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Kalter Krieg oder kühle Berechnung?

NEW YORK – Aufgrund der eskalierenden Gewalt im Süden und Osten der Ukraine und ohne eine Lösung in Sicht, hat sich die Krise in der Ukraine zum weltweit heftigsten geopolitischen Konflikt seit jenem zugespitzt, der 2001 durch die Terroranschläge gegen die Vereinigten Staaten ausgelöst wurde. Die von den USA angeführten Sanktionen werden weder die Spannungen zwischen dem Westen und Russland deeskalieren, noch die gefährdete prowestliche ukrainische Regierung stärken. Doch selbst angesichts schärferer Sanktionen gegen Russland und der zunehmenden Gewalt in der Ukraine ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass wir kurz vor dem Beginn eines zweiten Kalten Krieges stehen.

Die USA haben mit einer Verschärfung der Sanktionen auf die russische Aggression reagiert und stellen gleichzeitig sicher, dass Amerikas Verbündete vereint bleiben. Auf einer vor kurzem abgehaltenen gemeinsamen Pressekonferenz haben Präsident Barack Obama und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel eine neue, niedrigere Schwelle für weitere Sanktionen angekündigt. Zuvor hatte diese Schwelle in einer direkten militärischen Invasion Russlands bestanden; nun hat Angela Merkel erklärt, dass „weitere Sanktionen unvermeidbar sein werden“, wenn Russland die für den 25. Mai geplanten Wahlen in der Ukraine stören sollte.

Allerdings haben Merkel und Obama auch die Tragweite dieser möglichen „weiteren Sanktionen“ verringert. Anstatt weitreichende sektorale Maßnahmen einzuleiten, die auf weite Teile der russischen Wirtschaft abzielen – ein großer Schritt in Richtung „Iran-ähnlicher“ Sanktionen gegen Russland – scheint die nächste Runde lediglich in einer schrittweisen Verschärfung zu bestehen. Mit der Abhaltung der Präsidentschaftswahlen als entscheidende Wegmarke ist eine weitere Runde von Sanktionen so gut wie sicher, ermöglicht aber eine moderate und schrittweise Verschärfung.

Warum diese Beschränkung auf eher zurückhaltende Sanktionen? Die Amerikaner gehen davon aus, dass sich Europa von ihrem Vorgehen öffentlich lossagen wird, wenn die USA zu schnell zu weit gehen, da für die Europäer wirtschaftlich weitaus mehr auf dem Spiel steht. Während die USA und Russland eine ausgesprochen begrenzte Handelsbeziehung pflegen – die im vergangenen Jahr einen Wert von etwa 40 Milliarden US-Dollar oder rund 1% des amerikanischen Gesamthandels hatte – führen Europas finanzielles Engagement in Russland sowie seine Abhängigkeit von russischem Erdgas dazu, dass es einer Torpedierung seiner Wirtschaftsbeziehungen deutlich zurückhaltender gegenübersteht.

Noch wichtiger ist, dass das Ausmaß der Abhängigkeit von Russland in der Europäischen Union stark variiert, was eine maßgebliche Koordinierung erschwert – und der Abstimmung der EU mit den USA Grenzen setzt. Aus diesem Grund haben die Europäer bei der Ankündigung der neuen Sanktionen eine moderate Ausweitung ihrer vorhandenen Liste vorgenommen – und sich vorrangig auf Militärangehörige und Politiker konzentriert – während die USA weiter gegangen sind und mehrere russische Institutionen hinzugefügt haben. Als die Sanktionen verkündet wurden, hat der russische Aktienmarkt mit einem Kurssprung reagiert, ein klares Anzeichen, dass die Reaktion des Westens hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.

Obwohl die Sanktionen tatsächlich wirtschaftliche Auswirkungen auf Russland haben, vor allem weil sie die Kapitalflucht befördern, wird eine weitere Verschärfung die Entscheidungsfindung des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht wesentlich verändern. Für Putins Russland steht in der Ukraine zu viel auf dem Spiel, und sein Vorgehen ist im eigenen Land überwiegend auf Beifall gestoßen.

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Doch trotz der zunehmenden Spannungen und ohne Aussicht auf ein Einlenken Russlands, steuert die Welt nicht auf einen neuen Kalten Krieg zu. Zunächst einmal rechtfertigen Amerikas Interessen in der Ukraine keinen Truppeneinsatz, während sich Europas Unterstützung für Amerikas diplomatische Position schleppend gestaltet.

Hinzukommt, dass Russland langfristig im Niedergang begriffen ist. Die Wirtschaft und der Staatshaushalt sind zunehmend von Öl und Gas abhängig; die 110 reichsten Russen kontrollieren über ein Drittel des Reichtums des Landes; und Russland ist mit einem Verteidigungsetat, der etwa einem Achtel des US-Verteidigungshaushaltes entspricht, militärisch weitaus weniger handlungsfähig als zu Sowjetzeiten. Demografisch zeichnet sich ein düsteres Bild mit einer an alternden Bevölkerung und einer niedrigen Geburtenrate ab.

Um einen kohärenten Block zu bilden, der sich der von den USA geprägten globalen Ordnung widersetzen könnte, bräuchte Russland mächtige Freunde, die es nicht hat. Bei der Abstimmung der Vollversammlung der Vereinten Nationen über die Legitimität der Krim-Annexion, haben nur zehn Länder – Nachbarn im Einflussbereich Russlands (Armenien und Weißrussland), traditionell wohlgesonnene lateinamerikanische Länder (Bolivien, Nicaragua und Venezuela) und Schurkenstaaten (Kuba, Nordkorea, Simbabwe, Sudan und Syrien) – Partei für Russland ergriffen.

Das Land, das den Ausschlag geben und eine Dynamik wie im Kalten Krieg entstehen lassen könnte, ist China. Doch die Chinesen haben sich in keiner Weise bereit gezeigt, sich für eines der beiden Lager zu entscheiden, da sie von einer Ausweitung russischer Energieexporte nach China und den neuen Gelegenheiten profitieren würden, die sich aus der zunehmenden Zurückhaltung westlicher Unternehmen ergeben würden, in Russland Geschäfte zu machen.

China könnte diese Früchte ernten, ohne seine größten Handelspartner, die EU und die USA, zu verärgern. Zudem steht China einer Unterstützung der russischen Bemühungen, Aufruhr innerhalb der ukrainischen Grenzen zu stiften zurückhaltend gegenüber, weil das Beispiel Ukraine in seinen eigenen Unruheprovinzen, etwa Xinjiang und Tibet, Schule machen könnte.

Die gute Nachricht ist also, dass wir nicht auf einen globalen Krieg zusteuern, weder einen kalten, noch einen heißen. Doch die Konsequenzen einer verfehlten westlichen Politik werden immer offensichtlicher. Die USA sind nicht imstande, Russland erfolgreich dafür zu isolieren gegen das Völkerrecht zu verstoßen und sich das Territorium eines anderen Staates einzuverleiben. Andere große Schwellenländer mögen zwar nicht geschlossen hinter Russland stehen, schließen sich aber auch nicht dem US-amerikanischen Vorgehen an. Das Drängen auf schärfere Sanktionen würde zum Zerwürfnis mit Europa führen, während sich Russland in wirtschaftlicher Hinsicht weiter China annähern würde.

Unterdessen ist die ukrainische Regierung in Gefahr. Es mangelt ihr an militärischen Kapazitäten die separatistischen Kräfte im Süden und Osten des Landes aufzuhalten, doch wenn sie nicht handelt, wird sie mit zunehmendem innenpolitischem Druck und Illegitimität konfrontiert.

Für die USA besteht die beste Lösung darin, der Ukraine mehr Zuckerbrot anzubieten, statt bei Russland verstärkt zur Peitsche zu greifen. Bislang haben die USA Kreditbürgschaften in Höhe von 1 Milliarde US-Dollar zugesagt, was viel zu wenig ist. Die unerfahrene prowestliche Regierung verliert gegenüber Russland täglich an Boden; der Westen sollte sich darauf konzentrieren sie zu unterstützen.

Die Pressekonferenz von Obama und Merkel war von symbolischem Nutzen, indem eine gemeinsame Front gegenüber Russland gebildet wurde, auch wenn sich die beiden Entscheidungsträger offensichtlich uneinig darüber sind, auf welche Weise – und in welchem Ausmaß – der Kreml bestraft werden soll. Für europäische und amerikanische Interessen ist es jedoch von größerer Bedeutung, die ukrainische Regierung zu unterstützen und die finanziellen Zusagen einzuhalten – auch wenn die Ukraine aus den Schlagzeilen verschwindet und neue Krisen ausbrechen. Es ist für beide Seiten einfacher machbar, diesen Ansatz zu verfolgen.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

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