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China braucht ein besseres Innovationsökosystem

HONGKONG – Die Vereinigten Staaten haben lange Zeit einen erheblichen Teil der Wissensökonomie dominiert, nicht zuletzt aufgrund eines für ausländische Spitzenkräfte äußerst attraktiven Innovationsumfelds. Doch China hat gut aufgepasst und wichtige Lektionen aus den USA an den lokalen Kontext angepasst. Diese Anstrengungen tragen mittlerweile Früchte.

Amerikas Vorsprung ist beträchtlich. Im Zeitraum von 2000 bis 2019 gab es in den USA weit mehr Fortune-Global-500-Unternehmen als in jedem anderen Land. Im Jahr 2000 zählten die USA 179 dieser Unternehmen, verglichen mit 107 in Japan und nur zehn in China. Obwohl China die USA im Jahr 2020 überholte, haben die US-Unternehmen ihren absoluten Vorsprung in den Bereichen Marktkapitalisierung, Rentabilität und technologische Innovation behalten.

Besonders dominant sind amerikanische Tech-Giganten wie Microsoft, Apple und Nvidia, die international rascher expandieren und ihre Aktivitäten in höherem Umfang auslagern als ihre Konkurrenten aus China, der Europäischen Union, Japan und Indien. Entscheidend ist, dass sie auch mehr Spitzenkräfte aus der ganzen Welt für sich gewinnen konnten.

Tatsächlich sind die USA das bevorzugte Ziel für Talente aus aller Welt. Fast die Hälfte der in die OECD-Länder strömenden hoch qualifizierten Zuwanderer gehen in die USA. Laut QS World University Rankings befindet sich ein Drittel der 100 weltbesten und vier der zehn besten Universitäten in den USA. Diese Eliteuniversitäten locken besonders talentierte Studierende aus dem Ausland an, die nach ihrem Abschluss häufig auch dort bleiben, um ihre Karriere zu beginnen.

Infolgedessen lebt heute ein Drittel aller hochqualifizierten Einwanderer der Welt in den USA. Und diese Bevölkerungsgruppe spielt eine führende Rolle bei der Ausgestaltung des amerikanischen Geschäfts- und Innovationsumfelds. So leiten beispielsweise indische CEOs amerikanische Unternehmen - darunter führende Firmen wie Adobe, Alphabet und seine Tochter Google, Microsoft und IBM - die zusammen auf einen Wert von 6 Billionen Dollar kommen.

Chinesische Städte haben sich intensiv bemüht, diesen Erfolg zu reproduzieren. Ein typisches Beispiel ist Shenzhen. Noch vor wenigen Jahrzehnten war diese südchinesische Stadt ein kleines Fischerdorf, und in der Nähe gab es nur wenige Universitäten von Weltrang. Doch seit dem Jahr 2000 hat sich die Stadt aufgrund ihrer Unterstützung lokaler Hochschulen und der Errichtung von Außenstellen renommierter Universitäten wie der HSBC Business School der Universität Peking, der Tsinghua-Universität und der Chinese University of Hong Kong zu einem führenden Technologiezentrum entwickelt.

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Spitzenkräfte fühlen sich von Städten angezogen, die einen attraktiven Lebensstil, ein gedeihliches Geschäftsumfeld und gut angebundene Lieferketten bieten. Die in vielen aufstrebenden Volkswirtschaften entstehenden Industrieparks können diese Bemühungen noch fördern, auch wenn ihre Errichtung kein leichtes Unterfangen ist, da man dafür Spitzenpersonal aus den Bereichen Technik, Unternehmensführung und staatliche Angebote ebenso benötigt wie unterstützende Dienstleistungen aus den Bereichen Finanzen, Recht und Logistik.

Finanzierung ist ein weiteres entscheidendes Element des Gesamtpakets. Es kann kein florierendes Innovationsökosystem geben, wenn Hightech-Firmen die für ihr Wachstum erforderlichen Mittel nicht erhalten. Für chinesische Firmen wird es jedoch zunehmend schwierig, sich ausländische Investitionen zu sichern. Seit 2018 haben hunderte chinesische Unternehmen - darunter Huawei und BYD - mit neuen Sanktionen oder Beschränkungen seitens der USA und Europas zu kämpfen. Zahlreiche multinationale Konzerne haben beschlossen, sich von chinesischen Lieferketten zu „entkoppeln“, um den Vorschriften ihrer jeweiligen Heimatländer zu entsprechen, obwohl das mit höheren Produktionskosten verbunden ist.

Ausländisches Kapital ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Im Silicon Valley wenden sich innovative Technologieunternehmen zur Finanzierung ihres Wachstums an Private-Equity- (PE) und Venture-Capital- (VC) Fonds. Diese US-Fonds investieren ständig in die nächste Generation sogenannter „Einhörner“ (Privatunternehmen mit einer Bewertung von mehr als 1 Mrd. US-Dollar), wobei sie dafür häufig ihre Gewinne aus der vorherigen Generation verwenden. Nach Angaben der National Venture Capital Association  investieren etwa 80 Prozent der amerikanischen PE-Fonds in Unternehmen, die sich in der Wachstums- und Entwicklungsphase befinden.

In China (einschließlich Hongkong) sind solche Fonds jedoch in der Regel kleiner als in den USA: Im Jahr 2021 lag die durchschnittliche Größe der PE-Fonds in den USA bei knapp 1 Milliarde US-Dollar, in China hingegen bei rund 20 Millionen Dollar. Außerdem fehlt es den chinesischen PE/VC-Fonds an Erfahrung und Fachwissen, wenn es um Spitzentechnologien geht.

Das stellt China vor erhebliche Herausforderungen. Aus makropolitischer Sicht sind PE-/VC-Fonds entscheidende Katalysatoren für die Modernisierung der Lieferketten durch neue Technologien und Management-Know-how. Wenn chinesische Unternehmen also versuchen, neue Technologien zu entwickeln, ihre Produktivität zu steigern, zu expandieren und Auslandsmärkte zu erschließen, wird ein Großteil ihres Risikokapitals in erster Linie über diese Fonds und nicht über herkömmliche Banken oder öffentliche Finanzmärkte bereitgestellt werden.

Allerdings haben Technologie-Investitionen in der Regel einen kürzeren Zeithorizont, und PE-/VC-Fonds sind auf liquide Aktienmärkte angewiesen, um aus ihren Positionen auszusteigen. Transparente, resiliente und liquide Kapitalmärkte sind auch erforderlich, um langfristige institutionelle Anleger anzulocken, die in der Lage sind, bei alternativen oder unkonventionellen Finanzinstrumenten höhere Risiken einzugehen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Mobilisierung von Versicherungs-, Renten- und Sozialversicherungsfonds, die zur Finanzierung technologischer Innovationen (und auch Infrastrukturinvestitionen) über langfristige Spar- und Investitionshorizonte verfügen.

Bislang hat sich die chinesische Führung schwer getan, ein für das Land geeignetes Innovationsökosystem aufzubauen, das auch liquide und transparente öffentliche und private Finanzierungsmechanismen umfasst. Vor dem Hintergrund der amerikanisch-chinesischen Rivalität bedeutet das einen massiven Nachteil. Um im Wettbewerb mit den USA bestehen zu können, muss China seine eigenen Einhörner im Technologiesektor fördern und globale Plattformen aufbauen, die ihren amerikanischen Pendants in puncto Geschwindigkeit, Umfang und Reichweite in nichts nachstehen.

Übersetzung: Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/Rs8A2lDde