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Vorbereitung auf eine Welt mit höherer Inflation

CHICAGO – In vielen Ländern verändert sich die politische Landschaft dramatisch, womit sich möglicherweise sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa eine radikalere Politik ankündigt. Vor dem Hintergrund alternder Gesellschaften, der Deglobalisierung, des Klimawandels, der Ressentiments gegen Einwanderung sowie des technologischen Fortschritts werden die Zentralbanken in den kommenden Jahren aus vielen verschiedenen Richtungen unter Druck geraten.

Offensichtliche Problemfelder sind Fiskalpolitik und Verschuldung. Wenn radikale Politiker an die Macht kommen, haben sie selten Sparmaßnahmen im Sinn. Die meisten treten mit großen, gewagten Plänen an, die massive Ausgabensteigerungen erfordern. (Eine Ausnahme bildet der argentinische Präsident Javier Milei, der unter anderem deshalb gewählt wurde, um die Politik der vorherigen Radikalen rückgängig zu machen).

Aber auch gemäßigte politische Führungspersönlichkeiten werden in den kommenden Jahren größeren Druck verspüren, auf Ausgaben zu setzen. Die realen (inflationsbereinigten) Zinssätze werden wahrscheinlich zu ihrem langfristigen Trend zurückkehren, und das heißt, die Kosten für den Schuldendienst werden einen größeren Teil des Staatshaushalts aufzehren. Angesichts der geopolitischen Lage ist auch mit einem Anstieg der Militärausgaben zu rechnen, und die Ausgaben für Bildung werden wohl erhöht werden müssen, da die Staaten versuchen, ihre jeweiligen Bevölkerungen auf das Zeitalter der künstlichen Intelligenz vorzubereiten. Zu allem Überfluss werden klimarelevante Ausgaben und Subventionen noch dringlicher. Politische Dysfunktionalität erschwert die fiskalisch vernünftige Besteuerung von Emissionen oder die Erhöhung von Steuereinnahmen im Allgemeinen.

All diese zusätzlichen Nettoausgaben haben zur Folge, dass die Zentralbanken die expansiven Impulse der Regierungen durch ein strafferes Regime ausgleichen müssen. Da aber viele Länder bereits hoch verschuldet sind, werden anhaltend höhere reale Leitzinsen Zweifel an der Tragfähigkeit der Schulden aufkommen lassen. Es stellt sich die Frage, ob die Zentralbanken klein beigeben und höheres Preiswachstum zulassen, in der Hoffnung, einen Teil der Schulden durch Inflation abzutragen. Oder werden sie ihren jeweiligen Regierungen die Stirn bieten, die Zinssätze anheben und einen „Liz-Truss-Moment“ riskieren? Wenn fiskalische Prioritäten und Schuldenniveaus den geldpolitischen Handlungsspielraum bestimmen, sprechen Ökonomen von „fiskalischer Dominanz.“ Wir werden wahrscheinlich noch mehr Fälle dieser Art erleben.

Wie sieht es mit der demografischen Entwicklung aus? Charles Goodhart und Manoj Pradhan vertreten die Ansicht, dass sich das Wachstum infolge der zahlenmäßig schrumpfenden Erwerbsbevölkerung in China und der Bevölkerungsalterung in anderen Ländern verlangsamen wird. Unterdessen werden die Ausgaben steigen - zum Teil, um den Bedarf an mehr Altenpflege zu decken - und das Lohnwachstum könnte sich angesichts knapper werdender Arbeitskräfte erhöhen. All das wird die Inflation antreiben.

Andere sind freilich der Meinung, dass die Ersparnisse angesichts der Alterung zunehmen werden und die Einwanderung in alternde Länder dazu beitragen wird, den Arbeitskräftemangel zu beheben. Doch angesichts der offenen Weigerung vieler Länder mit alternder Bevölkerung, eine große Zahl von Zuwanderern aufzunehmen, erscheint dieses optimistische Szenario weniger wahrscheinlich.

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Seit Donald Trump umfassende Zölle auf Einfuhren aus China verhängt hat, erleben wir auf breiter Front eine Rückkehr des Protektionismus, die sich zunächst in geringeren grenzüberschreitenden Investitionen niederschlägt. Bislang hat sich der Handel gut gehalten, zum Teil weil chinesische Vorprodukte zur Endmontage in andere Länder geliefert werden, bevor die fertigen Produkte in die Vereinigten Staaten gelangen. Doch wenn Trump im Januar nächsten Jahres ins Weiße Haus zurückkehrt, wird er versuchen, diese Lieferungen in Drittländer zu unterbinden und gleichzeitig die Zölle pauschal zu erhöhen.

Die Deglobalisierung wird die Preise für ausländische Waren weiter in die Höhe treiben. Ob dieser Prozess jedoch inflationsfördernd wirkt, hängt möglicherweise davon ab, wie er sich abspielt. Wie Ludovica Ambrosino, Jenny Chan und Silvana Tenreyro in einer aktuellen Arbeit anmerken, wird die Inflation im Falle plötzlicher verhängter Zölle deutlich ansteigen, und die Zentralbanken werden kaum umhin kommen, die Zinssätze zu erhöhen.

Mittelfristig, so die Forschenden, werden einheimische Importeure auf alternative Anbieter ausweichen; und da die Wirtschaft schwächer und der Konsum geringer sein wird (jeder Dollar an Ausgaben sorgt für weniger Importe), wird sich die Inflation abschwächen. Interessanterweise könnte die sinkende Nachfrage in Erwartung höherer Importpreise zu einer Verlangsamung der Inflation bei inländischen Gütern führen und die Gesamtinflation in Grenzen halten, wenn die höheren Importpreise schrittweise eintreten. Protektionismus kann also zu höheren Einfuhrpreisen führen; da er uns aber auch ärmer macht und die Nachfrage dämpft, wird er nicht zu einer wesentlichen Erhöhung der Inflation beitragen.

Diese relativ positive Sichtweise ist mit den Erfahrungen aus den Jahrzehnten der Globalisierung vor der globalen Finanzkrise zu vergleichen, als die Inflation weltweit rückläufig war. Wenn die Inflation mit der Globalisierung gesunken ist, stellt sich die Frage, ob die Deglobalisierung dann nicht für steigende Inflation sorgen wird?

So argumentieren jedenfalls Hassan Afrouzi, Marina Halac, Kenneth Rogoff und Pierre Yared. Aufgrund des geringeren Wettbewerbs lässt die Deglobalisierung die Monopolgewinne steigen und erhöht damit die Versuchung der Zentralbanken, mehr Inflation zuzulassen (um diese Gewinne zu schmälern und den Anteil der Arbeit an der Produktion zu erhalten). Freilich könnte die Deglobalisierung auch die Macht der Gewerkschaften stärken, wodurch erwähnte Versuchung unter den gleichen Annahmen abgeschwächt werden sollte. Da aber die Globalisierung mit einer niedrigeren Inflation einherging, sollten wir uns zumindest auf die Möglichkeit vorbereiten, dass die Deglobalisierung das Gegenteil bewirkt.

Der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft wird das Bild weiter verkomplizieren. Wie die aktuellen Arbeiten von Luca Fornaro, Veronica Guerrieri und Lucrezia Reichlin zeigen, führen umweltbezogene Vorschriften in der Regel zu zusätzlichen Kosten für schmutzige Energieträger. Dies kann so weit gehen, dass Banken solche Projekte gar nicht erst finanzieren wollen. Solange aber schmutzige Energie ein notwendiger Produktionsfaktor ist, wird die darauf aufbauende Herstellung kostenintensiver sein. Und im Falle steigender Nachfrage werden die Unternehmen mehr schmutzige Energie einsetzen müssen, wodurch Kosten und Erzeugerpreise weiter steigen.

Um die Inflation einzudämmen, müssen Notenbanken ihre Geldpolitik wesentlich straffer gestalten und das bedeutet langsameres Wachstum. Dadurch könnte auch die Nachfrage nach umweltfreundlicher Energie gebremst und Investitionen in erneuerbare Energien (die mittelfristig die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern würden) gehemmt werden. Angesichts dieser Aussichten wäre es möglich, dass ökologisch orientierte Zentralbanken vernünftigerweise eine höhere Inflation tolerieren, um den grünen Übergang zu erleichtern.

Die meisten der hier erörterten Kräfte und Dynamiken sprechen für eine höhere Inflation. Es trifft zu, dass der Inflationsdruck nachlassen könnte, wenn die Produktivität infolge technologischer Fortschritte wie beispielsweise einer weit verbreiteten Einführung der KI steigt, weil das Angebot größer und billiger wird. Zum jetzigen Zeitpunkt ist dies jedoch eher eine Hoffnung als eine Realität.

Die größte Sorge besteht vielleicht darin, dass radikale politische Führer, deren Wählerschaft einen Wandel fordert, die Voraussetzungen für höhere Inflation schaffen, indem sie etwa die Zuwanderung stoppen oder die Ausgaben ungehemmt erhöhen und gleichzeitig die Unabhängigkeit der Zentralbank untergraben. Das ist in der Vergangenheit regelmäßig passiert, und die Folgen präsentierten sich unschön. Vielleicht müssen wir die alten Lektionen auf die harte Tour neu lernen.

Übersetzung: Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/M7GtpoKde