varoufakis85_Kay Nietfeld - Pool  Getty Images_merkel macron eu Kay Nietfeld - Pool Getty Images

Chance vertan ‒ der Westen lässt die Krise ungenutzt

ATHEN – Der Silberstreif in der dunklen Wolke der Pandemie war die Gelegenheit, die sich dem Westen bot, sich zu bessern. Im Jahr 2020 gab es einige Lichtblicke. Die Europäische Union war gezwungen, über eine Fiskalunion nachzudenken. Dann trug sie dazu bei, Donald Trump aus dem Weißen Haus zu entfernen. Und ein globaler grüner New Deal, eine umweltfreundliche Modernisierung als Weg aus der Krise, erschien plötzlich weniger weit hergeholt. Dann kam das Jahr 2021 und zog die Verdunkelungsvorhänge zu.

Letzte Woche hat die Europäische Zentralbank in ihrem Finanzstabilitätsbericht eine besorgniserregende Warnung ausgesprochen: Europa sieht einer schuldenfinanzierten Immobilienblase entgegen, die sich verselbständigt hat. Bemerkenswert an dem Bericht ist, dass die EZB weiß, wer die Blase verursacht: die EZB selbst, durch ihre Politik der quantitativen Lockerung (Quantitative Easing, QE) – ein höflicher Ausdruck für Geldschöpfung im Namen von Banken. Das ist so, als würde Ihr Arzt Sie darauf hinweisen, dass die von ihm verschriebene Medizin Sie möglicherweise umbringen wird.

Das Erschreckende daran ist, dass die EZB keine Schuld daran trägt. Die offizielle Entschuldigung für QE lautet, dass es nach dem Absenken der Leitzinssätze auf unter null keine andere Möglichkeit mehr gab, der in Europa drohenden Deflation zu begegnen. Das verborgene Motiv hinter der quantitativen Lockerung bestand allerdings darin, die untragbare Schuldenlast großer defizitärer Unternehmen und vor allem wichtiger Mitgliedsstaaten der Eurozone (wie Italien) umzustrukturieren.

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