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Falsche Fährte Inflation

NEW YORK – Leichte Anstiege der Inflationsrate in den USA und Europa haben an den Finanzmärkten Ängste ausgelöst. Läuft die Regierung von US-Präsident Joe Biden mit ihrem 1,9 Billionen Dollar schweren Rettungspaket und Plänen für zusätzliche Ausgaben für Investitionen in die Infrastruktur, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Unterstützung der amerikanischen Familien Gefahr, eine Überhitzung der Konjunktur herbeizuführen?

Derartige Sorgen sind angesichts der tiefen Unsicherheit, der wir nach wie vor ausgesetzt sind, verfrüht. Wir haben nie zuvor einen pandemiebedingten Abschwung mit überproportional steiler Rezession im Dienstleistungssektor, einer beispiellosen Zunahme der Ungleichheit und steil steigenden Sparquoten erlebt. Niemand weiß auch nur, ob oder wann COVID-19 in den hochentwickelten Volkswirtschaften eingedämmt sein wird, und weltweit weiß es erst recht keiner. Zudem müssen wir bei der Abwägung der Risiken alle Eventualitäten einplanen. Aus meiner Sicht hat die Biden-Regierung korrekt entschieden, dass die Gefahr, zu wenig zu tun, die Risiken, zu viel zu tun, deutlich überwiegt.

Zudem rührt der derzeitige Inflationsdruck weitgehend als kurzfristigen Engpässen beim Angebot her, die unvermeidlich sind, wenn man eine vorübergehend heruntergefahrene Wirtschaft wieder hochfährt. Wir haben ausreichende weltweite Kapazitäten zum Bau von Autos oder Halbleitern, doch wenn alle Neuwagen Halbleiter verwenden und die Nachfrage nach Autos (wie während der Pandemie) von Unsicherheit bestimmt ist, wird die Halbleiterproduktion eingeschränkt. Ganz allgemein ist die Koordinierung aller Vorleistungen für die Produktion in einer komplexen integrierten Weltwirtschaft eine enorm schwierige Aufgabe, die wir gewöhnlich als selbstverständlich hinnehmen, weil die Dinge so gut funktionieren und weil die meisten Anpassungsmaßnahmen Randbereiche betreffen.

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