varoufakis94_Sean GallupGetty Images_lignite wind eu Sean Gallup/Getty Images

Zeit für eine Sprengung der Strommärkte

ATHEN: Die Rotoren der Windräder auf dem Gebirgszug vor meinem Fenster drehen sich heute besonders schwungvoll. Der Sturm der vergangenen Nacht hat nachgelassen, doch es ist noch immer sehr windig, was ohne jede Kosten (oder, im Sprachgebrauch der Ökonomen: zu Grenzkosten) zusätzliche Kilowatt in das Stromnetz einspeist. Doch die Menschen, die in der aktuellen schrecklichen Krise bei den Lebenshaltungskosten nur mit Mühe über die Runden kommen, müssen für diesen Strom bezahlen, als würde er mittels des teuersten Flüssigerdgases (LNG) produziert, das aus Texas an Griechenlands Küsten transportiert wird. Diese weit über Griechenlands und Europas Grenzen hinaus vorherrschende Absurdität muss aufhören.

Die Absurdität rührt aus der irrigen Annahme, dass Staaten einen konkurrenzbestimmten und daher effizienten Strommarkt simulieren können. Überließe man die Sache dem Markt, wäre das Ergebnis, weil nur ein Stromkabel in unsere Wohnungen oder Geschäftsräume führt, ein perfektes Monopol – was niemand will. Doch entschieden die Regierungen, dass sie einen konkurrenzbestimmten Markt nachstellen könnten, um die öffentlichen Versorger, die früher unseren Strom erzeugt und vertrieben haben, zu ersetzen. Das jedoch funktioniert nicht.

Der EU-Stromsektor ist ein gutes Beispiel dafür, was der Marktfundamentalismus den Stromnetzen weltweit angetan hat. Die EU hat ihre Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre Stromnetze von den Kraftwerken abzuspalten und zu privatisieren, um neue Unternehmen zu schaffen, die miteinander darum konkurrieren, einem anderen neuen Unternehmen, das nun Eigentümer des Stromnetzes ist, Strom zur Verfügung zu stellen. Dieses Unternehmen wiederum soll seine Kabel an eine Vielzahl weiterer Unternehmen vermieten, die den Strom dann in großen Mengen kaufen und miteinander um das Endkundengeschäft mit Wohnungen und Unternehmen konkurrieren. Der Wettbewerb zwischen den Produzenten soll so den Großhandelspreis minimieren, und der Wettbewerb zwischen den Weiterverkäufern soll sicherstellen, dass die Endverbraucher von niedrigen Preisen und einem hochwertigen Service profitieren.

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