NEW HAVEN – Ökonomen ringen darum, ihre optimistische Einschätzung der US-Wirtschaft mit der Angst der amerikanischen Durchschnittsbürger in Einklang zu bringen. Die zentralen Kennzahlen der Wirtschaftsleistung – Wachstum, Arbeitslosigkeit und Inflation – präsentieren sich nahezu perfekt und versetzen die Vereinigten Staaten in eine beneidenswert starke Lage. Doch im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im November wird die Wirtschaft von den Wählern weiterhin als Top-Thema eingestuft. Das Hauptproblem: Inflation.
Doch wie kann das sein? Zum Ärger der meisten Ökonomen scheinen diese Lamentos völlig fehl am Platz zu sein. Der in den USA durch Covid-19 verursachte Preisschock von Frühjahr 2021 bis Ende 2023 hat sich dramatisch abgeschwächt. Ja, wir warten immer noch auf ein deutliches Signal der Entwarnung, dass sich die Inflation wieder auf das 2-Prozent-Ziel einpendelt, das die US-Notenbank Federal Reserve für vereinbar mit Preisstabilität hält. Dennoch besteht kein Zweifel, dass die Inflationsrisiken merklich gesunken sind.
Freilich gibt es einen gravierenden Haken: Selbst wenn die Inflation in den verheißungsvollen Bereich der Preisstabilität zurückkehren sollte – obgleich nicht so rasch, wie die Optimisten aus dem „Team Vorübergehend“ zunächst erwartet hatten – besteht dennoch ein ernstes politisches Problem im Zusammenhang mit diesem Szenario. Die Preise sind nämlich zu hoch – und dürften auch in den kommenden Jahren auf hohem Niveau verharren.
Es ist keine Haarspalterei, wenn ich das Wort „Preise“ anstelle von „Inflation“ verwende. Die Inflation beschreibt Veränderungen der Gesamtpreise, und das ist etwas völlig anderes als die Höhe des Preisindexes. Diese Unterscheidung ist für die politische Debatte im Vorfeld der Wahlen von entscheidender Bedeutung: Das Team von Präsident Joe Biden konzentriert sich auf die Inflationsrate, während die amerikanische Öffentlichkeit sich mehr um das Preisniveau sorgt.
Hinsichtlich der Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung herrscht weitgehend Einigkeit. Nachdem die Gesamtinflationsrate, gemessen am Verbraucherpreisindex (VPI) im Juni 2022 mit 9,1 Prozent ihren Höchststand nach der Pandemie erreicht hatte, ist sie in den letzten 11 Monaten auf durchschnittlich 3,3 Prozent gesunken – eine außergewöhnliche Verringerung oder „Disinflation“ innerhalb eines so kurzen Zeitraums. Allerdings ist die Inflation immer noch mehr als doppelt so hoch wie die durchschnittliche Inflationsrate von 1,5 Prozent in den sieben Jahren vor Covid und liegt damit deutlich über dem Fed-Ziel von 2 Prozent, wie aus einer etwas anderen Perspektive, nämlich dem auf dem BIP basierenden Preisindex für den privaten Verbrauch, ersichtlich ist.
Doch diese fast vollständige Erholung von dem Inflationsschock der Jahre 2021-2023 steht in krassem Gegensatz zu dem immer noch hohen Preisniveau. Genau darin liegt für Biden das politische Problem. Wie nachstehende Grafik zeigt, lag der Gesamt-VPI im Mai trotz der jüngsten Disinflation immer noch 20 Prozent über dem Niveau von Januar 2021, als er sein Amt antrat.
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[Grafik]
Seit Januar 2021 präsentieren sich insbesondere die Preise für Energie (41 Prozent) und Transport (40 Prozent) sowie für Wohnen (22 Prozent) und Lebensmittel (21 Prozent) erhöht. Diese Posten bilden zusammen 63 Prozent des typischen Warenkorbs eines US-Verbrauchers. Sie werden aus gutem Grund als notwendige Ausgaben bezeichnet, denn praktisch jede Familie hat sie zu tätigen.
Eine grobe Schätzung auf Grundlage des Gesamt-Verbraucherpreisindexes legt nahe, dass das Preisniveau im Mai um ganze 15 Prozentpunkte höher lag als es der Fall gewesen wäre, hätte der VPI seinen vor der Covid-19-Pandemie verzeichneten Trend von 1,5 Prozent beibehalten. Kein Wunder also, dass die Menschen in den USA hinsichtlich der Wirtschaft derart pessimistisch sind. Der starke Preisanstieg, insbesondere im Bereich der Grundbedürfnisse, wiegt den Rückgang der Inflationsrate bei Weitem auf. Doch selbst wenn die Inflation wie erwartet weiter sinken sollte, bliebe das Preisniveau auf einem unangenehm hohen Niveau und würde weiter steigen, wenn auch in geringerem Maße. Eine anhaltende Phase echter Deflation - eine gefährliche Entwicklung für jede Volkswirtschaft - ist die einzige Möglichkeit, das allgemeine Preisniveau zu senken.
Die Diskrepanz zwischen hohen Preisen und einer stark rückläufigen Inflation könnte sich bei den bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen als entscheidendes wirtschaftliches Problem herausstellen. In normalen Zeiten würde es im Wahlkampf um die Frage gehen, welcher Kandidat die besten Lösungen anzubieten hat. Leider leben wir aber nicht in normalen Zeiten. Die derzeitige politische Lage in den USA wird dafür sorgen, dass Schuldzuweisungen in den Vordergrund rücken. Seit der ehemalige Präsident George H. W. Bush vor der Präsidentschaftswahl 1988 über die „Sache mit den Visionen” spottete, misst die kurzsichtige amerikanische Öffentlichkeit dem Spiel der gegenseitigen Schuldzuweisungen viel größere Bedeutung bei.
Aber sobald das eher wahrscheinliche Spiel der Schuldzuweisungen einsetzt, wird Trump ohne Zweifel Biden für den übermäßigen Anstieg des Gesamtpreisniveaus seit Januar 2021 verantwortlich machen. Umgekehrt könnte Biden die Schuld an dem Pandemie-Preisschock – und in diesem Zusammenhang auch an Amerikas verpfuschten Covid-Gegenmaßnahmen – Trump in die Schuhe schieben.
Werden die Kandidaten den niveauvolleren Weg der Visionen einschlagen oder sich in die Niederungen der Schuldzuweisung begeben? Welcher Ansatz wird überzeugender sein? Ich wünschte, ich könnte optimistischer sein, aber es scheint wenig Hoffnung auf eine sachliche Debatte über vernünftige Wirtschaftspolitik zu geben. Mein Rat lautet: Hoffen wir auf den niveauvollen Weg, aber bereiten wir uns auf die Niederungen vor, während wir gleichzeitig den wichtigen Unterschied zwischen Preisniveau und Preisänderungsrate im Auge behalten.
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US President Donald Trump’s import tariffs have triggered a wave of retaliatory measures, setting off a trade war with key partners and raising fears of a global downturn. But while Trump’s protectionism and erratic policy shifts could have far-reaching implications, the greatest victim is likely to be the United States itself.
warns that the new administration’s protectionism resembles the strategy many developing countries once tried.
It took a pandemic and the threat of war to get Germany to dispense with the two taboos – against debt and monetary financing of budgets – that have strangled its governments for decades. Now, it must join the rest of Europe in offering a positive vision of self-sufficiency and an “anti-fascist economic policy.”
welcomes the apparent departure from two policy taboos that have strangled the country's investment.
NEW HAVEN – Ökonomen ringen darum, ihre optimistische Einschätzung der US-Wirtschaft mit der Angst der amerikanischen Durchschnittsbürger in Einklang zu bringen. Die zentralen Kennzahlen der Wirtschaftsleistung – Wachstum, Arbeitslosigkeit und Inflation – präsentieren sich nahezu perfekt und versetzen die Vereinigten Staaten in eine beneidenswert starke Lage. Doch im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im November wird die Wirtschaft von den Wählern weiterhin als Top-Thema eingestuft. Das Hauptproblem: Inflation.
Doch wie kann das sein? Zum Ärger der meisten Ökonomen scheinen diese Lamentos völlig fehl am Platz zu sein. Der in den USA durch Covid-19 verursachte Preisschock von Frühjahr 2021 bis Ende 2023 hat sich dramatisch abgeschwächt. Ja, wir warten immer noch auf ein deutliches Signal der Entwarnung, dass sich die Inflation wieder auf das 2-Prozent-Ziel einpendelt, das die US-Notenbank Federal Reserve für vereinbar mit Preisstabilität hält. Dennoch besteht kein Zweifel, dass die Inflationsrisiken merklich gesunken sind.
Freilich gibt es einen gravierenden Haken: Selbst wenn die Inflation in den verheißungsvollen Bereich der Preisstabilität zurückkehren sollte – obgleich nicht so rasch, wie die Optimisten aus dem „Team Vorübergehend“ zunächst erwartet hatten – besteht dennoch ein ernstes politisches Problem im Zusammenhang mit diesem Szenario. Die Preise sind nämlich zu hoch – und dürften auch in den kommenden Jahren auf hohem Niveau verharren.
Es ist keine Haarspalterei, wenn ich das Wort „Preise“ anstelle von „Inflation“ verwende. Die Inflation beschreibt Veränderungen der Gesamtpreise, und das ist etwas völlig anderes als die Höhe des Preisindexes. Diese Unterscheidung ist für die politische Debatte im Vorfeld der Wahlen von entscheidender Bedeutung: Das Team von Präsident Joe Biden konzentriert sich auf die Inflationsrate, während die amerikanische Öffentlichkeit sich mehr um das Preisniveau sorgt.
Hinsichtlich der Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung herrscht weitgehend Einigkeit. Nachdem die Gesamtinflationsrate, gemessen am Verbraucherpreisindex (VPI) im Juni 2022 mit 9,1 Prozent ihren Höchststand nach der Pandemie erreicht hatte, ist sie in den letzten 11 Monaten auf durchschnittlich 3,3 Prozent gesunken – eine außergewöhnliche Verringerung oder „Disinflation“ innerhalb eines so kurzen Zeitraums. Allerdings ist die Inflation immer noch mehr als doppelt so hoch wie die durchschnittliche Inflationsrate von 1,5 Prozent in den sieben Jahren vor Covid und liegt damit deutlich über dem Fed-Ziel von 2 Prozent, wie aus einer etwas anderen Perspektive, nämlich dem auf dem BIP basierenden Preisindex für den privaten Verbrauch, ersichtlich ist.
Doch diese fast vollständige Erholung von dem Inflationsschock der Jahre 2021-2023 steht in krassem Gegensatz zu dem immer noch hohen Preisniveau. Genau darin liegt für Biden das politische Problem. Wie nachstehende Grafik zeigt, lag der Gesamt-VPI im Mai trotz der jüngsten Disinflation immer noch 20 Prozent über dem Niveau von Januar 2021, als er sein Amt antrat.
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Seit Januar 2021 präsentieren sich insbesondere die Preise für Energie (41 Prozent) und Transport (40 Prozent) sowie für Wohnen (22 Prozent) und Lebensmittel (21 Prozent) erhöht. Diese Posten bilden zusammen 63 Prozent des typischen Warenkorbs eines US-Verbrauchers. Sie werden aus gutem Grund als notwendige Ausgaben bezeichnet, denn praktisch jede Familie hat sie zu tätigen.
Eine grobe Schätzung auf Grundlage des Gesamt-Verbraucherpreisindexes legt nahe, dass das Preisniveau im Mai um ganze 15 Prozentpunkte höher lag als es der Fall gewesen wäre, hätte der VPI seinen vor der Covid-19-Pandemie verzeichneten Trend von 1,5 Prozent beibehalten. Kein Wunder also, dass die Menschen in den USA hinsichtlich der Wirtschaft derart pessimistisch sind. Der starke Preisanstieg, insbesondere im Bereich der Grundbedürfnisse, wiegt den Rückgang der Inflationsrate bei Weitem auf. Doch selbst wenn die Inflation wie erwartet weiter sinken sollte, bliebe das Preisniveau auf einem unangenehm hohen Niveau und würde weiter steigen, wenn auch in geringerem Maße. Eine anhaltende Phase echter Deflation - eine gefährliche Entwicklung für jede Volkswirtschaft - ist die einzige Möglichkeit, das allgemeine Preisniveau zu senken.
Die Diskrepanz zwischen hohen Preisen und einer stark rückläufigen Inflation könnte sich bei den bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen als entscheidendes wirtschaftliches Problem herausstellen. In normalen Zeiten würde es im Wahlkampf um die Frage gehen, welcher Kandidat die besten Lösungen anzubieten hat. Leider leben wir aber nicht in normalen Zeiten. Die derzeitige politische Lage in den USA wird dafür sorgen, dass Schuldzuweisungen in den Vordergrund rücken. Seit der ehemalige Präsident George H. W. Bush vor der Präsidentschaftswahl 1988 über die „Sache mit den Visionen” spottete, misst die kurzsichtige amerikanische Öffentlichkeit dem Spiel der gegenseitigen Schuldzuweisungen viel größere Bedeutung bei.
Biden hat eine Vision zur Lösung dieses heiklen Problems vorgelegt, zu der vor allem der Inflation Reduction Act und eine Strategie zur Beseitigung von Engpässen in Lieferketten zählen. Der voraussichtliche republikanische Kandidat, Ex-Präsident Donald Trump, würde wohl einen anderen Ansatz verfolgen, insbesondere aufgrund seiner Vorliebe für noch höhere Zölle, verschärfte Handelskonflikte und einen schwächeren Dollar, die allesamt die Inflation anheizen könnten.
Aber sobald das eher wahrscheinliche Spiel der Schuldzuweisungen einsetzt, wird Trump ohne Zweifel Biden für den übermäßigen Anstieg des Gesamtpreisniveaus seit Januar 2021 verantwortlich machen. Umgekehrt könnte Biden die Schuld an dem Pandemie-Preisschock – und in diesem Zusammenhang auch an Amerikas verpfuschten Covid-Gegenmaßnahmen – Trump in die Schuhe schieben.
Werden die Kandidaten den niveauvolleren Weg der Visionen einschlagen oder sich in die Niederungen der Schuldzuweisung begeben? Welcher Ansatz wird überzeugender sein? Ich wünschte, ich könnte optimistischer sein, aber es scheint wenig Hoffnung auf eine sachliche Debatte über vernünftige Wirtschaftspolitik zu geben. Mein Rat lautet: Hoffen wir auf den niveauvollen Weg, aber bereiten wir uns auf die Niederungen vor, während wir gleichzeitig den wichtigen Unterschied zwischen Preisniveau und Preisänderungsrate im Auge behalten.
Übersetzung: Helga Klinger-Groier