SEATTLE – Normalerweise werden „Optimismus“ und „Realismus“ verwendet, um zwei verschiedene Lebensanschauungen zu beschreiben. Ich glaube jedoch, dass eine realistische Einschätzung der conditio humana eine optimistische Weltsicht verlangt. Mich stimmt vor allem das Potenzial technologischer Innovationen für die Verbesserung des Lebens der Ärmsten der Welt optimistisch. Aus diesem Grund verrichte ich meine Arbeit.
Es gibt allerdings einen Bereich der Technologie und globalen Entwicklung, in dem die Realität meinen Optimismus gedämpft hat: die Vorstellung, dass Mobiltelefone das Leben in Entwicklungsländern revolutionieren würden. Vor zehn Jahren haben viele geglaubt, mit der Verbreitung von Mobilgeräten in Afrika wäre der Weg zum „digitalen Empowerment“ schon fast geschafft, was sich als Unterstützung der Menschen bei der Wahrnehmung und Nutzung von Gestaltungsspielräumen und Ressourcen mithilfe digitaler Technologien umschreiben lässt. Das war nicht der Fall. Digitales Empowerment ist ein langer und fortlaufender Prozess und das bloße Vorhandensein von Mobilfunktechnik führt nicht dazu, dass sich die Art und Weise umgehend ändert, wie Arme ihre Grundbedürfnisse decken.
Nach jahrelangen Investitionen ist das digitale Empowerment nun aber in Gang gekommen, was dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren zu verdanken ist, so etwa der zunehmenden Netzabdeckung, leistungsfähigeren Geräten und einem breiten Spektrum an Anwendungen. Wenn immer mehr Menschen Zugang zu besseren und kostengünstigeren digitalen Technologien bekommen, wird irgendwann ein Wendepunkt erreicht, an dem die Vorteile der Bereitstellung digitaler Dienste gegenüber den Kosten eindeutig überwiegen, so etwa bei Bankgeschäften oder in der Gesundheitsfürsorge. Dann sind Unternehmen bereit die Investitionen zu tätigen, die für den Aufbau neuer Systeme erforderlich sind und Kunden können die Übergangskosten akzeptieren, die im Zuge der Übernahme neuer Verhaltensweisen entstehen.
Nehmen wir das Beispiel M-Pesa, einem System in Kenia, das seinen Nutzern die Abwicklung von bargeldlosem Zahlungsverkehr über Mobiltelefone ermöglicht. M-Pesa musste zunächst in viele konventionelle Geschäfte investieren, in denen die Nutzer das Bargeld, das sie verdienen, in digitales Geld (und zurück in Bargeld) umwandeln können. Diese Infrastruktur in der realen Welt ist notwendig bis Volkswirtschaften komplett bargeldlos werden, was Jahrzehnte dauern wird.
Ohne ein dichtes Netz an Ladenbetreibern, bei denen die Ein- und Auszahlung von Bargeld auf ein elektronisch geführtes Guthaben erfolgen kann, wäre M-Pesa auch nicht praktischer als traditionelle Methoden des Geldtransfers. Gleichzeitig konnten Einzelhändler aber nur überzeugt werden den M-Pesa-Dienst anzubieten, wenn genügend M-Pesa-Nutzer das Geschäft für sie profitabel machen.
Genau so ein schrittweiser Initialisierungsprozess war bei Microsoft in den ersten Jahren des PC erforderlich. Niemand wollte ein Gerät ohne Software und niemand würde Software entwickeln, ohne dass Geräte dafür vorhanden sind. Microsoft hat sowohl Hardware- als auch Software-Unternehmen überzeugt auf zukünftige Umsätze zu setzen, indem wir gezeigt haben, wie unser Betriebssystem die Spielregeln ändern würde.
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Es gibt viele kleine Pilotprojekte, die sich Mobiltelefone erfolgreich zunutze machen. Beispiele für groß angelegte Projekte, die auf digitalen Technologien basieren und sich selbst tragen, wie etwa M-Pesa, sind schwieriger zu finden, weil die entscheidenden Bausteine nicht an ihrem Platz sind, die die Arbeit erst ermöglichen, die erforderlich ist, um über die Phase eines kontrollierten Experimentes hinauszugehen.
Die Handynutzung im Rahmen von Medizin und Gesundheitsdiensten − „Mobile Health“ oder kurz „mHealth“ − ist ein Bereich, der nur langsam voranschreitet, weil es schwierig ist eine gute Plattform zu entwickeln und anschließend alle Akteure in einem Gesundheitssystem davon zu überzeugen, dass es sich lohnt diese zu nutzen. Wenn einige Mobiltelefone nutzen, um Informationen an eine zentrale Datenbank zu senden, andere den Nutzen aber nicht erkennen, ist das digitale System unvollständig – und damit genauso mangelhaft wie das gegenwärtige Papiersystem.
Das vielversprechendste mHealth-Projekt, das mir bekannt ist, trägt den Namen Motech und konzentriert sich auf die Gesundheit von Müttern und Kindern in Ghana. Mit Mobiltelefonen ausgestattete Gesundheitshelfer aus den Gemeinden besuchen Dörfer und übermitteln digitale Formulare mit wichtigen Informationen über Schwangere. Anschließend sendet das System Gesundheitshinweise an die werdenden Mütter, wie etwa wöchentliche Erinnerungen an wichtige Vorsorgemaßnahmen. Zudem werden Daten an das Gesundheitsministerium übermittelt, die politischen Entscheidungsträgern ein zutreffendes und detailliertes Bild der Gesundheitsbedingungen im Land liefern.
Gesundheitspersonal, das mit AIDS, Tuberkulose, Malaria, Familienplanung, Ernährung und anderen globalen Gesundheitsthemen befasst ist, kann die gleiche Plattform nutzen, damit alle Bereiche im Gesundheitssystem eines Landes Informationen teilen und entsprechend in Echtzeit reagieren können. Das ist der Traum, der allerdings nur wahr wird, wenn die in erster Reihe stehenden Gesundheitsfachkräfte Daten eingeben, Gesundheitsministerien entsprechend tätig werden und Patienten die Informationen nutzen, die sie auf ihren Mobiltelefonen erhalten.
Mir ist klar geworden, dass der Aufbruch gelungen ist, als unsere Partner bei Motech anfingen über belastende Netzkosten und eine Vereinfachung der Nutzeroberfläche zu sprechen. Die Anwendung wurde also tatsächlich in der Praxis genutzt und es zeigte sich, welche Herausforderungen es zu bewältigen galt – und das bedeutete, dass sich das System für die Menschen als wertvoll genug erwiesen hatte, Arbeit in die Lösung der auftretenden Probleme zu investieren, anstatt einfach zum alten System zurückzukehren. Dieser digitale Ansatz wird inzwischen auf andere Regionen wie unter anderem Nordindien ausgedehnt.
Vor zehn Jahren ging man davon aus, dass diese Dinge schnell passieren würden. Das war nicht der Fall, einfach weil Bausteine gefehlt haben. Diese Lücken beginnen sich jetzt zu schließen. Es wird ein weiteres Jahrzehnt dauern, bestimmte Anwendungen an vielen Orten zu etablieren, aber dieser Prozess wird in Schwung kommen und wir werden im Laufe dessen Erfahrungen sammeln. Langfristig werden die Resultate genauso viele Veränderungen herbeiführen wie wir gehofft haben, wenn nicht noch mehr. Letzten Endes, wenn die Menschen wirklich befähigt sind, ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen zu nutzen, werden sie beginnen digitale Technologien einzusetzen, um zu ihrem eigenen Wohl Neuerungen einzuführen und Lösungen entwickeln, die den Softwareentwicklern von heute noch gar nicht in den Sinn gekommen sind.
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SEATTLE – Normalerweise werden „Optimismus“ und „Realismus“ verwendet, um zwei verschiedene Lebensanschauungen zu beschreiben. Ich glaube jedoch, dass eine realistische Einschätzung der conditio humana eine optimistische Weltsicht verlangt. Mich stimmt vor allem das Potenzial technologischer Innovationen für die Verbesserung des Lebens der Ärmsten der Welt optimistisch. Aus diesem Grund verrichte ich meine Arbeit.
Es gibt allerdings einen Bereich der Technologie und globalen Entwicklung, in dem die Realität meinen Optimismus gedämpft hat: die Vorstellung, dass Mobiltelefone das Leben in Entwicklungsländern revolutionieren würden. Vor zehn Jahren haben viele geglaubt, mit der Verbreitung von Mobilgeräten in Afrika wäre der Weg zum „digitalen Empowerment“ schon fast geschafft, was sich als Unterstützung der Menschen bei der Wahrnehmung und Nutzung von Gestaltungsspielräumen und Ressourcen mithilfe digitaler Technologien umschreiben lässt. Das war nicht der Fall. Digitales Empowerment ist ein langer und fortlaufender Prozess und das bloße Vorhandensein von Mobilfunktechnik führt nicht dazu, dass sich die Art und Weise umgehend ändert, wie Arme ihre Grundbedürfnisse decken.
Nach jahrelangen Investitionen ist das digitale Empowerment nun aber in Gang gekommen, was dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren zu verdanken ist, so etwa der zunehmenden Netzabdeckung, leistungsfähigeren Geräten und einem breiten Spektrum an Anwendungen. Wenn immer mehr Menschen Zugang zu besseren und kostengünstigeren digitalen Technologien bekommen, wird irgendwann ein Wendepunkt erreicht, an dem die Vorteile der Bereitstellung digitaler Dienste gegenüber den Kosten eindeutig überwiegen, so etwa bei Bankgeschäften oder in der Gesundheitsfürsorge. Dann sind Unternehmen bereit die Investitionen zu tätigen, die für den Aufbau neuer Systeme erforderlich sind und Kunden können die Übergangskosten akzeptieren, die im Zuge der Übernahme neuer Verhaltensweisen entstehen.
Nehmen wir das Beispiel M-Pesa, einem System in Kenia, das seinen Nutzern die Abwicklung von bargeldlosem Zahlungsverkehr über Mobiltelefone ermöglicht. M-Pesa musste zunächst in viele konventionelle Geschäfte investieren, in denen die Nutzer das Bargeld, das sie verdienen, in digitales Geld (und zurück in Bargeld) umwandeln können. Diese Infrastruktur in der realen Welt ist notwendig bis Volkswirtschaften komplett bargeldlos werden, was Jahrzehnte dauern wird.
Ohne ein dichtes Netz an Ladenbetreibern, bei denen die Ein- und Auszahlung von Bargeld auf ein elektronisch geführtes Guthaben erfolgen kann, wäre M-Pesa auch nicht praktischer als traditionelle Methoden des Geldtransfers. Gleichzeitig konnten Einzelhändler aber nur überzeugt werden den M-Pesa-Dienst anzubieten, wenn genügend M-Pesa-Nutzer das Geschäft für sie profitabel machen.
Genau so ein schrittweiser Initialisierungsprozess war bei Microsoft in den ersten Jahren des PC erforderlich. Niemand wollte ein Gerät ohne Software und niemand würde Software entwickeln, ohne dass Geräte dafür vorhanden sind. Microsoft hat sowohl Hardware- als auch Software-Unternehmen überzeugt auf zukünftige Umsätze zu setzen, indem wir gezeigt haben, wie unser Betriebssystem die Spielregeln ändern würde.
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Es gibt viele kleine Pilotprojekte, die sich Mobiltelefone erfolgreich zunutze machen. Beispiele für groß angelegte Projekte, die auf digitalen Technologien basieren und sich selbst tragen, wie etwa M-Pesa, sind schwieriger zu finden, weil die entscheidenden Bausteine nicht an ihrem Platz sind, die die Arbeit erst ermöglichen, die erforderlich ist, um über die Phase eines kontrollierten Experimentes hinauszugehen.
Die Handynutzung im Rahmen von Medizin und Gesundheitsdiensten − „Mobile Health“ oder kurz „mHealth“ − ist ein Bereich, der nur langsam voranschreitet, weil es schwierig ist eine gute Plattform zu entwickeln und anschließend alle Akteure in einem Gesundheitssystem davon zu überzeugen, dass es sich lohnt diese zu nutzen. Wenn einige Mobiltelefone nutzen, um Informationen an eine zentrale Datenbank zu senden, andere den Nutzen aber nicht erkennen, ist das digitale System unvollständig – und damit genauso mangelhaft wie das gegenwärtige Papiersystem.
Das vielversprechendste mHealth-Projekt, das mir bekannt ist, trägt den Namen Motech und konzentriert sich auf die Gesundheit von Müttern und Kindern in Ghana. Mit Mobiltelefonen ausgestattete Gesundheitshelfer aus den Gemeinden besuchen Dörfer und übermitteln digitale Formulare mit wichtigen Informationen über Schwangere. Anschließend sendet das System Gesundheitshinweise an die werdenden Mütter, wie etwa wöchentliche Erinnerungen an wichtige Vorsorgemaßnahmen. Zudem werden Daten an das Gesundheitsministerium übermittelt, die politischen Entscheidungsträgern ein zutreffendes und detailliertes Bild der Gesundheitsbedingungen im Land liefern.
Gesundheitspersonal, das mit AIDS, Tuberkulose, Malaria, Familienplanung, Ernährung und anderen globalen Gesundheitsthemen befasst ist, kann die gleiche Plattform nutzen, damit alle Bereiche im Gesundheitssystem eines Landes Informationen teilen und entsprechend in Echtzeit reagieren können. Das ist der Traum, der allerdings nur wahr wird, wenn die in erster Reihe stehenden Gesundheitsfachkräfte Daten eingeben, Gesundheitsministerien entsprechend tätig werden und Patienten die Informationen nutzen, die sie auf ihren Mobiltelefonen erhalten.
Mir ist klar geworden, dass der Aufbruch gelungen ist, als unsere Partner bei Motech anfingen über belastende Netzkosten und eine Vereinfachung der Nutzeroberfläche zu sprechen. Die Anwendung wurde also tatsächlich in der Praxis genutzt und es zeigte sich, welche Herausforderungen es zu bewältigen galt – und das bedeutete, dass sich das System für die Menschen als wertvoll genug erwiesen hatte, Arbeit in die Lösung der auftretenden Probleme zu investieren, anstatt einfach zum alten System zurückzukehren. Dieser digitale Ansatz wird inzwischen auf andere Regionen wie unter anderem Nordindien ausgedehnt.
Vor zehn Jahren ging man davon aus, dass diese Dinge schnell passieren würden. Das war nicht der Fall, einfach weil Bausteine gefehlt haben. Diese Lücken beginnen sich jetzt zu schließen. Es wird ein weiteres Jahrzehnt dauern, bestimmte Anwendungen an vielen Orten zu etablieren, aber dieser Prozess wird in Schwung kommen und wir werden im Laufe dessen Erfahrungen sammeln. Langfristig werden die Resultate genauso viele Veränderungen herbeiführen wie wir gehofft haben, wenn nicht noch mehr. Letzten Endes, wenn die Menschen wirklich befähigt sind, ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen zu nutzen, werden sie beginnen digitale Technologien einzusetzen, um zu ihrem eigenen Wohl Neuerungen einzuführen und Lösungen entwickeln, die den Softwareentwicklern von heute noch gar nicht in den Sinn gekommen sind.
Aus dem Englischen von Sandra Pontow.