Wird der Euro den Dollar vom Thron stoßen?

Die Dominanz Amerikas im internationalen Finanzwesen rührt großteils vom Status des Dollars als internationalem Zahlungsmittel her. Amerikas Bekenntnis zu freien Kapitalmärkten, Rechtsstaatlichkeit und Preisstabilität verleihen dem Dollar als Wertaufbewahrungsmittel Glaubwürdigkeit. Die amerikanische Neigung zum Geldausgeben jedoch hat den Ruf des Dollars untergraben, und der Dollarüberschuss auf den Weltmärkten drückt auf den Kurs. Der Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar hat in diesem Frühjahr einen absoluten Höchststand erreicht. Mittlerweile erhöhen die Zentralbanken den Euroanteil ihrer Währungsreserven. Ist der Dollar dabei, die Krone der internationalen Finanzwelt an den Euro zu verlieren?

Die Geschichte legt – trotz des derzeit verletzlichen Dollars – etwas anderes nahe.

Die finanzielle Vorherrschaft Amerikas im 21. Jahrhundert ähnelt der Lage Großbritanniens in der Weltfinanz vor 100 Jahren. Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 diente das britische Pfund als bevorzugte Währung bei internationalen Geschäften, ganz so, wie es heute der Dollar tut, und die weltweiten Darlehensnehmer besuchten damals die City von London, um Kapital aufzubringen.

Der britische Ökonom John Maynard Keynes fürchtete, dass andere Länder ihre Handelsgeschäfte nicht länger in Pfund abwickeln würden, sollte dieses nicht mehr als zuverlässiges Wertaufbewahrungsmittel betrachtet werden. Die „zukünftige Stellung der Londoner City,“ so Keynes, sei davon abhängig, dass das Pfund der Geschäftswelt auch in Zukunft als Goldäquivalent diene. Großbritannien behielt die Umwandelbarkeit in Gold zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges bei, um die Glaubwürdigkeit des Pfundes als internationales Zahlungsmittel zu bewahren.

Der Dollar konnte die Rolle des Pfundes als Weltwährung ohne entsprechende Reputation nicht in Frage stellen. Der August 1914 bot die Chance dazu. Der größte Abfluss von Gold seit einer Generation gefährdete Amerikas Fähigkeit zur Rückzahlung seiner Auslandsschulden. Die Befürchtung, dass die USA den Goldstandard aufgeben würden, schickte an Dollar an den Weltmärkten auf Talfahrt.

US-Finanzminister William G. McAdoo jedoch rettete im August 1914 Amerikas Finanzehre, indem er am Gold festhielt, als alle anderen – die Briten ausgenommen – ihre Verpflichtungen im Stich ließen. Trotz der umgehenden Glaubwürdigkeit jedoch, die sich der Dollar hierdurch erwarb, dauerte es mehr als ein Jahrzehnt, bis Amerikas Währung mit der britischen als internationales Zahlungsmittel gleichgezogen hatte. Zahlungsgewohnheiten ändern sich langsam.

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Großbritanniens Wandel vom internationalen Kreditgeber zum internationalen Kreditnehmer während des Ersten Weltkrieges gab dem Dollar im Kampf mit dem Pfund die „zweite Luft“. Im April 1919 mussten die Briten die Umwandelbarkeit in Gold aufgeben – ein taktischer Rückzug, der den Weg für Großbritanniens Rückkehr zum früheren Kursverhältnis von 1:4,8665 gegenüber dem US-Dollar bereiten sollte. Sechs Jahre später, im April 1925, bestätigte Großbritannien seine geldpolitische Glaubwürdigkeit und kehrte zum Goldstandard zurück. Zu diesem Zeitpunkt jedoch hatte das Pfund bereits irreparablen Schaden genommen.

Die Erfahrung von 1914 legt nahe, dass eine glaubwürdige Alternative eine unter Druck stehende Weltwährung ersetzen kann, insbesondere wenn diese durch eine ungünstige Handelsbilanz geschwächt ist. Doch selbst dann braucht es seine Zeit, den herrschenden Monarchen des internationalen Zahlungsverkehrs vom Thron zu stoßen.

Dem Euro – einer Währung ohne Land – fehlt es an über lange Jahre erworbener Glaubwürdigkeit. Dreizehn Länder der Europäischen Union nutzen den Euro als ihr Zahlungsmittel. Doch das Bekenntnis dieser unabhängigen politischen Einheiten zum Euro kann sich nicht mit dem historischen Bekenntnis Amerikas zum Dollar messen.

Die 1998 gegründet Europäische Zentralbank hat die Aufgabe, die neue Währung so zu verwalten, dass die Preisstabilität gewährleistet ist. Doch die EZB braucht Zeit, um sich als Kämpfer gegen die Inflation einen Namen zu machen. Sie kann sich dabei nicht an den Goldstandard anhängen, wie es Amerika vor 100 Jahren getan hat. Also muss sich der Euro von Krise zu Krise seinen Ruf verdienen, um dem Dollar als Währung der Wahl für internationale Transaktionen entgegenzutreten.

Die jüngsten Erfahrungen mit dem Euro als offizieller Reservewährung sind aufschlussreich. Von 2000 bis 2005 verlor der Dollar gegenüber dem Euro um mehr als 25% an Wert. Zugleich wuchs der Euroanteil an den internationalen Währungsreserven von 18% auf 24%, und der Anteil des Dollars fiel von 71% auf 66%. Kurz gesagt: Der Euro hat in dieser Phase US-amerikanischer Zahlungsbilanzdefizite eindeutig Fortschritte gemacht, doch spiegelt dies einen evolutionären Niedergang der Vorherrschaft des Dollars wider, keinen revolutionären Regimewechsel.

Was könnte eine fatale Flucht aus dem Dollar an den Weltmärkten auslösen? Während ein abrupter Verkauf durch wichtige ausländische Dollarinhaber wie etwa China auf breiter Front unwahrscheinlich scheint, könnte ein verhängnisvolles Ereignis – ähnlich dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges – eine Suche nach einem neuen internationalen Zahlungsmittel auslösen. Im modernen Zeitalter automatisierter Zahlungsflüsse könnte ein solcher Umbruch etwa durch einen terroristischen Angriff ausgelöst werden, der die computerisierten Transfereinrichtungen des weltweiten Bankensystems unterminiert. Ein katastrophaler Verlust elektronischer Aufzeichnungen könnte die Glaubwürdigkeit des Dollars als internationalem Zahlungsmittel mit Sicherheit vernichten.

Was für eine Währung genau allerdings den Dollar unter derartigen Umständen ersetzen würde, bleibt offen. Schließlich würde ein Verlust von Computeraufzeichnungen den Euro gleichermaßen fragwürdig erscheinen lassen. Vielleicht würde das Gold – ein Wertaufbewahrungsmittel, dem physikalische Verformung nichts ausmacht – ein Comeback feiern. Natürlich kann man nur hoffen, dass ein derartiges Szenario bloße Fantasie bleibt.

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