MAILAND – Noch vor ein paar Wochen hätte keiner bestritten, dass der relevanteste und deutlichste Trend in der Weltpolitik unserer Zeit die Rückkehr zum Nationalstaat sei. Unilateralismus und die Logik des „Nullsummenspiels“ schienen die neue Normalität darzustellen – getreu dem Motto „Damit ich gewinne, musst du verlieren.“ und „Ich zuerst!“.
Diese Formulierungen schienen das unmissverständliche und beinahe unbestrittene Markenzeichen dieses Jahrhunderts zu sein, welchen zudem geografisch und ideologisch nahezu keine Grenzen gesetzt waren: Man fand es in vielen verschiedenen Schattierungen, aber auf jedem einzelnen Kontinent, bei Menschen jeder politischen Orientierung (einschließlich vieler Varianten politischer Bewegungen ohne ein Etikett), in einem breiten Spektrum institutioneller Systeme und sogar bei einigen internationalen Organisationen. Dieser Trend schien sich von Tag zu Tag mehr zu verfestigen; kaum jemand versuchte, für einen kooperativen internationalen Ansatz, Multilateralismus, Win-Win-Lösungen und die Suche nach dem gemeinsamen Nenner sowie gemeinschaftsgestützte Politiken statt einer rein individualistischen Vision der Gesellschaft zu argumentieren.
Heute, da sich die Coronapandemie über die gesamte Welt verbreitet, das Leben vieler von uns gefährdet und die Grundlagen unseres Alltags erschüttert, müssen wir uns fragen, ob dieses Paradigma weiterhin vorherrschen wird. Wird die Pandemie es verstärken, oder gibt es Lehren, die wir aus ihr ziehen werden?
Kann ein Virus einige der Annahmen in Frage stellen, auf denen die aktuelle globale politische Landschaft fußt? Wird es dazu führen, dass wir uns auf das konzentrieren, was wirklich zählt und uns als Menschheit vereint, oder wird es das Gefühl von Furcht und Misstrauen zwischen und innerhalb von Gemeinschaften anheizen, uns noch stärker spalten, und das Ausmaß der toxischen Rhetorik und Verhaltensweisen, die unsere Gemeinschaften schon jetzt vergiften und unsere kollektive Fähigkeit zu effizientem Handeln teilweise gelähmt haben, erhöhen? Werden wir die Krise als Chance nutzen, einige der Fehler der letzten Jahre beim Namen zu nennen, und unseren Kurs endlich dem Kompass der Realität anpassen?
Diese Pandemie vermittelt uns laut und deutlich eine ganze Reihe von Fakten. Wer bereit ist, zuzuhören, für den sind hier ein paar sehr einfache davon:
Erstens: Die Weltgemeinschaft existiert. Was weit weg passiert, hat hier und jetzt Auswirkungen (und zwar lebenswichtige!). Ein Nieser auf einem Kontinent wirkt sich auf einem anderen unmittelbar aus. Wir sind alle miteinander verbunden; wir sind eins. Alle Versuche, Grenzen als Trennlinien zu betrachten und Menschen nach Nationalität, Ethnizität, Geschlecht oder religiösem Glauben einzusortieren, verlieren unmittelbar ihre Bedeutung, da unsere Körper dem Virus gleichermaßen ausgesetzt sind, egal, wer wir sind.
At a time of escalating global turmoil, there is an urgent need for incisive, informed analysis of the issues and questions driving the news – just what PS has always provided.
Subscribe to Digital or Digital Plus now to secure your discount.
Subscribe Now
Zweitens: Ich habe ein Interesse am Wohlbefinden meines Nächsten. Wenn ein Nachbar ein Problem hat, ist das auch mein Problem. Falls es mir also um meines Nächsten willens egal ist, sollte es mir zumindest meinetwillen wichtig sein. Denn in einer vernetzten Welt wie der unsrigen besteht die einzig wirksame Methode, sich um das eigene Wohl zu kümmern, darin, sich um andere zu kümmern. Solidarität ist die neue Selbstsüchtigkeit.
Drittens: Es bedarf dringendst weltweit abgestimmter Lösungen, und das erfordert Investitionen in internationale multilaterale Organisationen. Wer glaubt, man könne wirksam auf eine Krise wie diese reagieren, indem man lediglich nationale Maßnahmen ergreift, tut, was man in Italien als „Versuch, das Meer mit dem Löffel auszuleeren“ beschreibt: eine Menge Arbeit, die nichts bringt.
Um effektiv zu sein, bedarf es systematischer, abgestimmter Bemühungen auf globaler Ebene, mit angemessenen politischen und finanziellen Institutionen in den internationalen multilateralen Rahmen, der erforderlich ist, um die Entwicklungen zu überwachen, darauf zu reagieren und zu verhindern, dass sich die Lage weiter verschlimmert. Wenn man die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit internationaler Organisationen zerstört, sind sie wenn man sie braucht weniger wirksam, und die Zeche zahlt man selber.
Viertens: Wissenschaftlich gestützte politische Entscheidungen sind der einzig rationale und nützliche Weg voran. Wissenschaftliche Belege sind der einzig verlässliche Anhaltspunkt, der sich uns bietet. Zum Glück haben wir schon viele tausend Jahre in die Wissenschaft investiert – weltweit, in jeder Kultur, und aus sehr gutem Grund. Jede auf kurzfristige politische oder wirtschaftliche Überlegungen gestützte Abweichung von wissenschaftsgestützten Entscheidungen ist schlicht gefährlich.
Fünftens: Gesundheit ist ein öffentliches Gut. Sie ist nicht bloß ein privates Thema. Sie ist eine Frage der nationalen – und sogar internationalen – Sicherheit und des wirtschaftlichen Wohlstands. Insofern erfordert sie ausreichende, nachhaltige öffentliche Investitionen sowie kollektives Verantwortungsgefühl, das jeder einzelne Bürger auszuüben gefordert ist. Ansteckung zu vermeiden ist nicht nur ein lebensrettendes Muss für den Einzelnen, sondern auch ein unverzichtbarer Beitrag zum Überleben von Gemeinschaften und zur Aufrechterhaltung eines funktionierenden öffentlichen Gesundheitswesens und letztlich des Staates.
Sechstens: Die Weltwirtschaft ist darauf angewiesen, dass die Menschen gesund bleiben. Investitionen in die öffentliche Gesundheit, Wissenschaft und Forschung sind eine Investition in wohlhabende Volkswirtschaften weltweit. Produktion, Konsum, Handel und Dienstleistungen – die Basis unseres Wirtschaftssystems – erfordern, dass die Leute gesund und sicher bleiben. Und ohne die Wirtschaft geht gar nichts!
Siebtens: Gut funktionierende demokratische Institutionen sind für unser Leben lebenswichtig. Wir nehmen Vieles als selbstverständlich hin, bis wir Gefahr laufen, es zu verlieren. Die Weise, in der die Entscheidungsfindung funktioniert (oder nicht funktioniert), ist in Krisenzeiten der ultimative Test. Wird die Demokratie als Last empfunden, die schnelle und effektive Maßnahme verlangsamt oder gar behindert, gewinnen die Argumente zugunsten stärker autoritärer Regierungssysteme an Kraft – mit allen negativen Folgen, die das für unsere Rechte und Freiheiten hat. Sicherzustellen, dass die demokratischen Institutionen funktionieren, ist eine Investition in unsere Gesundheit, unsere Sicherheit und unsere Freiheiten und Rechte.
Und zu guter Letzt: Nichts ist kostbarer und wertvoller als das Leben. Wir vergessen das manchmal, besonders wenn unser eigenes Leben in Frage steht. Doch sagt das schon der gesunde Menschenverstand. Vielleicht also ist es Zeit, sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen.
Jede Krise bietet die Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, seine Politik anzupassen und Dinge zu korrigieren, von denen wir uns bisher nicht einmal eingestanden haben, dass dort etwas im Argen liegt. Es hängt alles davon ab, was die Menschen auf der Welt zu tun entscheiden – angefangen mit denjenigen mit institutioneller und politischer Verantwortung. Aber letztlich müssen wir alle entscheiden. Wird diese Krise zum kurzfristigen individuellen Profit genutzt werden, wobei wie üblich Sündenböcke gesucht werden, oder wird sie ein Weckruf sein, der uns in die Realität zurückholt? Das ist kein Idealismus, sondern purer Realismus.
To have unlimited access to our content including in-depth commentaries, book reviews, exclusive interviews, PS OnPoint and PS The Big Picture, please subscribe
By choosing to side with the aggressor in the Ukraine war, President Donald Trump’s administration has effectively driven the final nail into the coffin of US global leadership. Unless Europe fills the void – first and foremost by supporting Ukraine – it faces the prospect of more chaos and conflict in the years to come.
For most of human history, economic scarcity was a constant – the condition that had to be escaped, mitigated, or rationalized. Why, then, is scarcity's opposite regarded as a problem?
asks why the absence of economic scarcity is viewed as a problem rather than a cause for celebration.
MAILAND – Noch vor ein paar Wochen hätte keiner bestritten, dass der relevanteste und deutlichste Trend in der Weltpolitik unserer Zeit die Rückkehr zum Nationalstaat sei. Unilateralismus und die Logik des „Nullsummenspiels“ schienen die neue Normalität darzustellen – getreu dem Motto „Damit ich gewinne, musst du verlieren.“ und „Ich zuerst!“.
Diese Formulierungen schienen das unmissverständliche und beinahe unbestrittene Markenzeichen dieses Jahrhunderts zu sein, welchen zudem geografisch und ideologisch nahezu keine Grenzen gesetzt waren: Man fand es in vielen verschiedenen Schattierungen, aber auf jedem einzelnen Kontinent, bei Menschen jeder politischen Orientierung (einschließlich vieler Varianten politischer Bewegungen ohne ein Etikett), in einem breiten Spektrum institutioneller Systeme und sogar bei einigen internationalen Organisationen. Dieser Trend schien sich von Tag zu Tag mehr zu verfestigen; kaum jemand versuchte, für einen kooperativen internationalen Ansatz, Multilateralismus, Win-Win-Lösungen und die Suche nach dem gemeinsamen Nenner sowie gemeinschaftsgestützte Politiken statt einer rein individualistischen Vision der Gesellschaft zu argumentieren.
Heute, da sich die Coronapandemie über die gesamte Welt verbreitet, das Leben vieler von uns gefährdet und die Grundlagen unseres Alltags erschüttert, müssen wir uns fragen, ob dieses Paradigma weiterhin vorherrschen wird. Wird die Pandemie es verstärken, oder gibt es Lehren, die wir aus ihr ziehen werden?
Kann ein Virus einige der Annahmen in Frage stellen, auf denen die aktuelle globale politische Landschaft fußt? Wird es dazu führen, dass wir uns auf das konzentrieren, was wirklich zählt und uns als Menschheit vereint, oder wird es das Gefühl von Furcht und Misstrauen zwischen und innerhalb von Gemeinschaften anheizen, uns noch stärker spalten, und das Ausmaß der toxischen Rhetorik und Verhaltensweisen, die unsere Gemeinschaften schon jetzt vergiften und unsere kollektive Fähigkeit zu effizientem Handeln teilweise gelähmt haben, erhöhen? Werden wir die Krise als Chance nutzen, einige der Fehler der letzten Jahre beim Namen zu nennen, und unseren Kurs endlich dem Kompass der Realität anpassen?
Diese Pandemie vermittelt uns laut und deutlich eine ganze Reihe von Fakten. Wer bereit ist, zuzuhören, für den sind hier ein paar sehr einfache davon:
Erstens: Die Weltgemeinschaft existiert. Was weit weg passiert, hat hier und jetzt Auswirkungen (und zwar lebenswichtige!). Ein Nieser auf einem Kontinent wirkt sich auf einem anderen unmittelbar aus. Wir sind alle miteinander verbunden; wir sind eins. Alle Versuche, Grenzen als Trennlinien zu betrachten und Menschen nach Nationalität, Ethnizität, Geschlecht oder religiösem Glauben einzusortieren, verlieren unmittelbar ihre Bedeutung, da unsere Körper dem Virus gleichermaßen ausgesetzt sind, egal, wer wir sind.
Winter Sale: Save 40% on a new PS subscription
At a time of escalating global turmoil, there is an urgent need for incisive, informed analysis of the issues and questions driving the news – just what PS has always provided.
Subscribe to Digital or Digital Plus now to secure your discount.
Subscribe Now
Zweitens: Ich habe ein Interesse am Wohlbefinden meines Nächsten. Wenn ein Nachbar ein Problem hat, ist das auch mein Problem. Falls es mir also um meines Nächsten willens egal ist, sollte es mir zumindest meinetwillen wichtig sein. Denn in einer vernetzten Welt wie der unsrigen besteht die einzig wirksame Methode, sich um das eigene Wohl zu kümmern, darin, sich um andere zu kümmern. Solidarität ist die neue Selbstsüchtigkeit.
Drittens: Es bedarf dringendst weltweit abgestimmter Lösungen, und das erfordert Investitionen in internationale multilaterale Organisationen. Wer glaubt, man könne wirksam auf eine Krise wie diese reagieren, indem man lediglich nationale Maßnahmen ergreift, tut, was man in Italien als „Versuch, das Meer mit dem Löffel auszuleeren“ beschreibt: eine Menge Arbeit, die nichts bringt.
Um effektiv zu sein, bedarf es systematischer, abgestimmter Bemühungen auf globaler Ebene, mit angemessenen politischen und finanziellen Institutionen in den internationalen multilateralen Rahmen, der erforderlich ist, um die Entwicklungen zu überwachen, darauf zu reagieren und zu verhindern, dass sich die Lage weiter verschlimmert. Wenn man die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit internationaler Organisationen zerstört, sind sie wenn man sie braucht weniger wirksam, und die Zeche zahlt man selber.
Viertens: Wissenschaftlich gestützte politische Entscheidungen sind der einzig rationale und nützliche Weg voran. Wissenschaftliche Belege sind der einzig verlässliche Anhaltspunkt, der sich uns bietet. Zum Glück haben wir schon viele tausend Jahre in die Wissenschaft investiert – weltweit, in jeder Kultur, und aus sehr gutem Grund. Jede auf kurzfristige politische oder wirtschaftliche Überlegungen gestützte Abweichung von wissenschaftsgestützten Entscheidungen ist schlicht gefährlich.
Fünftens: Gesundheit ist ein öffentliches Gut. Sie ist nicht bloß ein privates Thema. Sie ist eine Frage der nationalen – und sogar internationalen – Sicherheit und des wirtschaftlichen Wohlstands. Insofern erfordert sie ausreichende, nachhaltige öffentliche Investitionen sowie kollektives Verantwortungsgefühl, das jeder einzelne Bürger auszuüben gefordert ist. Ansteckung zu vermeiden ist nicht nur ein lebensrettendes Muss für den Einzelnen, sondern auch ein unverzichtbarer Beitrag zum Überleben von Gemeinschaften und zur Aufrechterhaltung eines funktionierenden öffentlichen Gesundheitswesens und letztlich des Staates.
Sechstens: Die Weltwirtschaft ist darauf angewiesen, dass die Menschen gesund bleiben. Investitionen in die öffentliche Gesundheit, Wissenschaft und Forschung sind eine Investition in wohlhabende Volkswirtschaften weltweit. Produktion, Konsum, Handel und Dienstleistungen – die Basis unseres Wirtschaftssystems – erfordern, dass die Leute gesund und sicher bleiben. Und ohne die Wirtschaft geht gar nichts!
Siebtens: Gut funktionierende demokratische Institutionen sind für unser Leben lebenswichtig. Wir nehmen Vieles als selbstverständlich hin, bis wir Gefahr laufen, es zu verlieren. Die Weise, in der die Entscheidungsfindung funktioniert (oder nicht funktioniert), ist in Krisenzeiten der ultimative Test. Wird die Demokratie als Last empfunden, die schnelle und effektive Maßnahme verlangsamt oder gar behindert, gewinnen die Argumente zugunsten stärker autoritärer Regierungssysteme an Kraft – mit allen negativen Folgen, die das für unsere Rechte und Freiheiten hat. Sicherzustellen, dass die demokratischen Institutionen funktionieren, ist eine Investition in unsere Gesundheit, unsere Sicherheit und unsere Freiheiten und Rechte.
Und zu guter Letzt: Nichts ist kostbarer und wertvoller als das Leben. Wir vergessen das manchmal, besonders wenn unser eigenes Leben in Frage steht. Doch sagt das schon der gesunde Menschenverstand. Vielleicht also ist es Zeit, sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen.
Jede Krise bietet die Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, seine Politik anzupassen und Dinge zu korrigieren, von denen wir uns bisher nicht einmal eingestanden haben, dass dort etwas im Argen liegt. Es hängt alles davon ab, was die Menschen auf der Welt zu tun entscheiden – angefangen mit denjenigen mit institutioneller und politischer Verantwortung. Aber letztlich müssen wir alle entscheiden. Wird diese Krise zum kurzfristigen individuellen Profit genutzt werden, wobei wie üblich Sündenböcke gesucht werden, oder wird sie ein Weckruf sein, der uns in die Realität zurückholt? Das ist kein Idealismus, sondern purer Realismus.
Aus dem Englischen von Jan Doolan