STOCKHOLM: Nun, da die Gegenoffensive der Ukraine in Gang kommt, müssen die westlichen Länder helfen, alle unter russischer Besatzung lebenden Ukrainer zu befreien. Doch darf die westliche Hilfe nicht mit der Niederlage Russlands enden. Die Unterstützer der Ukraine müssen ihr auch beim Wiederaufbau danach helfen.
Die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in London am 21.-22. Juni ist eine Gelegenheit, den Wiederaufbauprozess in Gang zu bringen. Die seit 2017 alljährlich von den internationalen Verbündeten der Ukraine ausgerichtete Konferenz wird Vertreter der Ukraine und anderer Länder sowie internationale Organisationen und NGOs zusammenführen, die jeweils eigene Vorschläge für den Wiederaufbau des Landes haben werden. Die Hoffnung ist, dass die Konferenz diese Initiativen zu einer in sich schlüssigen Strategie zusammenführen wird.
Die Weltbank hat in Zusammenarbeit mit der Kyiv School of Economics und dem ukrainischen Regional- und Infrastrukturministerium vor kurzem die durch den russischen Angriffskrieg verursachten Schäden geschätzt. Laut dem Bericht belaufen sich die Wiederaufbaukosten in der Ukraine auf mehr als 411 Milliarden Dollar – 2,6 Mal so viel wie das ukrainische BIP des Jahres 2022.
In den letzten 16 Monaten hat sich die G7 zur treibenden Kraft bei der wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine entwickelt. Die Gruppe hat ein Triumvirat aus hochrangigen Vertretern der USA, der Europäischen Union und der Ukraine ernannt, um die Hilfsbemühungen zu koordinieren. Die G7 hat zudem eine mehrere Behörden umfassende Geberkoordinierungsplattform eingerichtet, die den Wiederaufbau nach dem Krieg beaufsichtigen soll.
Doch besteht der Westen nicht nur aus der G7. Als wichtige Geber verdienen auch Länder wie Polen, Schweden, Norwegen und die Schweiz einen Platz am Entscheidungstisch. Auch die Regierung der Ukraine muss eine wichtige Rolle innerhalb des neuen Wiederaufbaugremiums spielen, und die dynamische Zivilgesellschaft des Landes sollte ebenfalls Teil dieser Diskussionen sein.
Die Londoner Konferenz muss Struktur und Mandat des neuen Wiederaufbaugremiums klären und die Ernennung einer die Wiederaufbaubemühungen leitenden rechenschaftspflichtigen Exekutive unterstützen. Um Transparenz zu gewährleisten, muss die vorgesehene Behörde zudem stringente Mechanismen zur Ausgabenprüfung einrichten. Auch private Unternehmen sollten – vielleicht durch einen Beirat aus dem privaten Sektor, der westliche und ukrainische Wirtschaftsführer umfasst – von Anfang an eingebunden werden.
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Angesichts der Tatsache, dass Russland diesen Krieg angefangen hat, muss es Reparationen zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine zahlen. Das steht im Einklang mit früheren Angriffskriegen wie der irakischen Invasion Kuwaits des Jahres 1990, die dazu führte, dass der Irak 52 Milliarden Dollar an Reparationen zahlte. Angesichts des schieren Ausmaßes der durch Russlands wahllose Gewalt angerichteten Verheerungen wären die Reparationen, die es schuldet, deutlich höher.
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat zu diesem Zweck im November eine Resolution verabschiedet, die Russland für die Kosten des Wiederaufbaus der Ukraine haftbar macht. Die von 94 der 193 Mitglieder der Generalversammlung unterstützte Resolution besagt, dass Russland „die Rechtsfolgen für alle seine völkerrechtswidrigen Handlungen, darunter Reparationen für die durch diese Handlungen verursachten Schäden einschließlich von Schadensersatz“ tragen müsse. Sie empfiehlt zudem die Gründung eines multilateralen Mechanismus zur Vereinfachung des Reparationsverfahrens sowie die Schaffung eines internationalen Schadensregisters. Im Einklang mit dieser Empfehlung haben die Kyiv School of Economics und das ukrainische Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung bereits begonnen, Ansprüche zu dokumentieren.
Natürlich wird sich Russland nicht mit der Zahlung von Reparationen einverstanden erklären, solange Wladimir Putin an der Macht bleibt. Doch sollte das die Ukraine und ihre Verbündeten nicht abschrecken. Am 1. Januar 2022 hielt die russische Notenbank internationale Devisenreserven in Höhe von 316 Milliarden Dollar. Diese von den G7-Ländern bei Kriegsbeginn eingefrorenen Gelder müssen beschlagnahmt und mit zur Bezahlung des Wiederaufbaus der Ukraine verwendet werden. Diese Reserven sind das unbestreitbare Eigentum des russischen Staates, der die Verantwortung für die in der Ukraine begangenen Kriegsverbrechen trägt. Es handelt sich dabei zudem um liquide Reserven; daher würde ihre Überführung auf Treuhandkonten nur minimale gesetzgeberische Maßnahmen erfordern.
Interessanterweise haben die westlichen Länder erst damit begonnen, ihren Besitz dieser Gelder zu bestätigen, als die EU ihre Mitgliedsstaaten verpflichtete, alle russischen Währungsreserven innerhalb ihrer Länder offenzulegen. Im Mai berichtete die EU, dass sie russische Notenbankreserven im Umfang von mehr als 200 Milliarden Euro hält. Andere G7-Länder, die russische Währungsreserven halten, darunter die USA, Japan und Kanada, müssen sich dem anschließen und im Vorfeld der Londoner Konferenz eine umfassende Abrechnung der von ihnen gehaltenen Beträge vorlegen.
Gemäß dem irakischen Präzedenzfall müssen diese russischen Währungsreserven auf ein vereinbartes Treuhandkonto bei der Notenbank eingezahlt werden. In den USA ließe sich dies ohne neue Gesetze mittels des International Emergency Economic Powers Act von 1977 erreichen. Andere westliche Länder sollten dem Beispiel Kanadas folgen und neue Gesetze verabschieden, die die Nutzung des beschlagnahmten russischen Vermögens zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine gestatten. Zugleich sollten die westlichen Regierungen einen umfassenden Plan zur Zuteilung und Verwaltung dieser Gelder entwickeln.
Während sie beträchtliche militärische Unterstützung aus dem Westen erhält, braucht die Ukraine nach wie vor kurzfristige Haushaltsmittel, um die hohe Inflation einzudämmen, die, da die Regierung das Defizit über die Notenpresse ausgleichen musste, auf 27 % gestiegenist. In diesem Jahr hat die ukrainische Regierung um 38 Milliarden Dollar an Haushaltshilfen gebeten. In den ersten vier Monaten des Jahres haben EU und USA bereits zum Ausgleich des Haushaltsdefizits beigetragen, was zur Senkung der Inflation geführt hat.
Im Juni 2022 gewährte die EU der Ukraine Kandidatenstatus und skizzierte sieben Voraussetzungen für den Beitritt des Landes. Dazu gehörten die Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit, die Sicherung von Eigentumsrechten und der Schutz der Integrität des Auswahl- und Überprüfungsverfahrens für Richter am Verfassungsgericht. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen vor der Londoner Konferenz würde die EU in die Lage versetzen, Beitrittsverhandlungen einzuleiten, deren Abschluss innerhalb von drei Jahren erwartet wird.
Um die wirtschaftliche Erholung der Ukraine anzuschieben, könnte die EU dem Land einen sofortigen Zugang zum Binnenmarkt einräumen. Doch muss die Erholung des Landes vom privaten Sektor ausgehen, was bedeutet, dass die ukrainische Regierung einem Privatisierungs- und Deregulierungskurs folgen muss, um die Rolle des Staates zu reduzieren. Durch den Schutz von Eigentumsrechten und die Bekämpfung der Korruption könnte die Ukraine zur Finanzierung ihres Wiederaufbaus und zum Erreichen eines nachhaltigen Wachstums beitragen.
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STOCKHOLM: Nun, da die Gegenoffensive der Ukraine in Gang kommt, müssen die westlichen Länder helfen, alle unter russischer Besatzung lebenden Ukrainer zu befreien. Doch darf die westliche Hilfe nicht mit der Niederlage Russlands enden. Die Unterstützer der Ukraine müssen ihr auch beim Wiederaufbau danach helfen.
Die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in London am 21.-22. Juni ist eine Gelegenheit, den Wiederaufbauprozess in Gang zu bringen. Die seit 2017 alljährlich von den internationalen Verbündeten der Ukraine ausgerichtete Konferenz wird Vertreter der Ukraine und anderer Länder sowie internationale Organisationen und NGOs zusammenführen, die jeweils eigene Vorschläge für den Wiederaufbau des Landes haben werden. Die Hoffnung ist, dass die Konferenz diese Initiativen zu einer in sich schlüssigen Strategie zusammenführen wird.
Die Weltbank hat in Zusammenarbeit mit der Kyiv School of Economics und dem ukrainischen Regional- und Infrastrukturministerium vor kurzem die durch den russischen Angriffskrieg verursachten Schäden geschätzt. Laut dem Bericht belaufen sich die Wiederaufbaukosten in der Ukraine auf mehr als 411 Milliarden Dollar – 2,6 Mal so viel wie das ukrainische BIP des Jahres 2022.
In den letzten 16 Monaten hat sich die G7 zur treibenden Kraft bei der wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine entwickelt. Die Gruppe hat ein Triumvirat aus hochrangigen Vertretern der USA, der Europäischen Union und der Ukraine ernannt, um die Hilfsbemühungen zu koordinieren. Die G7 hat zudem eine mehrere Behörden umfassende Geberkoordinierungsplattform eingerichtet, die den Wiederaufbau nach dem Krieg beaufsichtigen soll.
Doch besteht der Westen nicht nur aus der G7. Als wichtige Geber verdienen auch Länder wie Polen, Schweden, Norwegen und die Schweiz einen Platz am Entscheidungstisch. Auch die Regierung der Ukraine muss eine wichtige Rolle innerhalb des neuen Wiederaufbaugremiums spielen, und die dynamische Zivilgesellschaft des Landes sollte ebenfalls Teil dieser Diskussionen sein.
Die Londoner Konferenz muss Struktur und Mandat des neuen Wiederaufbaugremiums klären und die Ernennung einer die Wiederaufbaubemühungen leitenden rechenschaftspflichtigen Exekutive unterstützen. Um Transparenz zu gewährleisten, muss die vorgesehene Behörde zudem stringente Mechanismen zur Ausgabenprüfung einrichten. Auch private Unternehmen sollten – vielleicht durch einen Beirat aus dem privaten Sektor, der westliche und ukrainische Wirtschaftsführer umfasst – von Anfang an eingebunden werden.
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Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat zu diesem Zweck im November eine Resolution verabschiedet, die Russland für die Kosten des Wiederaufbaus der Ukraine haftbar macht. Die von 94 der 193 Mitglieder der Generalversammlung unterstützte Resolution besagt, dass Russland „die Rechtsfolgen für alle seine völkerrechtswidrigen Handlungen, darunter Reparationen für die durch diese Handlungen verursachten Schäden einschließlich von Schadensersatz“ tragen müsse. Sie empfiehlt zudem die Gründung eines multilateralen Mechanismus zur Vereinfachung des Reparationsverfahrens sowie die Schaffung eines internationalen Schadensregisters. Im Einklang mit dieser Empfehlung haben die Kyiv School of Economics und das ukrainische Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung bereits begonnen, Ansprüche zu dokumentieren.
Natürlich wird sich Russland nicht mit der Zahlung von Reparationen einverstanden erklären, solange Wladimir Putin an der Macht bleibt. Doch sollte das die Ukraine und ihre Verbündeten nicht abschrecken. Am 1. Januar 2022 hielt die russische Notenbank internationale Devisenreserven in Höhe von 316 Milliarden Dollar. Diese von den G7-Ländern bei Kriegsbeginn eingefrorenen Gelder müssen beschlagnahmt und mit zur Bezahlung des Wiederaufbaus der Ukraine verwendet werden. Diese Reserven sind das unbestreitbare Eigentum des russischen Staates, der die Verantwortung für die in der Ukraine begangenen Kriegsverbrechen trägt. Es handelt sich dabei zudem um liquide Reserven; daher würde ihre Überführung auf Treuhandkonten nur minimale gesetzgeberische Maßnahmen erfordern.
Interessanterweise haben die westlichen Länder erst damit begonnen, ihren Besitz dieser Gelder zu bestätigen, als die EU ihre Mitgliedsstaaten verpflichtete, alle russischen Währungsreserven innerhalb ihrer Länder offenzulegen. Im Mai berichtete die EU, dass sie russische Notenbankreserven im Umfang von mehr als 200 Milliarden Euro hält. Andere G7-Länder, die russische Währungsreserven halten, darunter die USA, Japan und Kanada, müssen sich dem anschließen und im Vorfeld der Londoner Konferenz eine umfassende Abrechnung der von ihnen gehaltenen Beträge vorlegen.
Gemäß dem irakischen Präzedenzfall müssen diese russischen Währungsreserven auf ein vereinbartes Treuhandkonto bei der Notenbank eingezahlt werden. In den USA ließe sich dies ohne neue Gesetze mittels des International Emergency Economic Powers Act von 1977 erreichen. Andere westliche Länder sollten dem Beispiel Kanadas folgen und neue Gesetze verabschieden, die die Nutzung des beschlagnahmten russischen Vermögens zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine gestatten. Zugleich sollten die westlichen Regierungen einen umfassenden Plan zur Zuteilung und Verwaltung dieser Gelder entwickeln.
Während sie beträchtliche militärische Unterstützung aus dem Westen erhält, braucht die Ukraine nach wie vor kurzfristige Haushaltsmittel, um die hohe Inflation einzudämmen, die, da die Regierung das Defizit über die Notenpresse ausgleichen musste, auf 27 % gestiegenist. In diesem Jahr hat die ukrainische Regierung um 38 Milliarden Dollar an Haushaltshilfen gebeten. In den ersten vier Monaten des Jahres haben EU und USA bereits zum Ausgleich des Haushaltsdefizits beigetragen, was zur Senkung der Inflation geführt hat.
Im Juni 2022 gewährte die EU der Ukraine Kandidatenstatus und skizzierte sieben Voraussetzungen für den Beitritt des Landes. Dazu gehörten die Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit, die Sicherung von Eigentumsrechten und der Schutz der Integrität des Auswahl- und Überprüfungsverfahrens für Richter am Verfassungsgericht. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen vor der Londoner Konferenz würde die EU in die Lage versetzen, Beitrittsverhandlungen einzuleiten, deren Abschluss innerhalb von drei Jahren erwartet wird.
Um die wirtschaftliche Erholung der Ukraine anzuschieben, könnte die EU dem Land einen sofortigen Zugang zum Binnenmarkt einräumen. Doch muss die Erholung des Landes vom privaten Sektor ausgehen, was bedeutet, dass die ukrainische Regierung einem Privatisierungs- und Deregulierungskurs folgen muss, um die Rolle des Staates zu reduzieren. Durch den Schutz von Eigentumsrechten und die Bekämpfung der Korruption könnte die Ukraine zur Finanzierung ihres Wiederaufbaus und zum Erreichen eines nachhaltigen Wachstums beitragen.
Aus dem Englischen von Jan Doolan