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Warum wir wieder streiken

MADRID – Seit über einem Jahr streiken Kinder und Jugendliche aus aller Welt für das Klima. Wir haben eine Bewegung ins Leben gerufen, die allen Erwartungen trotzte und Millionen Menschen leihen diesem Anliegen nicht nur ihre Stimme, sondern würdigen es auch mit ihrer physischen Anwesenheit. Wir haben das nicht getan, weil es unser Traum war, sondern weil wir niemanden sahen, der etwas zur Sicherung unserer Zukunft unternahm. Doch trotz der lautstarken Unterstützung, die wir von vielen Erwachsenen erhielten – darunter auch von einigen der mächtigsten Führungspersönlichkeiten dieser Welt – sehen wir noch immer niemanden.

Wir haben uns nicht für den Streik entschieden, weil wir das reizvoll finden; wir machen es, weil wir keine anderen Optionen erkennen. Wir haben eine Reihe von Klimakonferenzen der Vereinten Nationen mitverfolgt. In unzähligen Verhandlungen legten die Regierungen vielfach hochgejubelte, aber letztlich inhaltsleere Bekenntnisse ab – und zwar dieselben Regierungen, die es Unternehmen aus dem Bereich fossiler Brennstoffe ermöglichen, noch mehr Öl und Gas zu fördern und für ihren Profit unsere Zukunft zu verbrennen.

Politiker und Unternehmen aus dem Bereich fossiler Brennstoffe wissen seit Jahrzehnten um den Klimawandel. Und trotzdem lässt die Politik die Profiteure in ihrem Streben nach dem schnellen Geld, das unsere Existenz zu vernichten droht, weiterhin die Ressourcen des Planeten ausbeuten und seine Ökosysteme zerstören.

Nicht wir sind beim Wort zu nehmen: die Wissenschaft schlägt Alarm. Sie warnt, dass es unwahrscheinlicher als jemals zuvor sei, den Anstieg der weltweiten Temperaturen auf 1,5 Grad Celsius über vorindustriellem Niveau zu begrenzen – jenem Schwellenwert, ab dem die zerstörerischsten Auswirkungen des Klimawandels zutage treten würden.  

Noch schlimmer: jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass wir drauf und dran sind, bis 2030 um 120 Prozent mehr fossile Brennstoffe zu erzeugen, als es mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar wäre. Die Konzentration klimawirksamer Treibhausgase in unserer Atmosphäre hat ein Rekordhoch erreicht und Anzeichen eines Rückgangs sind nicht in Sicht. Selbst wenn die Länder ihre derzeitigen Verpflichtungen zur Emissionsreduktion einhalten, steuern wir auf einen Temperaturanstieg um 3,2 Grad zu.

Junge Menschen wie wir tragen die Hauptlast des Versagens unserer Führungen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Umweltverschmutzung aufgrund der Verbrennung fossiler Brennstoffe die weltweit größte Bedrohung für die Gesundheit von Kindern darstellt. Diesen Monat wurden an Schulen in der indischen Hauptstadt Neu Delhi aufgrund des dort herrschenden giftigen Smogs fünf Millionen Atemmasken verteilt. Fossile Brennstoffe ersticken uns buchstäblich.

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Die Wissenschaft fordert zu dringenden Maßnahmen auf und dennoch wagen es unsere Führungen, diese Rufe zu ignorieren. Also kämpfen wir weiter.

Nach einem Jahr der Streiks werden wir gehört. Wir werden eingeladen, an höchster Stelle zu sprechen. Bei den Vereinten Nationen wandten wir uns an die versammelten Führungspersönlichkeiten dieser Welt. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos trafen wir auf Regierungschefs, Präsidenten und sogar den Papst. Wir verbrachten hunderte Stunden mit der Teilnahme an Diskussionsrunden und bei Gesprächen mit Journalisten und Filmemachern. Für unseren Aktivismus wurden uns Auszeichnungen verliehen.

Unsere Bemühungen haben dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit in der allgemeinen Debatte auf den Klimawandel zu lenken. Die Menschen diskutieren mittlerweile zunehmend über die Krise, mit der wir konfrontiert sind. Und das tun sie nicht im Flüsterton oder in einem Nachsatz, sondern öffentlich und mit einem Gefühl der Dringlichkeit. Umfragen bestätigen diese sich verändernden Wahrnehmungen. Aus einer jüngst durchgeführten Erhebung geht hervor, dass der Klimakollaps in sieben der acht untersuchten Länder als das wichtigste Problem der Welt angesehen wird. Eine weitere Umfrage bestätigte, dass Schulkinder eine Vorreiterrolle bei der Bewusstseinsbildung spielen. 

Angesichts des öffentlichen Sinneswandels sagen auch die führenden Politiker, sie würden uns hören. Sie sagen, dass sie unserer Forderung nach dringenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise zustimmen. Doch sie tun nichts. Nun, da sie sich auf den Weg nach Madrid zur UNO-Klimakonferenz COP 25 der Vertragsparteien der UN-Klimarahmenkonvention machen, prangern wir diese Heuchelei an.

An den nächsten beiden Freitagen werden wir wieder auf die Straße gehen: weltweit am 29. November und in Madrid, Santiago und an vielen anderen Orten am 6. Dezember - während der UN-Klimakonferenz. Schulkinder, Jugendliche und Erwachsene auf der ganzen Welt werden gemeinsam fordern, dass unsere politischen Führungen Maßnahmen ergreifen – nicht weil wir das von ihnen wollen, sondern weil es die Wissenschaft verlangt.

Diese Maßnahmen müssen wirkungsvoll und weitreichend ausfallen. Schließlich geht es bei der Klimakrise nicht nur um die Umwelt. Sie ist auch eine Krise der Menschrechte, der Gerechtigkeit und des politischen Willens. Kolonialistische, rassistische und patriarchale Unterdrückungssysteme haben sie geschaffen und befeuert. Wir müssen diese Systeme ausnahmslos demontieren. Unsere politischen Führungen können sich nicht länger vor der Verantwortung drücken.

Einige sagen, die Konferenz in Madrid sei nicht sehr bedeutend; die großen Entscheidungen würden auf der COP26 im nächsten Jahr in Glasgow getroffen. Das sehen wir anders. Wie die Wissenschaft deutlich zeigt, haben wir nicht einen einzigen Tag zu verlieren.  

Eines haben wir gelernt: wenn wir nicht aufstehen, wird es niemand tun. Wir werden daher für einen ständigen Trommelwirbel aus Streiks, Protesten und anderen Aktionen sorgen. Wir werden immer lauter werden. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um die führenden Politiker zu überzeugen, sich hinter die Wissenschaft zu stellen, die so klar und deutlich ist, dass sogar Kinder sie verstehen.   

Gemeinsame Aktionen funktionieren; das haben wir bewiesen. Aber um alles zu ändern, brauchen wir auch alle. Jeder und jede muss sich an der Widerstandsbewegung für das Klima beteiligen. Wir können nicht einfach sagen, dass es uns wichtig ist. Wir müssen es zeigen.

Begleite uns. Nimm an den bevorstehenden Klimastreiks in Madrid oder deiner Heimatstadt teil. Zeige den Menschen in deiner Gemeinde, der fossilen Brennstoffindustrie und deinen politischen Führern, dass du Untätigkeit hinsichtlich des Klimawandels nicht mehr hinnehmen wirst. Wenn wir viele sind, haben wir eine Chance.  

Und die Botschaft an die Spitzenpolitiker auf ihrem Weg nach Madrid ist einfach: die Augen aller zukünftigen Generationen sind auf Sie gerichtet. Handeln Sie entsprechend.

Dieser Kommentar wurde auch von Evan Meneses (Australien) und Hilda Flavia Nakabuye (Fridays for Future Uganda) unterzeichnet.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/etO1lOgde