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Rasche Veränderungen bei Chinas wirtschaftlicher Anpassung

SHANGHAI – Das Wirtschaftsmodell, das das chinesische Wirtschaftswachstum mehr als zwei Jahrzehnte lang stützte, ist in den letzten Jahren zusammengebrochen, insbesondere seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie. Und nun wirft eine Kombination aus wachsender Unsicherheit und schwindender Zuversicht dunkle Schatten auf die chinesische Wirtschaft.

Die unmittelbaren Gründe für den Niedergang des in China vorherrschenden Wirtschaftsmodells sind externer Art. Es sind insbesondere geopolitische Entwicklungen – vor allem die Verschärfung der Handelskonflikte, besonders mit den USA –, die Chinas Exportsektor erschüttert haben. Und die neue Regierung des designierten US-Präsidenten Donald Trump wird voraussichtlich noch höhere Zölle auf chinesische Waren und strengere Beschränkungen für den Zugang Chinas zu ausländischen Technologien einführen.

Diese externen Faktoren allein würden schon ausreichen, um tiefgreifende interne Anpassungsmaßnahmen in China zu erfordern, darunter eine Aktualisierung des vorherrschenden Wirtschaftsmodells. Doch noch wichtiger sind die Entwicklungen im Inland. Nach Jahren übermäßiger Investitionstätigkeit werfen Infrastrukturprojekte immer weniger ab, und der einst florierende Immobiliensektor leidet unter hohen Schulden, fallenden Preisen und einem riesigen Bestand an unverkauften Wohnungen. Auch die verhaltene Entwicklung der Internet-Wirtschaft trägt nicht gerade zur Entspannung der Lage bei.

Viele dieser Entwicklungen waren lange absehbar: Schon 2013 war Chinas Wirtschaft mit hoher Volatilität und zunehmenden finanziellen Risiken konfrontiert. Da zu viele Kredite in die physische Infrastruktur und in Immobilien gepumpt worden waren, stieg die Verschuldung im Verhältnis zum BIP stark an, und eine Reihe von Branchen – darunter der Kohlebergbau, Stahl und Zement – litten unter Überkapazitäten.

Chinas politische Führung erkannte die Notwendigkeit, das Investitionswachstum einzudämmen und neue Produktivitätsquellen zu erschließen, und räumte ein, dass das Land dafür womöglich eine weitere Phase tiefgreifender struktureller Veränderungen durchlaufen müsse. Im Jahr 2015 leitete die Regierung eine Reihe von Maßnahmen ein, die darauf zielten, die Anpassungsmaßnahmen auf der Angebotsseite zu beschleunigen, den Strukturwandel zu fördern (nicht zuletzt durch Einführung digitaler Technologien) und Investitionen in Zukunftsbranchen wie Mikroelektronik, künstliche Intelligenz, Biopharmazeutika, Solarzellen, Lithiumbatterien und Elektrofahrzeuge zu ermutigen. Viele Sektoren – darunter Immobilien, Fertigung und Dienstleistungen – haben seitdem erhebliche Anpassungen vorgenommen, was zu einer schmerzhaften Phase L-förmigen Wachstums führte.

Doch ist der erforderliche Strukturwandel noch längst nicht abgeschlossen, und die wirtschaftlichen Bedingungen ändern sich rasch. Während die chinesischen Exporteure in Bezug auf das externe Umfeld mit einem hohen Maß an Unsicherheit konfrontiert sind, haben innenpolitische Anpassungen den Immobilien- und Bausektor in eine Schuldenkrise gestürzt.

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Um die Risiken abzumildern setzen Unternehmen zunehmend auf digitale Technologien, wobei immer mehr Kapital in die KI fließt. Weitere Unternehmen dürften diesem Weg folgen. Die digitale Durchdringung führt zu einem dynamischen Wettbewerb, bei dem Start-ups schnell aufsteigen und jene etablierten Unternehmen, die dabei nicht mithalten können, herausfordern und verdrängen. Doch während – vor allem in fortschrittlichen Branchen – weiterhin neue „Bahnen“ hierfür entstehen, werden diese bald überlaufen sein.

Die Chinesen verwenden zunehmend den Begriff „Involution“, um den unnötigen und übermäßigen Wettbewerb zu beschreiben, der inzwischen Teile der chinesischen Wirtschaft plagt. Viele junge Leute verweisen hierauf, wenn sie über den intensiven Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt sprechen: In einer Zeit, in der das Angebot an hochqualifizierten Hochschulabsolventen wächst, haben umgestaltete Geschäftsmodelle und flexiblere Arbeitsregelungen die Stabilität bei der Schaffung von Arbeitsplätzen untergraben.

Der Begriff „Involution“ lässt sich aber auch auf den durch den Zufluss von Finanzmitteln und Produktionsfaktoren verursachten übermäßigen Wettbewerb innerhalb dynamischer oder vielversprechender Sektoren anwenden. Ein Musterbeispiel ist Chinas Elektrofahrzeugbranche. Dank enormer Investitionen sowohl etablierter Unternehmen als auch neuer Akteure ist die chinesische Produktion von Elektrofahrzeugen von 1,27 Millionen im Jahr 2018 auf zehn Millionen in diesem Jahr angestiegen. Dieser rasante Anstieg des Angebots hat vorhersehbar zu einem Preisverfall geführt.

Dies deutet darauf hin, dass eher Angebotsschocks als ein Nachfragedefizit die Hauptursache der chinesischen Deflation sind. Und in der Tat gibt es guten Grund zu der Annahme, dass eine Hauptursache für Chinas Konjunkturabschwächung die angebotsseitigen Auswirkungen der laufenden strukturellen Anpassungen sind. Doch muss Chinas künftige Wachstumskurve nicht zwangsläufig L-förmig verlaufen. Das Land verfügt über alle erforderlichen Mittel – und über die nötige Resilienz –, um sich an das neue geopolitische Umfeld anzupassen, den internen Wandel zu beschleunigen, die wirtschaftliche Dynamik zu stärken und eine neue Phase seiner Entwicklung einzuleiten.

Das soll nicht heißen, dass China die Wachstumsraten von vor 20 Jahren erreichen kann. Im Gegenteil: Das Land hat das Entwicklungsstadium, in dem ein dauerhaftes zweistelliges Wachstum möglich ist, hinter sich gelassen. In den kommenden Jahren wird es für Chinas Staatsführung nicht darum gehen, Wachstum um jeden Preis zu erreichen, sondern vielmehr darum, die sozialen Kosten des sich beschleunigenden Strukturwandels durch Bemühungen zur Verringerung der Unsicherheit und zur Stabilisierung auszugleichen. Insbesondere sollte die chinesische Regierung das soziale Sicherheitsnetz stärken und mehr Haushaltsmittel zur Unterstützung der Einkommen der privaten Haushalte und des Wohlstands einsetzen. Derartige Bemühungen würden für mehr Zuversicht und Stabilität sorgen und so einen großen Beitrag zur Verbesserung der Konsumquote in China leisten.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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