barcena1_RAFI AKHDANTYO_AFP_Getty Images RAFI AKHDANTYO/AFP/Getty Images

Die Verbesserung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit

PARIS – Die Zeiten sind hart für die internationale Zusammenarbeit. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Protektionismus, losbrechender Handelskonflikte und eines beunruhigenden Mangels an Engagement für gemeinsame Interessen wie dem Kampf gegen den Klimawandel scheint die Welt dem Multilateralismus den Rücken zu kehren.

Trotzdem bleibt Zusammenarbeit eine unserer größten Hoffnungen, wenn es darum geht, die komplexesten entwicklungsbezogenen Herausforderungen der Menschheit in Angriff zu nehmen. Ebenso wie es mit dem Marshall-Plan gelang, ein vom Krieg zerstörtes Europa wiederaufzubauen und die Millenniums-Entwicklungsziele etwa 471 Millionen Menschen aus extremer Armut befreiten, kann auch die internationale Entwicklungsagenda dank des gemeinsamen Potenzials der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, der Aktionsagenda von Addis Abeba und des Pariser Klimaabkommens zu positiven Ergebnissen führen.   

Dennoch kann man sich im Rahmen dieser Agenda nicht weiterhin traditioneller Denkweisen und Instrumente bedienen, um Ländern gerecht zu werden, die nicht mehr als „Entwicklungsländer” oder „sehr bedürftig“ einzustufen sind, da sie eine bestimmte Schwelle hinsichtlich des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens überschritten haben. Diese Herausforderung ist in Lateinamerika und der Karibik besonders vordringlich, wo zahlreiche Länder zwar ein höheres Pro-Kopf-BIP erreichten, aber auf ihrem Weg in Richtung langfristigen Wohlstand nach wie vor mit erheblichen Schwächen und strukturellen Hindernissen konfrontiert sind.

Wie kann die internationale Gemeinschaft Ländern wie diesen dabei helfen, Einkommenszuwächse in nachhaltige Entwicklungsgewinne umzuwandeln? Wie können die Erfahrungen und Lehren dieser Länder mit Ländern in ähnlichen Situationen geteilt werden? Wir glauben, dass die Antwort darin besteht, sich eines neuen und besseren Instrumentariums zur Bewertung der Herausforderungen und der Umsetzung von Lösungen zu bedienen – wir bezeichnen diesen Ansatz als  „Entwicklung im Umbruch”. Im Rahmen dieses Regelwerks erfordern vier Schlüsselbereiche sofortige und fortgesetzte Aufmerksamkeit.

Zunächst müssen die Beteiligten ihre Beurteilung dessen ändern, was sie als Fortschritt betrachten. Häufig verwendete einkommensbezogene Indikatoren wie Pro-Kopf-BIP sind zu eng gefasst, um der Komplexität des Entwicklungstandes eines Landes gerecht zu werden und deshalb bedarf es neuer Ansätze und Methoden. Indikatoren des Wohlergehens und strukturelle Lücken zeichnen beispielsweise ein genaueres Bild sozioökonomischer Gesundheit, zu der auch die Umwelt gehören muss. Daten über Lebensqualität, Nachhaltigkeit, Gesundheitsversorgung, Bildung und andere Indikatoren sind bessere Leitlinien für die Entwicklungsplanung als das Einkommensniveau allein.

Zweitens: weil es im Bereich Entwicklung keine Patentrezepte gibt, müssen die Länder auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Strategien entwickeln. Darüber hinaus erfordert eine effektive Entwicklungsplanung partizipative Prozesse, in denen die Beiträge regionaler und lokaler Akteure Berücksichtigung finden und die das allgemeine kollektive Wohl im Blick haben. Die besten Pläne kombinieren nationale Zielvorgaben mit der Anerkennung lokaler wirtschaftlicher Gegebenheiten und definieren Prioritäten und Kompromissmöglichkeiten, die den Regierungen auf allen Ebenen Flexibilität in der Umsetzung ermöglichen. Um Kohärenz zu wahren und internationale Zusammenarbeit zu fördern, müssen diese Pläne in der Agenda 2030 verankert sein.

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Drittens müssen die Länder das mit dem Entwicklungsfortschritt verbundene  Finanzierungsdilemma lösen. Wenn Volkswirtschaften ein höheres Einkommensniveau erreichen, stehen sie oft vor dem Problem rückläufiger offizieller Entwicklungshilfe und anderer versiegender Kapitalquellen. Weil aber viele Länder relativ geringe Steuerquoten aufweisen, kann die Mobilisierung heimischer Ressourcen für Entwicklungsausgaben schwierig werden, wodurch internationale Zusammenarbeit nötig wird, im Rahmen derer Haushaltsreformen konzipiert und umgesetzt werden, um die makroökonomische Stabilität zu erhalten und gleichzeitig die sozioökonomische Gesundheit zu verbessern. 

Schließlich bedarf es insgesamt neuer Formen der Zusammenarbeit. In vielen Teilen der Welt haben regionale und internationale Governance-Systeme den Bilateralismus verdrängt.  Die Länder sollten bestehende Partnerschaften vertiefen und die Schaffung neuer Partnerschaften anstreben. Zu den Möglichkeiten eines verstärkten Engagements zählen Süd-Süd- und Dreieckskooperationen, Wissensaustausch, Technologietransfers und direkte politische Dialoge. Zum ersten Mal steht mit der Agenda 2030 eine allgemein akzeptierte Leitlinie zur Verfügung, so dass alle Länder innerhalb derselben Parameter kommunizieren können.

In ihrem Reformwillen haben sich unsere Organisationen zusammengetan und die regionale Fazilität für Entwicklung im Umbruch für Lateinamerika und die Karibik ins Leben gerufen. Diese Initiative soll den Ländern der Region auf ihrem Weg in Richtung höherer Einkommensniveaus helfen, ihre Entwicklungsziele zu erreichen. Diese Fazilität, die geschaffen wurde, um die Länder bei der Identifizierung, Konzipierung und Lösungsumsetzung im Rahmen der  Ziele nachhaltiger Entwicklung zu unterstützen, könnte sich als bedeutender Schritt im Hinblick auf die im nächsten Jahr in Buenos Aires stattfindende zweite hochrangige Konferenz der Vereinten Nationen über die Süd-Süd-Kooperation (BAPA+40) erweisen.

Um jedoch die Entwicklungsergebnisse zu verbessern, müssen die Länder eine stärkere Motivation als nur die Verfolgung ihrer Eigeninteressen haben. Wie UN-Generalsekretär António Guterres anlässlich der 37. Sitzung der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik betonte, besteht eine der besten Möglichkeiten darin, die Parameter der Entwicklung an sich neu zu definieren.

Dem stimmen wir aus voller Überzeugung zu. In einer Zeit, da die Vorteile des Multilateralismus genau zu einem Zeitpunkt infrage gestellt werden, da wir uns den ökologischen Grenzen des Planeten nähern, die Einkommensungleichheit wächst und Innovation und Technologie die Art, wie Menschen lernen und arbeiten, verändern, braucht die Welt einen gerechteren und kooperativeren Ansatz im Bereich Globalisierung. Und eine der besten Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen, besteht in der Gestaltung eines nachhaltigen Entwicklungsmodells, das niemanden zurücklässt. 

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/wNjvwGIde