NEW YORK – Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Havanna zu einer der dynamischsten Städte der Welt. Steigende Zuckerpreise und ein günstiges globales Umfeld führten während der ersten Hälfte der 1920er Jahre dazu, dass Kuba mit Geld und Krediten überschwemmt wurde – zum so genannten „Tanz der Millionen“. Danach aber, so beschreibt es David Lubin in seinem Buch Dance of the Trillions (Tanz der Milliarden), war die Party ziemlich wieder schnell zu Ende. Dies lag vor allem an den steigenden US-Zinsen, aufgrund derer die Liquidität wieder in die Vereinigten Staaten zurückfloss. Seitdem hat sich die kubanische Zuckerindustrie nie wieder erholt.
Heute wiederum haben sich die US-Kredite, die in den Entwicklungsländern an Schuldner außerhalb des Bankensektors vergeben wurden, seit der globalen Finanzkrise von 2008 mehr als verdoppelt – und Ende 2017 eine Höhe von 3,7 Billionen Dollar erreicht. Dabei sollte uns die kubanische Erfahrung als Warnung dienen. Aber die Industriestaaten haben heute noch ein weiteres Problem: Das globale Finanzwesen richtet sich immer weniger am „Washington-Konsens“ aus, der für Transparenz und verbindliche Regeln für alle steht, sondern immer mehr an einem unklaren und intransparenten „Peking-Konsens“.
China ist heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und der weltweit führende Kreditgeber für die Entwicklungsländer. Also hat das Reich der Mitte die Lücke gefüllt, die der Rückzug der westlichen Gläubiger hinterlassen hat. Die Bedingungen, zu den diese bilateralen Kredite – oft aus politischen und strategischen Gründen – vergeben werden, sind so undurchsichtig, dass nur China selbst ihr Volumen, ihre Fälligkeiten und ihre Kosten kennt. Daher ist die Einschätzung, ob die Schulden nachhaltig sind, schwieriger als jemals zuvor.
Aber es gibt gute Gründe zu glauben, dass viele Länder in einer sehr riskanten Lage sind. Laut dem Internationalen Währungsfonds befinden sich mehr als 45% der Länder mit geringem Einkommen nah an einer Schuldenkrise oder bereits mitten drin. Und die Rating-Agentur Moodys betont, dass viele der Länder, die von China an der Infrastrukturinitiative „Gürtel und Straße“ beteiligt wurden, weltweit zu denjenigen mit den größten finanziellen Unsicherheiten zählen.
Diese Länder sollten großen Kreditgebern wie China nicht ausgeliefert sein. Nach Angaben des IMF verfügen die Staaten in aller Welt über öffentliche Güter in Höhe von mindestens dem Doppelten des globalen BIP. Anstatt dieses Guthaben zu vernachlässigen, wie es die meisten Regierungen heute tun, sollte es genutzt werden, um Werte zu schaffen.
Die meisten Länder besitzen Flughäfen, Häfen, U-Bahn-Systeme und Versorgungseinrichtungen, ganz zu schweigen von mehr Immobilienvermögen, als allgemein bekannt ist. Betrachtet man beispielsweise die Bilanz der Stadt Boston, könnte man meinen, dass der Gesamtwert die Stadt unterm Strich negativ ist. Aber die Immobilien, die Boston besitzt, sind fast das vierzigfache der Summe wert, mit der sie in den Büchern stehen, da sich dieser Buchwert an den historischen Anschaffungskosten orientiert. Mit anderen Worten, die Stadt verfügt über ein enormes Potenzial an verstecktem Reichtum.
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Und Boston ist damit nicht allein. In vielen Länden liegt der Wert der öffentlichen Immobilien bei etwa 100% des BIP und damit bei einem Viertel des gesamten Immobilienmarkts. Die Regierungen erkennen dies aber nicht, was zu enormen Opportunitätskosten führt.
Bestätigt wird dieser Ansatz nicht zuletzt durch asiatische Städte wie Singapur oder Hongkong, die einst ebenso arm waren wie viele der heutigen Städte in den asiatischen Entwicklungsländern, und sicherlich viel weniger wohlhabend als damalige Havanna. Erinnern wir uns, dass Singapur, als es Ende der 1960er Jahre die Unabhängigkeit erlangte, kein sehr vielversprechender Ort war. Das Leben war dort gefährlicher und riskanter als in den meisten heutigen Städten.
Damals glaubten nur wenige, dass Singapur überleben würde – ganz zu schweigen davon, dass es einmal reich werden könnte. Lee Kuan Yew, Singapurs erster Ministerpräsident, soll noch 1957 gesagt haben, die Möglichkeit eines unabhängigen Singapur sei eine „politische, wirtschaftliche und geografische Absurdität“.
Aber trotzdem hat sich die Stadt entwickelt, was teilweise an der unorthodoxen Entscheidung liegt, ihre öffentlichen Güter bestmöglich zu nutzen. Dazu wurden Portfolios dieser Güter in Fonds zusammengefasst, die dann von professionellen Managern verwaltet wurden.
Temasek und GIC, die von der Regierung gegründeten Beteiligungsgesellschaften, haben dann mit passenden Verwaltungswerkzeugen aus dem privaten Sektor die wirtschaftliche Entwicklung Singapurs finanziert. Und HDB, der städtische Immobilienfonds, versorgte fast 80% der Bewohner des Stadtstaats mit öffentlichen Wohnungen.
Auch in Kopenhagen wurden die Politiker nach der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre kreativ. Sie überführten die alte Hafenanlage der Stadt und einen ehemaligen Militärstandort an Stadtrand in einen professionell verwalteten öffentlichen Fonds. So wurde nicht nur die Hafengegend der Stadt in eine sehr beliebte Gegend verwandelt, sondern auch der Bau eines Transitsystems ermöglicht – und dies alles, ohne dafür die Steuereinnahmen anzutasten.
Auch Hongkong war sich seiner akuten Haushaltsprobleme bewusst und fand einen Weg, ein U-Bahn- und Stadtbahnsystem von der Größe desjenigen in New York City zu bauen, ohne dafür Steuergelder verwenden zu müssen: Die Stadt entwickelte dazu einfach die Immobilien in der Nähe der Haltestellen.
Es ist bekannt, das die Abhängigkeit von ausländischem Kapital erhebliche Risiken birgt – insbesondere dann, wenn das Kapital schnell wieder abgezogen werden kann, wie Kuba schmerzlich erfahren musste. Nutzt man allerdings das volle Potenzial der vorhandenen öffentlichen Güter aus, kann man damit die Regierungsfinanzen stärken, die Nachhaltigkeit der Schulden steigern und die Kreditwürdigkeit verbessern, was langfristig entscheidend zur wirtschaftlichen Entwicklung beiträgt. Um die Regierungen zu solchen Maßnahmen zu bewegen, sollte eigentlich keine Krise nötig sein.
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At the end of a year of domestic and international upheaval, Project Syndicate commentators share their favorite books from the past 12 months. Covering a wide array of genres and disciplines, this year’s picks provide fresh perspectives on the defining challenges of our time and how to confront them.
ask Project Syndicate contributors to select the books that resonated with them the most over the past year.
NEW YORK – Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Havanna zu einer der dynamischsten Städte der Welt. Steigende Zuckerpreise und ein günstiges globales Umfeld führten während der ersten Hälfte der 1920er Jahre dazu, dass Kuba mit Geld und Krediten überschwemmt wurde – zum so genannten „Tanz der Millionen“. Danach aber, so beschreibt es David Lubin in seinem Buch Dance of the Trillions (Tanz der Milliarden), war die Party ziemlich wieder schnell zu Ende. Dies lag vor allem an den steigenden US-Zinsen, aufgrund derer die Liquidität wieder in die Vereinigten Staaten zurückfloss. Seitdem hat sich die kubanische Zuckerindustrie nie wieder erholt.
Heute wiederum haben sich die US-Kredite, die in den Entwicklungsländern an Schuldner außerhalb des Bankensektors vergeben wurden, seit der globalen Finanzkrise von 2008 mehr als verdoppelt – und Ende 2017 eine Höhe von 3,7 Billionen Dollar erreicht. Dabei sollte uns die kubanische Erfahrung als Warnung dienen. Aber die Industriestaaten haben heute noch ein weiteres Problem: Das globale Finanzwesen richtet sich immer weniger am „Washington-Konsens“ aus, der für Transparenz und verbindliche Regeln für alle steht, sondern immer mehr an einem unklaren und intransparenten „Peking-Konsens“.
China ist heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und der weltweit führende Kreditgeber für die Entwicklungsländer. Also hat das Reich der Mitte die Lücke gefüllt, die der Rückzug der westlichen Gläubiger hinterlassen hat. Die Bedingungen, zu den diese bilateralen Kredite – oft aus politischen und strategischen Gründen – vergeben werden, sind so undurchsichtig, dass nur China selbst ihr Volumen, ihre Fälligkeiten und ihre Kosten kennt. Daher ist die Einschätzung, ob die Schulden nachhaltig sind, schwieriger als jemals zuvor.
Aber es gibt gute Gründe zu glauben, dass viele Länder in einer sehr riskanten Lage sind. Laut dem Internationalen Währungsfonds befinden sich mehr als 45% der Länder mit geringem Einkommen nah an einer Schuldenkrise oder bereits mitten drin. Und die Rating-Agentur Moodys betont, dass viele der Länder, die von China an der Infrastrukturinitiative „Gürtel und Straße“ beteiligt wurden, weltweit zu denjenigen mit den größten finanziellen Unsicherheiten zählen.
Diese Länder sollten großen Kreditgebern wie China nicht ausgeliefert sein. Nach Angaben des IMF verfügen die Staaten in aller Welt über öffentliche Güter in Höhe von mindestens dem Doppelten des globalen BIP. Anstatt dieses Guthaben zu vernachlässigen, wie es die meisten Regierungen heute tun, sollte es genutzt werden, um Werte zu schaffen.
Die meisten Länder besitzen Flughäfen, Häfen, U-Bahn-Systeme und Versorgungseinrichtungen, ganz zu schweigen von mehr Immobilienvermögen, als allgemein bekannt ist. Betrachtet man beispielsweise die Bilanz der Stadt Boston, könnte man meinen, dass der Gesamtwert die Stadt unterm Strich negativ ist. Aber die Immobilien, die Boston besitzt, sind fast das vierzigfache der Summe wert, mit der sie in den Büchern stehen, da sich dieser Buchwert an den historischen Anschaffungskosten orientiert. Mit anderen Worten, die Stadt verfügt über ein enormes Potenzial an verstecktem Reichtum.
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Und Boston ist damit nicht allein. In vielen Länden liegt der Wert der öffentlichen Immobilien bei etwa 100% des BIP und damit bei einem Viertel des gesamten Immobilienmarkts. Die Regierungen erkennen dies aber nicht, was zu enormen Opportunitätskosten führt.
Hätten sie eine professionelle und politisch unabhängige Verwaltung dafür, könnten Städte mit ihren kommerziellen Vermögenswerten – realistisch betrachtet – eine Rendite in Höhe von 3% erzielen. Am Beispiel von Boston wäre das ein Einkommen, das um ein Vielfaches höher liegt als die aktuelle städtische Finanzplanung. Tatsächlich könnten viele Volkswirtschaften aus der professionellen Verwaltung öffentlicher Güter jährlich mehr Einnahmen generieren als aus den Körperschaftssteuern. Dies hätte deutlich mehr Mittel zur Finanzierung der Infrastruktur zur Folge.
Bestätigt wird dieser Ansatz nicht zuletzt durch asiatische Städte wie Singapur oder Hongkong, die einst ebenso arm waren wie viele der heutigen Städte in den asiatischen Entwicklungsländern, und sicherlich viel weniger wohlhabend als damalige Havanna. Erinnern wir uns, dass Singapur, als es Ende der 1960er Jahre die Unabhängigkeit erlangte, kein sehr vielversprechender Ort war. Das Leben war dort gefährlicher und riskanter als in den meisten heutigen Städten.
Damals glaubten nur wenige, dass Singapur überleben würde – ganz zu schweigen davon, dass es einmal reich werden könnte. Lee Kuan Yew, Singapurs erster Ministerpräsident, soll noch 1957 gesagt haben, die Möglichkeit eines unabhängigen Singapur sei eine „politische, wirtschaftliche und geografische Absurdität“.
Aber trotzdem hat sich die Stadt entwickelt, was teilweise an der unorthodoxen Entscheidung liegt, ihre öffentlichen Güter bestmöglich zu nutzen. Dazu wurden Portfolios dieser Güter in Fonds zusammengefasst, die dann von professionellen Managern verwaltet wurden.
Temasek und GIC, die von der Regierung gegründeten Beteiligungsgesellschaften, haben dann mit passenden Verwaltungswerkzeugen aus dem privaten Sektor die wirtschaftliche Entwicklung Singapurs finanziert. Und HDB, der städtische Immobilienfonds, versorgte fast 80% der Bewohner des Stadtstaats mit öffentlichen Wohnungen.
Auch in Kopenhagen wurden die Politiker nach der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre kreativ. Sie überführten die alte Hafenanlage der Stadt und einen ehemaligen Militärstandort an Stadtrand in einen professionell verwalteten öffentlichen Fonds. So wurde nicht nur die Hafengegend der Stadt in eine sehr beliebte Gegend verwandelt, sondern auch der Bau eines Transitsystems ermöglicht – und dies alles, ohne dafür die Steuereinnahmen anzutasten.
Auch Hongkong war sich seiner akuten Haushaltsprobleme bewusst und fand einen Weg, ein U-Bahn- und Stadtbahnsystem von der Größe desjenigen in New York City zu bauen, ohne dafür Steuergelder verwenden zu müssen: Die Stadt entwickelte dazu einfach die Immobilien in der Nähe der Haltestellen.
Es ist bekannt, das die Abhängigkeit von ausländischem Kapital erhebliche Risiken birgt – insbesondere dann, wenn das Kapital schnell wieder abgezogen werden kann, wie Kuba schmerzlich erfahren musste. Nutzt man allerdings das volle Potenzial der vorhandenen öffentlichen Güter aus, kann man damit die Regierungsfinanzen stärken, die Nachhaltigkeit der Schulden steigern und die Kreditwürdigkeit verbessern, was langfristig entscheidend zur wirtschaftlichen Entwicklung beiträgt. Um die Regierungen zu solchen Maßnahmen zu bewegen, sollte eigentlich keine Krise nötig sein.
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff