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Kamala Harris' wirtschaftliche Prioritäten

NEW YORK – Umfragen zufolge liegt Kamala Harris‘ Wahrscheinlichkeit die US-Präsidentschaftswahlen im nächsten Monat zu gewinnen, bei mindestens 50 Prozent. Daher sind Fragen zu ihrer wirtschaftspolitischen Agenda in den Vordergrund gerückt. Natürlich wird auch viel von den Ergebnissen in den untergeordneten politischen Ebenen abhängen. Wenn die Demokraten das Weiße Haus und beide Häuser des Kongresses gewinnen würden, könnten sie mit einfacher Mehrheit ihre Fiskalpolitik umsetzen (durch den sogenannten Haushaltsausgleichsprozess). Andernfalls wäre eine Harris-Regierung natürlich stärker eingeschränkt.

Als Harris 2019 (kurzzeitig) für das Präsidentenamt kandidierte, lagen ihre wirtschaftlichen Vorschläge weit links von denen der Demokratischen Partei. Unter anderem unterstützte sie eine universelle, staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung, die Entkriminalisierung illegaler Grenzübertritte, einen „Green New Deal“ in Höhe von 10 Billionen US-Dollar zur Bekämpfung des Klimawandels und ein Verbot von Fracking.

Jetzt tritt sie mit einem eher zentristischen Programm an, das die Unterstützung des Affordable Care Act (Obamacare) vorsieht, wenn auch mit einigen neuen Akzenten wie einer Preisobergrenze für Insulin und einer Ausweitung der staatlichen Befugnis, die Arzneimittelpreise für Medicare und Medicaid auszuhandeln. Außerdem befürwortet sie das jüngste parteiübergreifende Abkommen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung, von dem ihr Gegner Donald Trump die Republikaner aus wahltaktischen Gründen überzeugt hat, es zu verwerfen. Und sie akzeptiert Fracking und unterstützt die (auf 1 Billion US-Dollar) stärker begrenzten grünen Ausgaben im Rahmen des Inflation Reduction Act. (Tatsächlich hat sie den Klimawandel in ihren Reden kaum erwähnt.)

Obwohl viele der anderen Vorschläge von Harris vage bleiben, scheint sie für eine Fortsetzung der Wirtschaftspolitik von Präsident Joe Biden zu stehen. Sie würde Bemühungen unterstützen, die Produktion wieder in die USA zu verlagern und eine „Chancenwirtschaft“ mit inklusiverem Wachstum zu schaffen. Vor staatlichen Eingriffen würde sie nicht zurückschrecken, insbesondere vor industriepolitischen Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaftssektoren und Technologien der Zukunft. Und sie würde versuchen, die Macht großer oligopolistischer Unternehmen durch Regulierung einzuschränken.

In Bezug auf die Fiskalpolitik schlägt Harris vor, die Kosten für die Kinderbetreuung auf 7 Prozent des Haushaltseinkommens zu begrenzen (was eine Subvention impliziert), die Steuergutschrift für Kinder wieder einzuführen und Erstkäufern von Eigenheimen eine Steuergutschrift in Höhe von 25.000 US-Dollar zu gewähren. Da diese Maßnahmen die Nachfrage und die Preise erhöhen könnten, plant sie auch, das Angebot an erschwinglichem Wohnraum zu erhöhen. Sie würde einige neue Steuergutschriften für kleine Unternehmen einführen und die Steuersenkungen von Trump auf Haushalte ausweiten, die weniger als 400.000 US-Dollar pro Jahr verdienen.

Um diese Maßnahmen zu finanzieren, sieht ihr Programm vor, den Körperschaftssteuersatz von 21 auf 28 Prozent zu erhöhen, die Steuern für sehr Vermögende (deren oberster Grenzsteuersatz derzeit bei 39 Prozent liegt) anzuheben und die Möglichkeit einer Steuer auf nicht realisierte Kapitalerträge zu prüfen. Und schließlich hat sie nicht vor, Leistungsprogramme wie die Sozialversicherung und Medicare zu reformieren. Insgesamt schätzt der Ausschuss für einen verantwortungsvollen Bundeshaushalt, dass Harris' Vorschläge über einen Zeitraum von zehn Jahren 3,5 Billionen US-Dollar kosten würden, während Trumps Vorschläge auf 7,5 Billionen US-Dollar kämen, sofern keine anderen Steuern (wie Zölle) eingeführt werden.

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Harris' Handelspolitik wäre der von Biden recht ähnlich, auch wenn sie im Wahlkampf nur sehr wenig über China spricht. In strategischen Sektoren wie kritischen Metallen, seltenen Erden, grüner Technologie und Hightech würde man weiterhin auf Risikominderung setzen – aber nicht auf Entkopplung – sowie auf Sanktionen und Exportbeschränkungen für Halbleiter und andere Vorleistungen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz.

Die Biden-Regierung hat ihren Ansatz als die Errichtung eines kleinen Hofes mit einem hohen Zaun beschrieben, deren Erweiterung Harris wohl vorhat. So würden Zölle – wie die 100-prozentige Abgabe auf in China hergestellte Elektrofahrzeuge – beibehalten, die Beschränkungen für ausländische Direktinvestitionen in China und aus China verschärft und viele der Vorschläge des Sonderausschusses des Repräsentantenhauses für China aufgegriffen werden.

Im Gegensatz zu Trump sieht Harris‘ Programm jedoch nicht vor, Zölle gegenüber Freunden und Verbündeten zu erheben oder pauschale Zölle auf alle chinesischen Waren einzuführen. Vielmehr würde sie einen kontrollierten strategischen Wettbewerb mit China anstreben, anstatt eine vollständige Eindämmung oder Entkopplung. Sie wäre bestrebt, die NATO-Verbündeten dazu zu bewegen, mindestens 2 Prozent ihres BIP für Verteidigung auszugeben (23 von 32 tun dies bereits), und sie befürwortet Allianzen, multilaterale Sicherheitsabkommen wie Quad und AUKUS sowie bilaterale Beziehungen zu wichtigen Partnern wie Indien und den Philippinen. Sie ist für den Verbleib der USA im Pariser Klimaabkommen und würde versuchen, die Bemühungen zur Reduzierung der Emissionen zu verstärken und den ökologischen Übergang zu beschleunigen.

Wie Biden würde Harris jedoch nicht versuchen, dem Nachfolger der Transpazifischen Partnerschaft beizutreten, obwohl viele Strategen der Meinung sind, dass der „Schwenk nach Asien“ ein wirtschaftliches Standbein braucht. Während sie an der flexiblen Wechselkurspolitik Amerikas festhält, könnte sie sich stärker auf die Drohung stützen, einige Länder als Währungsmanipulatoren zu brandmarken. Aus dem gleichen Grund würde sie weiterhin zulassen, dass der US-Dollar als Waffe der nationalen Sicherheit eingesetzt wird (durch primäre und sekundäre Sanktionen). Aber vermutlich wäre sie auch klug genug, eine Politik zu verfolgen, die darauf abzielt, den Status des Greenback als wichtigste globale Reservewährung zu erhalten.

Somit würde sich Harris' Fiskal-, Handels-, Klima-, Einwanderungs-, Währungs- und China-Politik deutlich von der ihres Gegners unterscheiden. Trumps Agenda wird mit größerer Wahrscheinlichkeit zu Inflation führen, das Wirtschaftswachstum verringern (durch Zölle, eine Währungsabwertung und Einwanderungsbeschränkungen) und den Haushalt sprengen. Die Märkte haben jedoch den Schaden, den Trump der Wirtschaft und den Märkten zufügen würde, nicht eingepreist. Vielleicht würde eine geteilte Regierung ihn zügeln. Vielleicht würden seine gemäßigteren Politikberater oder Marktdisziplin seine radikalsten politischen Positionen abschwächen. Dennoch ist die Wahl an der Spitze des Stimmzettels sehr klar.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

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