WASHINGTON, DC – Der Nahe Osten ähnelt zunehmend einer Erdbebenzone mit mehreren Verwerfungslinien. Diese Woche eskalierten die Kämpfe entlang einer dieser Linien, nämlich an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon, genauer gesagt zwischen Israel und der Hisbollah. Dies wiederum löste Aktivitäten entlang einer anderen Verwerfungslinie aus. Der Iran, als staatliche Unterstützer der Hisbollah, feuerte im Rahmen eines Vergeltungsschlags ballistische Raketen auf Israel ab, das daraufhin mit einer harten Reaktion drohte. Weniger klar ist, was als Nächstes kommt, entweder entlang dieser speziellen Verwerfungslinien oder anderswo in der Region.
Aufgrund der Raketenangriffe der Hisbollah auf Israel nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober wurde eine Eskalation so gut wie unvermeidlich. Israel evakuierte etwa 60.000 Bürger von der Nordgrenze, um sie vor der Gefahr ähnlicher Angriffe wie jener der Hamas zu schützen, doch die immer heftiger werdenden Scharmützel zwischen der Hisbollah und Israel machten eine sichere Rückkehr unmöglich.
Die Entstehung dieser neuen Front wurde jedoch dadurch ermöglicht, dass die Situation in Gaza so etwas wie ein neues Gleichgewicht erreicht hatte. Im Lauf des vergangenen Jahres hat Israel die militärische Bedrohung durch die Hamas stark eingedämmt. Zwischen 10.000 und 20.000 ihrer Kämpfer wurden getötet, wobei zahlreiche ihrer Anführer entweder ermordet oder gezwungen wurden, sich auf unbestimmte Zeit in den labyrinthartigen Tunneln unter Gaza zu verstecken. Israel entschied, dass es seinen Fokus nun gefahrlos auf seine nördliche Grenze und die Hisbollah verlagern konnte.
Es ist beeindruckend, was Israel bisher gegen die Hisbollah erreicht hat. Durch die Zündung von in Pagern und Walkie-Talkies eingebauten Sprengsätzen und anschließende gezielte Luftangriffe dezimierte man die Führungsspitze der Hisbollah, darunter auch Hassan Nasrallah, der die Gruppe über drei Jahrzehnte lang anführte, und tötete eine beträchtliche Anzahl von Hisbollah-Kämpfern.
Nach den folgenschweren Versäumnissen der israelischen Geheimdienste im Vorfeld des 7. Oktober wurde das Ansehen des israelischen Sicherheitsapparats mit den Angriffen gegen die Hisbollah wiederhergestellt. Man hat damit seine Fähigkeit unter Beweis gestellt, präzise Informationen über feindliche Gruppen zu sammeln und diese Informationen auch entschlossen zu nutzen. Widerlegt wurde überdies die Annahme, Israel und die Hisbollah befänden sich in einer Pattsituation, im Rahmen derer Israel vor Angriffen auf die Hisbollah zurückschrecken würde, weil diese in der Lage ist, Israel unter Raketenbeschuss zu nehmen.
Den verdeckten Operationen und Luftangriffen Israels folgten Bodeneinsätze im Libanon von unbekanntem Ausmaß und unbekannter Dauer. Auch ihr Zweck bleibt unklar. Die Hisbollah auszuschalten ist unmöglich, und die Besetzung großer Teile des Libanon wäre angesichts der schlechten Erfahrungen Israels mit derartigen Unternehmungen unklug.
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Israels derzeitige Politik scheint eher darauf ausgerichtet zu sein, die Hisbollah von weiteren Angriffen abzuhalten, aber auch das könnte sich als unmöglich erweisen. Obwohl Israel die Organisation deutlich geschwächt hat, verfügt diese immer noch über beträchtliche Kampfkraft, wodurch sie zu einem gefährlichen Gegner wird, insbesondere in einem Krieg, der hauptsächlich auf ihrem eigenem Territorium ausgetragen wird. Gleichzeitig muss die Hisbollah, während sie neue Anführer etabliert, entscheiden, ob und wie sie auf Israel reagieren soll. Je heftiger sie zurückschlägt, desto mehr provoziert sie einen massiven israelischen Militäreinsatz. Kurz gesagt, es ist alles andere als klar, wohin das alles führen wird.
Es ist durchaus möglich, Verständnis für Israels Vorgehensweise im Libanon zu haben, aber gleichzeitig Kritik am Vorgehen und den Versäumnissen in Gaza zu üben. Die Hamas ist wie die Hisbollah eine vom Iran unterstützte Terrororganisation, die die Vernichtung Israels anstrebt. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Bei der Hamas handelt es sich um eine nationale Befreiungsbewegung, die von Teilen der palästinensischen Bevölkerung unterstützt wird. Die Hisbollah hingegen ist ein reines Instrument der iranischen Außenpolitik, das wenig mit den Bestrebungen der Libanesen oder der Palästinenser zu tun hat.
Außerdem würde kein Land eine Bedrohung hinnehmen, aufgrund derer Zehntausende seiner Bürger ihre Häuser verlassen müssen. Die libanesische Regierung verwirkt einige der üblicherweise mit Souveränität verbundenen Vorteile, da sie ihrer Verpflichtung nicht nachkommt, dafür zu sorgen, dass ihr Staatsgebiet nicht von Terroristen für Angriffe auf ein anderes Land genutzt wird.
Der Iran hat auf diese Angriffe gegen seinen vermeintlich stärksten Stellvertreter mit dem möglicherweise verhängnisvollen Schritt reagiert, Israel direkt anzugreifen. Ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass der Iran so gehandelt hat, obwohl seine Führung sich vielleicht dazu gezwungen sah, um nicht den Eindruck von Schwäche zu erwecken. Oder sie dachten, sie könnten sich mit einem Angriff auf Israel aus der Affäre ziehen, ohne eine nennenswerte militärische Reaktion zu provozieren. Doch der Iran hat Israel mit diesem Angriff nun eine Rechtfertigung für einen Gegenschlag geliefert, beispielsweise in Form von Attacken auf Nuklearanlagen und militärische Ziele oder sogar auf Anlagen im Energiesektor, die für die Wirtschaft des Landes von zentraler Bedeutung sind. Israel hat im April nach einem erfolglosen iranischen Drohnen- und Raketenangriff bewiesen, dass es dazu in der Lage ist.
Viele Israelis würden einen direkten Angriff auf den Iran begrüßen, da sie es leid sind, sich mit dessen vielen Stellvertretern herumzuschlagen. Nach Jahren indirekter Konflikte besteht im Land breite Unterstützung dafür, die Sache direkt anzugehen, in der Hoffnung, dass der Iran dadurch überzeugt werden kann, seine Unterstützung für seine Stellvertreter einzuschränken. Einige scheinen sogar zu glauben, dass Angriffe dieser Art Ereignisse auslösen könnten, die zum Sturz des iranischen Regimes führen würden. Anfang dieser Woche sagte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu: „Wenn der Iran endlich frei ist – und dieser Moment wird viel schneller kommen, als die Menschen denken – wird alles anders sein.“
Ein Regimewechsel ist nicht auszuschließen, auch wenn er alles andere als wahrscheinlich, geschweige denn sicher ist. Ebenfalls unklar bleibt, welche Art von Regierung die aktuelle iranische Führung ersetzen könnte. Das derzeitige Regime wird die kommenden Herausforderungen höchstwahrscheinlich überstehen und Wege finden, israelische und westliche Ziele auf der ganzen Welt anzugreifen, und vor allem seine Bemühungen zur Entwicklung von Atomwaffen zu beschleunigen.
Wir nähern uns im Nahen Osten möglicherweise einem Wendepunkt. Wir wissen nur nicht, wohin uns diese Wende führen könnte.
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While "globalization" typically conjures images of long-distance trade and migration, the concept also encompasses health, the climate, and other forms of international interdependence. The perverse irony is that an anti-globalist America may end up limiting the beneficial forms while amplifying the harmful ones.
worries that we will end up with only harmful long-distance dependencies, rather than beneficial ones.
Though Donald Trump attracted more support than ever from working-class voters in the 2024 US presidential election, he has long embraced an agenda that benefits the wealthiest Americans above all. During his second term, however, Trump seems committed not just to serving America’s ultra-rich, but to letting them wield state power themselves.
Given the United Kingdom’s poor investment performance over the past 30 years, any government would need time and luck to turn things around. For so many critics and commentators to trash the current government’s growth agenda before it has even been launched is counterproductive, if not dangerous.
sees promise in the current government’s economic-policy plan despite its imperfections.
WASHINGTON, DC – Der Nahe Osten ähnelt zunehmend einer Erdbebenzone mit mehreren Verwerfungslinien. Diese Woche eskalierten die Kämpfe entlang einer dieser Linien, nämlich an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon, genauer gesagt zwischen Israel und der Hisbollah. Dies wiederum löste Aktivitäten entlang einer anderen Verwerfungslinie aus. Der Iran, als staatliche Unterstützer der Hisbollah, feuerte im Rahmen eines Vergeltungsschlags ballistische Raketen auf Israel ab, das daraufhin mit einer harten Reaktion drohte. Weniger klar ist, was als Nächstes kommt, entweder entlang dieser speziellen Verwerfungslinien oder anderswo in der Region.
Aufgrund der Raketenangriffe der Hisbollah auf Israel nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober wurde eine Eskalation so gut wie unvermeidlich. Israel evakuierte etwa 60.000 Bürger von der Nordgrenze, um sie vor der Gefahr ähnlicher Angriffe wie jener der Hamas zu schützen, doch die immer heftiger werdenden Scharmützel zwischen der Hisbollah und Israel machten eine sichere Rückkehr unmöglich.
Die Entstehung dieser neuen Front wurde jedoch dadurch ermöglicht, dass die Situation in Gaza so etwas wie ein neues Gleichgewicht erreicht hatte. Im Lauf des vergangenen Jahres hat Israel die militärische Bedrohung durch die Hamas stark eingedämmt. Zwischen 10.000 und 20.000 ihrer Kämpfer wurden getötet, wobei zahlreiche ihrer Anführer entweder ermordet oder gezwungen wurden, sich auf unbestimmte Zeit in den labyrinthartigen Tunneln unter Gaza zu verstecken. Israel entschied, dass es seinen Fokus nun gefahrlos auf seine nördliche Grenze und die Hisbollah verlagern konnte.
Es ist beeindruckend, was Israel bisher gegen die Hisbollah erreicht hat. Durch die Zündung von in Pagern und Walkie-Talkies eingebauten Sprengsätzen und anschließende gezielte Luftangriffe dezimierte man die Führungsspitze der Hisbollah, darunter auch Hassan Nasrallah, der die Gruppe über drei Jahrzehnte lang anführte, und tötete eine beträchtliche Anzahl von Hisbollah-Kämpfern.
Nach den folgenschweren Versäumnissen der israelischen Geheimdienste im Vorfeld des 7. Oktober wurde das Ansehen des israelischen Sicherheitsapparats mit den Angriffen gegen die Hisbollah wiederhergestellt. Man hat damit seine Fähigkeit unter Beweis gestellt, präzise Informationen über feindliche Gruppen zu sammeln und diese Informationen auch entschlossen zu nutzen. Widerlegt wurde überdies die Annahme, Israel und die Hisbollah befänden sich in einer Pattsituation, im Rahmen derer Israel vor Angriffen auf die Hisbollah zurückschrecken würde, weil diese in der Lage ist, Israel unter Raketenbeschuss zu nehmen.
Den verdeckten Operationen und Luftangriffen Israels folgten Bodeneinsätze im Libanon von unbekanntem Ausmaß und unbekannter Dauer. Auch ihr Zweck bleibt unklar. Die Hisbollah auszuschalten ist unmöglich, und die Besetzung großer Teile des Libanon wäre angesichts der schlechten Erfahrungen Israels mit derartigen Unternehmungen unklug.
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Israels derzeitige Politik scheint eher darauf ausgerichtet zu sein, die Hisbollah von weiteren Angriffen abzuhalten, aber auch das könnte sich als unmöglich erweisen. Obwohl Israel die Organisation deutlich geschwächt hat, verfügt diese immer noch über beträchtliche Kampfkraft, wodurch sie zu einem gefährlichen Gegner wird, insbesondere in einem Krieg, der hauptsächlich auf ihrem eigenem Territorium ausgetragen wird. Gleichzeitig muss die Hisbollah, während sie neue Anführer etabliert, entscheiden, ob und wie sie auf Israel reagieren soll. Je heftiger sie zurückschlägt, desto mehr provoziert sie einen massiven israelischen Militäreinsatz. Kurz gesagt, es ist alles andere als klar, wohin das alles führen wird.
Es ist durchaus möglich, Verständnis für Israels Vorgehensweise im Libanon zu haben, aber gleichzeitig Kritik am Vorgehen und den Versäumnissen in Gaza zu üben. Die Hamas ist wie die Hisbollah eine vom Iran unterstützte Terrororganisation, die die Vernichtung Israels anstrebt. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Bei der Hamas handelt es sich um eine nationale Befreiungsbewegung, die von Teilen der palästinensischen Bevölkerung unterstützt wird. Die Hisbollah hingegen ist ein reines Instrument der iranischen Außenpolitik, das wenig mit den Bestrebungen der Libanesen oder der Palästinenser zu tun hat.
Außerdem würde kein Land eine Bedrohung hinnehmen, aufgrund derer Zehntausende seiner Bürger ihre Häuser verlassen müssen. Die libanesische Regierung verwirkt einige der üblicherweise mit Souveränität verbundenen Vorteile, da sie ihrer Verpflichtung nicht nachkommt, dafür zu sorgen, dass ihr Staatsgebiet nicht von Terroristen für Angriffe auf ein anderes Land genutzt wird.
Der Iran hat auf diese Angriffe gegen seinen vermeintlich stärksten Stellvertreter mit dem möglicherweise verhängnisvollen Schritt reagiert, Israel direkt anzugreifen. Ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass der Iran so gehandelt hat, obwohl seine Führung sich vielleicht dazu gezwungen sah, um nicht den Eindruck von Schwäche zu erwecken. Oder sie dachten, sie könnten sich mit einem Angriff auf Israel aus der Affäre ziehen, ohne eine nennenswerte militärische Reaktion zu provozieren. Doch der Iran hat Israel mit diesem Angriff nun eine Rechtfertigung für einen Gegenschlag geliefert, beispielsweise in Form von Attacken auf Nuklearanlagen und militärische Ziele oder sogar auf Anlagen im Energiesektor, die für die Wirtschaft des Landes von zentraler Bedeutung sind. Israel hat im April nach einem erfolglosen iranischen Drohnen- und Raketenangriff bewiesen, dass es dazu in der Lage ist.
Viele Israelis würden einen direkten Angriff auf den Iran begrüßen, da sie es leid sind, sich mit dessen vielen Stellvertretern herumzuschlagen. Nach Jahren indirekter Konflikte besteht im Land breite Unterstützung dafür, die Sache direkt anzugehen, in der Hoffnung, dass der Iran dadurch überzeugt werden kann, seine Unterstützung für seine Stellvertreter einzuschränken. Einige scheinen sogar zu glauben, dass Angriffe dieser Art Ereignisse auslösen könnten, die zum Sturz des iranischen Regimes führen würden. Anfang dieser Woche sagte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu: „Wenn der Iran endlich frei ist – und dieser Moment wird viel schneller kommen, als die Menschen denken – wird alles anders sein.“
Ein Regimewechsel ist nicht auszuschließen, auch wenn er alles andere als wahrscheinlich, geschweige denn sicher ist. Ebenfalls unklar bleibt, welche Art von Regierung die aktuelle iranische Führung ersetzen könnte. Das derzeitige Regime wird die kommenden Herausforderungen höchstwahrscheinlich überstehen und Wege finden, israelische und westliche Ziele auf der ganzen Welt anzugreifen, und vor allem seine Bemühungen zur Entwicklung von Atomwaffen zu beschleunigen.
Wir nähern uns im Nahen Osten möglicherweise einem Wendepunkt. Wir wissen nur nicht, wohin uns diese Wende führen könnte.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier