Rahmen des Übereinkommens von Paris einzuhalten. Und alle haben sich bei ihren Zielen am neuen Goldstandard orientiert: der Klimaneutralität bis 2050.

Auch einzelne Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraums (wie Island) haben ihre Klimabeiträge in nationale Rechtsvorschriften aufgenommen, obwohl sie rechtlich nicht an die Verpflichtungen der EU gebunden sind. Und selbst China, das Land, das in absoluten Zahlen die höchsten Emissionen verursacht, hat sich dazu verpflichtet, bis 2060 klimaneutral zu werden.

Das Fundament des internationale Rechts ist die opinio juris, das heißt, das Gefühl , das etwas bindend ist. Viele Akteure weltweit fühlen sich durch das Übereinkommen von Paris tatsächlich verpflichtet. Anders in den USA, wo die Republikaner und ein Demokrat mit unverhältnismäßig viel Macht die Entwicklung eines globalen Klimaschutzsystems gefährden konnten.

Die USA sind bei den Emissionen pro Kopf weltweit ganz vorne und ohne ihre Kooperation lassen sich die Ziele des Übereinkommens von Paris nicht erreichen. Auch für die weltweite Moral ist es wichtig, dass sich die USA nach Treu und Glauben an dem Prozess beteiligen. Als der damalige Präsident Donald Trump 2017 den Austritt der USA aus dem Übereinkommen vollzog, ging das wie eine Schockwelle um die Welt. Seitdem ist Amerikas Glaubwürdigkeit beim Klimaschutz stark angeschlagen. Obwohl Biden Trumps Entscheidung inzwischen rückgängig gemacht und versprochen hat, die Emissionen des Landes bis 2030 (gemessen am Niveau des Jahres 2005) um 50-52 Prozent zu senken, werden seine Klimaschutzmaßnahme durch den Kongress und den Supreme Court behindert.

Wenn die USA ihrer Klimaschutzrhetorik keine tiefgreifenden Maßnahmen im Inland folgen lassen, werden ihre Beiträge in globalen Verhandlungen als Heuchelei und „grüner Kolonialismus“ gebrandmarkt. Warum sollten Entwicklungsländer auf fossile Brennstoffe verzichten, wenn Industrieländer diese immer noch sorglos verbrauchen?

Die freiwillige Mobilisierung von Unternehmen, Städten, Regionalbehörden, NRO und anderen Akteuren ist zwar beeindruckend, kann jedoch eine systematische Regulierung nicht ersetzt. Manchin hat die Glaubwürdigkeit Amerikas zu diesem wichtigen Thema weiter untergraben und damit nicht nur die Klimaschutzagenda der Demokraten, sondern auch das viel weiter gefasste Projekt der internationalen Zusammenarbeit und Rechtssetzung zurückgeworfen. Wir können nur hoffen, dass seine Kursänderung ausreicht, um das Übereinkommen von Paris zu retten.

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