buruma159_Mario TamaGetty Images_usgunscoronavirus Mario Tama/Getty Images

Amerikas Waffenvirus

NEW YORK – Aufgeschreckt durch COVID-19 haben die Amerikaner nicht nur die Supermarktregale mit Toilettenpapier und Nudeln leergekauft, sondern auch die  Waffenverkäufe in ungeahnte Höhen getrieben. Offenbar haben viele Waffenkäufer der letzten Zeit noch nie zuvor in ihrem Leben eine Schusswaffe erworben.

Die Lobbyisten der US-amerikanische Waffenindustrie möchten, dass Waffenläden ebenso wie Lebensmittelgeschäfte und Apotheken als „kritische“ Unternehmen gelten. Eine Reihe von Bundesstaaten und auch das US-Ministerium für Innere Sicherheit haben sich dieser Sichtweise bereitwillig angeschlossen. Jay Pritzker, Gouverneur von Illinois, erklärte, dass es „Anbietern und Händlern von Schusswaffen und Munition aus Sicherheitsgründen” weiterhin gestattet sein müsse, diese angeblich notwendigen Güter zu verkaufen. 

Im Hinblick auf Waffen hat der Rest der Welt die Vereinigten Staaten lange Zeit für ein wenig verrückt gehalten. Doch dieser jüngste Ansturm auf die Waffengeschäfte hat etwas besonders Befremdliches an sich. Konservative und Waffenliebhaber berufen sich auf Geschichte, Tradition und den Wortlaut der US-Verfassung aus dem späten 18. Jahrhundert, um ihr Recht zu verteidigen, alles von einer Glock G-19-Pistole bis zum beliebten AR-15-Sturmgewehr zu tragen.  Tatsächlich bestand die bis vor kurzem gängige Rechtsmeinung unter amerikanischen Rechtswissenschaftlern darin, dass Waffenkäufe durch Einzelpersonen „zur eigenen sowie zur Verteidigung von Familie, Heim, Geschäft und Eigentum”  - wie Lawrence Keane, Senior Vice-President des Waffenbranchenverbandes National Shooting Sports Foundation, es ausdrückte – weit von der ursprünglichen Absicht der Gründer der Vereinigten Staaten entfernt war.

https://prosyn.org/fd76kajde