RAMALLAH – Donald Trumps Sieg bei den US-Präsidentschaftswahlen kam für die Menschen im Nahen Osten nicht überraschend. Die Staaten in der Region hatten ihn bereits eingeplant und sind mehr als einen Monat vor Trumps Amtseinführung bereit, einen Umgang mit ihm zu finden. Vielmehr könnte Trump selbst unvorbereitet sein, denn der Nahe Osten von heute unterscheidet sich grundlegend von jener Region, mit der er während seiner ersten Amtszeit im Weißen Haus zu tun hatte. Zwei der größten Veränderungen betreffen den Iran und Gaza.
Beginnen wir mit dem Iran. Während seiner ersten Amtszeit als Präsident kündigte Trump den Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan des Jahres 2015 zur Begrenzung des iranischen Atomprogramms auf. Während der damalige iranische Präsident, der gemäßigte Hassan Rouhani, 2021 von einem Ultrakonservativen, dem verstorbenen Ebrahim Raisi, abgelöst wurde, wird das Präsidentenamt nun wieder von einem relativ gemäßigten Politiker, Massud Peseschkian, bekleidet.
Noch bevor Peseschkian sein Amt antrat, hatte der Iran bereits eine Annäherung an seine arabischen Nachbarn eingeleitet und im März 2023 die diplomatischen Beziehungen zu seinem großen regionalen Rivalen Saudi-Arabien wiederhergestellt. Diese unerwartete und äußerst folgenreiche Entspannungsmaßnahme war Teil einer laufenden, von China geförderten Initiative, die offenbar darauf abzielte, Spannungen abzubauen und die Stabilität in der Region zu stärken.
Dies bringt uns zu einer weiteren Veränderung seit Trumps letzter Amtszeit: Sowohl China als auch Russland haben ihre Beziehungen zum Iran (und untereinander) gestärkt. Während Trump China und dem Iran gegenüber immer feindselig eingestellt war, unterhielt er in seiner ersten Amtszeit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Art „Männerfreundschaft.“ Und obwohl Trump offenbar bestrebt ist, eine Deeskalation der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten direkt mit Putin zu koordinieren, wird er sich in einer neuen Beziehungsdynamik zurechtfinden müssen.
In jedem Fall wird es schwierig, eine Deeskalation der Feindseligkeiten im Nahen Osten herbeizuführen. Israels brutaler Feldzug gegen Gaza begann als Vergeltung für den Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, hat aber inzwischen ein erschreckendes Ausmaß an zivilen Todesopfern, Vertreibungen und Leid verursacht. Da die Vereinigten Staaten und Frankreich einen Waffenstillstand im Libanon ausgehandelt haben, scheint Israels Feldzug gegen die Hisbollah wohl noch vor Trumps Amtseinführung ein Ende zu finden. Es ist jedoch schwer vorherzusagen, ob ein „Friedens“-Abkommen“ im Libanon das Zustandekommen eines ähnlichen Abkommens im Gazastreifen erleichtern oder erschweren wird, nicht zuletzt, weil Trump zu praktisch keinem Thema eine klare Haltung hat.
US-Präsident Joe Biden war leichter einzuschätzen. Er und sein Außenminister Antony Blinken schleppen einen gewisses Maß an zionistisch ideologischer Last mit sich herum. Während die Biden-Regierung etwa Israel dazu drängte, seine Offensive zu beenden, und mit der Einstellung der Hilfe drohte, sollten sich die Bedingungen für die Zivilbevölkerung in Gaza nicht verbessern, hat sie Israels Vorgehen doch stets rationalisiert und das Land weiterhin mit Waffen beliefert. Selbst nach dem Waffenstillstand im Libanon soll die Biden-Administration angeblich einen weiteren Schritt in Richtung eines 680 Millionen Dollar schweren Waffenverkaufs an Israel unternommen haben.
Secure your copy of PS Quarterly: The Year Ahead 2025
Our annual flagship magazine, PS Quarterly: The Year Ahead 2025, has arrived. To gain digital access to all of the magazine’s content, and receive your print copy, subscribe to PS Digital Plus now.
Subscribe Now
Trump hat eine ähnliche Präferenz für Israels Interessen an den Tag gelegt. Während seiner ersten Amtszeit brach er mit der jahrzehntelang üblichen Politik und verlegte die US-Botschaft in Israel nach Jerusalem, erkannte die israelische Souveränität über die besetzten Golanhöhen an und entzog dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), dem wichtigsten Programm zur Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge, die finanziellen Mittel. Außerdem leitete er den arabisch-israelischen Normalisierungsprozess ein, im Rahmen dessen Israel in den Jahren 2020 und 2021 die sogenannten Abraham-Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan unterzeichnete.
Trump plant, zahlreiche pro-israelische Persönlichkeiten in seine neue Regierung aufzunehmen. Im Hinblick auf den Krieg im Gazastreifen bedeuten seine fehlenden ideologischen Festlegungen jedoch, dass es ihm nur um eines geht: darum, einen Deal abzuschließen. Wie auch immer dieser Deal aussehen mag, er wird für die Palästinenser mit ziemlicher Sicherheit schlecht ausfallen, nicht nur wegen der pro-israelischen Ausrichtung der amerikanischen Regierung, sondern auch, weil extern ausgehandelte Deals in der Regel das Kräfteverhältnis vor Ort widerspiegeln, das sich eindeutig zugunsten Israels präsentiert.
Die Palästinenser genießen nicht einmal besonders starken Rückhalt in arabischen Ländern, obwohl Saudi-Arabien erklärt hat, dass es keine diplomatischen Beziehungen zu Israel aufnehmen würde, solange es keinen unabhängigen palästinensischen Staat innerhalb der Grenzen von 1967 gibt. Die Abraham-Abkommen stehen unter Druck, aber sie sind nicht gescheitert.
Aber auch für die Israelis könnte Trumps Deal nicht ganz so großartig sein. Laut dem israelischen Journalisten Barak Ravid hegte Trump einen Groll gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, der Biden nach dessen Wahlsieg über Trump im Jahr 2020 eilig gratulierte. Für einen Präsidenten, der wiederholt gelobt hat, seine Feinde ins Visier zu nehmen, ist dies nicht völlig abwegig.
Das wahrscheinlichste Szenario scheint ein Ende des aktuellen Krieges und eine Rückkehr zum Status quo vor dem 7. Oktober zu sein, und nicht etwa ein Vorstoß für eine umfassendere politische Lösung. Doch Trumps Unberechenbarkeit und der pro-israelische Charakter seiner Administration lassen viele in der Region befürchten, dass er grünes Licht für die israelische Annexion eines Teils des Westjordanlands geben würde oder sogar der Errichtung jüdischer Siedlungen im Gazastreifen zustimmen könnte. Trump hat bereits versucht, ein pro-israelisches Abkommen zu erzielen, als er im Januar 2020 seinen Nahost-Friedensplan vorstellte. Doch das von ihm als „Deal des Jahrhunderts“ bezeichnete Abkommen, scheiterte kläglich.
Das Problem, das inzwischen deutlich geworden sein sollte, besteht darin, dass die Palästinenser irgendwann aufbegehren, wenn sie keine Aussicht auf eine Zweistaatenlösung sehen. Selbst wenn es Trump also gelingt, eine Rückkehr zum Status quo auszuhandeln, wird dieser wahrscheinlich nicht lange anhalten.
To have unlimited access to our content including in-depth commentaries, book reviews, exclusive interviews, PS OnPoint and PS The Big Picture, please subscribe
Though Donald Trump attracted more support than ever from working-class voters in the 2024 US presidential election, he has long embraced an agenda that benefits the wealthiest Americans above all. During his second term, however, Trump seems committed not just to serving America’s ultra-rich, but to letting them wield state power themselves.
Given the United Kingdom’s poor investment performance over the past 30 years, any government would need time and luck to turn things around. For so many critics and commentators to trash the current government’s growth agenda before it has even been launched is counterproductive, if not dangerous.
sees promise in the current government’s economic-policy plan despite its imperfections.
RAMALLAH – Donald Trumps Sieg bei den US-Präsidentschaftswahlen kam für die Menschen im Nahen Osten nicht überraschend. Die Staaten in der Region hatten ihn bereits eingeplant und sind mehr als einen Monat vor Trumps Amtseinführung bereit, einen Umgang mit ihm zu finden. Vielmehr könnte Trump selbst unvorbereitet sein, denn der Nahe Osten von heute unterscheidet sich grundlegend von jener Region, mit der er während seiner ersten Amtszeit im Weißen Haus zu tun hatte. Zwei der größten Veränderungen betreffen den Iran und Gaza.
Beginnen wir mit dem Iran. Während seiner ersten Amtszeit als Präsident kündigte Trump den Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan des Jahres 2015 zur Begrenzung des iranischen Atomprogramms auf. Während der damalige iranische Präsident, der gemäßigte Hassan Rouhani, 2021 von einem Ultrakonservativen, dem verstorbenen Ebrahim Raisi, abgelöst wurde, wird das Präsidentenamt nun wieder von einem relativ gemäßigten Politiker, Massud Peseschkian, bekleidet.
Noch bevor Peseschkian sein Amt antrat, hatte der Iran bereits eine Annäherung an seine arabischen Nachbarn eingeleitet und im März 2023 die diplomatischen Beziehungen zu seinem großen regionalen Rivalen Saudi-Arabien wiederhergestellt. Diese unerwartete und äußerst folgenreiche Entspannungsmaßnahme war Teil einer laufenden, von China geförderten Initiative, die offenbar darauf abzielte, Spannungen abzubauen und die Stabilität in der Region zu stärken.
Dies bringt uns zu einer weiteren Veränderung seit Trumps letzter Amtszeit: Sowohl China als auch Russland haben ihre Beziehungen zum Iran (und untereinander) gestärkt. Während Trump China und dem Iran gegenüber immer feindselig eingestellt war, unterhielt er in seiner ersten Amtszeit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Art „Männerfreundschaft.“ Und obwohl Trump offenbar bestrebt ist, eine Deeskalation der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten direkt mit Putin zu koordinieren, wird er sich in einer neuen Beziehungsdynamik zurechtfinden müssen.
In jedem Fall wird es schwierig, eine Deeskalation der Feindseligkeiten im Nahen Osten herbeizuführen. Israels brutaler Feldzug gegen Gaza begann als Vergeltung für den Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, hat aber inzwischen ein erschreckendes Ausmaß an zivilen Todesopfern, Vertreibungen und Leid verursacht. Da die Vereinigten Staaten und Frankreich einen Waffenstillstand im Libanon ausgehandelt haben, scheint Israels Feldzug gegen die Hisbollah wohl noch vor Trumps Amtseinführung ein Ende zu finden. Es ist jedoch schwer vorherzusagen, ob ein „Friedens“-Abkommen“ im Libanon das Zustandekommen eines ähnlichen Abkommens im Gazastreifen erleichtern oder erschweren wird, nicht zuletzt, weil Trump zu praktisch keinem Thema eine klare Haltung hat.
US-Präsident Joe Biden war leichter einzuschätzen. Er und sein Außenminister Antony Blinken schleppen einen gewisses Maß an zionistisch ideologischer Last mit sich herum. Während die Biden-Regierung etwa Israel dazu drängte, seine Offensive zu beenden, und mit der Einstellung der Hilfe drohte, sollten sich die Bedingungen für die Zivilbevölkerung in Gaza nicht verbessern, hat sie Israels Vorgehen doch stets rationalisiert und das Land weiterhin mit Waffen beliefert. Selbst nach dem Waffenstillstand im Libanon soll die Biden-Administration angeblich einen weiteren Schritt in Richtung eines 680 Millionen Dollar schweren Waffenverkaufs an Israel unternommen haben.
Secure your copy of PS Quarterly: The Year Ahead 2025
Our annual flagship magazine, PS Quarterly: The Year Ahead 2025, has arrived. To gain digital access to all of the magazine’s content, and receive your print copy, subscribe to PS Digital Plus now.
Subscribe Now
Trump hat eine ähnliche Präferenz für Israels Interessen an den Tag gelegt. Während seiner ersten Amtszeit brach er mit der jahrzehntelang üblichen Politik und verlegte die US-Botschaft in Israel nach Jerusalem, erkannte die israelische Souveränität über die besetzten Golanhöhen an und entzog dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), dem wichtigsten Programm zur Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge, die finanziellen Mittel. Außerdem leitete er den arabisch-israelischen Normalisierungsprozess ein, im Rahmen dessen Israel in den Jahren 2020 und 2021 die sogenannten Abraham-Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan unterzeichnete.
Trump plant, zahlreiche pro-israelische Persönlichkeiten in seine neue Regierung aufzunehmen. Im Hinblick auf den Krieg im Gazastreifen bedeuten seine fehlenden ideologischen Festlegungen jedoch, dass es ihm nur um eines geht: darum, einen Deal abzuschließen. Wie auch immer dieser Deal aussehen mag, er wird für die Palästinenser mit ziemlicher Sicherheit schlecht ausfallen, nicht nur wegen der pro-israelischen Ausrichtung der amerikanischen Regierung, sondern auch, weil extern ausgehandelte Deals in der Regel das Kräfteverhältnis vor Ort widerspiegeln, das sich eindeutig zugunsten Israels präsentiert.
Die Palästinenser genießen nicht einmal besonders starken Rückhalt in arabischen Ländern, obwohl Saudi-Arabien erklärt hat, dass es keine diplomatischen Beziehungen zu Israel aufnehmen würde, solange es keinen unabhängigen palästinensischen Staat innerhalb der Grenzen von 1967 gibt. Die Abraham-Abkommen stehen unter Druck, aber sie sind nicht gescheitert.
Aber auch für die Israelis könnte Trumps Deal nicht ganz so großartig sein. Laut dem israelischen Journalisten Barak Ravid hegte Trump einen Groll gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, der Biden nach dessen Wahlsieg über Trump im Jahr 2020 eilig gratulierte. Für einen Präsidenten, der wiederholt gelobt hat, seine Feinde ins Visier zu nehmen, ist dies nicht völlig abwegig.
Das wahrscheinlichste Szenario scheint ein Ende des aktuellen Krieges und eine Rückkehr zum Status quo vor dem 7. Oktober zu sein, und nicht etwa ein Vorstoß für eine umfassendere politische Lösung. Doch Trumps Unberechenbarkeit und der pro-israelische Charakter seiner Administration lassen viele in der Region befürchten, dass er grünes Licht für die israelische Annexion eines Teils des Westjordanlands geben würde oder sogar der Errichtung jüdischer Siedlungen im Gazastreifen zustimmen könnte. Trump hat bereits versucht, ein pro-israelisches Abkommen zu erzielen, als er im Januar 2020 seinen Nahost-Friedensplan vorstellte. Doch das von ihm als „Deal des Jahrhunderts“ bezeichnete Abkommen, scheiterte kläglich.
Das Problem, das inzwischen deutlich geworden sein sollte, besteht darin, dass die Palästinenser irgendwann aufbegehren, wenn sie keine Aussicht auf eine Zweistaatenlösung sehen. Selbst wenn es Trump also gelingt, eine Rückkehr zum Status quo auszuhandeln, wird dieser wahrscheinlich nicht lange anhalten.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier