delong254_ Samuel CorumGetty Images_january6riot Samuel Corum/Getty Images

Amerikanische Angst

NEW YORK: Wenn es ein Ereignis gibt, das das kommende Jahr dominieren wird, dann dürfte das fast mit Sicherheit die US-Präsidentschaftswahl sein. Sofern nicht etwas Unerwartetes geschieht, dürften wir eine Neuauflage der Wahl zwischen Joe Biden und Donald Trump erleben, deren Ausgang gefährlich ungewiss ist. Ein Jahr vorab sehen Meinungsumfragen Trump in wichtigen Swing States vorn.

Die Wahl wird nicht nur für die USA, sondern für die Welt insgesamt von Bedeutung sein. Das Ergebnis könnte von den Wirtschaftsaussichten für 2024 abhängen, die ihrerseits unter anderem davon abhängen, wie sich der jüngste Konflikt im Nahen Osten entwickelt. Meine Vermutung (und zugleich mein schlimmster Albtraum) ist, dass Israel die internationalen Bitten um einen Waffenstillstand in Gaza, wo 2,3 Millionen Palästinenser seit Jahrzehnten in Armut leben, weiterhin ignorieren wird. Was ich während eines Besuchs als Chefökonom der Weltbank in den späten 1990er Jahren dort sah, war herzzerreißend genug, und die Situation hat sich noch verschlechtert, seit Israel und Ägypten vor 16 Jahren in Reaktion auf die Übernahme der Enklave durch die Hamas eine vollständige Blockade verhängt haben.

Ungeachtet der von der Hamas am 7. Oktober verübten Gräueltaten werden die Menschen in den arabischen Ländern die Brutalität, die Gaza angetan wird, nicht hinnehmen. Daher ist schwer erkennbar, wie wir eine Neuauflage des Jahres 1973 vermeiden können, als die arabischen OPEC-Mitglieder ein Ölembargo gegen die Länder verhängten, die Israel im Jom-Kippur-Krieg unterstützt hatten. Diese Vergeltungsmaßnahme würde die Ölproduzenten des Nahen Ostens nicht viel kosten, denn der Anstieg der Preise würde den Rückgang der Liefermengen ausgleichen. Kein Wunder, dass die Weltbank und andere bereits gewarnt haben, dass die Ölpreise auf 150 Dollar pro Barrel oder höher steigen könnten. Das würde eine neuerliche Phase angebotsgetriebener Inflation auslösen, just da die postpandemische Inflation unter Kontrolle gebracht wird.

In diesem Szenario wird Biden unvermeidlich für die höheren Preise verantwortlich gemacht und des Missmanagements im Nahen Osten beschuldigt werden. Es wird dabei kaum eine Rolle spielen, dass der Konflikt durch die Abraham-Abkommen der Trump-Regierung und Israels Schwenk zu einer faktischen Einstaatenlösung neu entfacht wurde. So oder so könnten die Turbulenzen in der Region das Pendel zu Trumps Gunsten ausschlagen lassen. Ein hochpolarisiertes Elektorat und Berge von Desinformation könnten die Welt erneut mit einem inkompetenten Lügner belasten, der darauf aus ist, die demokratischen Institutionen der USA abzuschaffen und sich bei autoritären Führern wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán einzuschmeicheln.

Bestenfalls kann man bei einer Rückkehr Trumps auf politischen Stillstand hoffen – aber nur, wenn der Kongress zumindest teilweise unter demokratischer Kontrolle bleibt. Global gesehen werden jedoch internationale Abkommen und die Idee internationaler Rechtsstaatlichkeit schnell ihre Kraft einbüßen, wenn Trump die USA in impulsiver Weise aus ihm nicht zusagenden Abkommen und Institutionen zurückzieht.

Die Tragödie dabei ist, dass Biden bisher objektiv gesehen ein außerordentlich erfolgreicher Präsident ist. Er hat die Situation in der Ukraine besser gemeistert, als vielleicht irgendwer sonst es vermocht hätte. Er hat die USA mit einem großen Infrastrukturgesetz – dem CHIPS- and Science Act – und dem Inflation Reduction Act (der die Mittel für die ökologische Wende bereitstellt) auf einen neuen wirtschaftlichen Kurs bracht. Und seit Anfang 2023 musste er sich mit einem Repräsentantenhaus auseinandersetzen, das von Republikanern kontrolliert wird, die sich als unfähig erwiesen haben, zu regieren – und auch kein Interesse zeigen, es zu versuchen.

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Soweit die Republikanische Partei überhaupt eine politische Agenda hat, entspricht diese nicht dem, was die Amerikaner wollen. Die meisten Wähler lehnen eine regressive Besteuerung und eine arbeitnehmerfeindliche Politik (die zur Ungleichheit beitragen), Angriffe auf Universitäten und Wissenschaft (die das künftige Wachstum untergraben) und die atavistische Rücknahme von Frauenrechten ab. Dennoch waren die Republikaner außerordentlich erfolgreich dabei, das Wahlkampffeld zu ihrem Vorteil zu gestalten und Biden als zu alt darzustellen.

Zudem haben einige abtrünnige Demokraten die Republikaner lautstark nachgeäfft, indem sie die Idee verbreiteten, dass die Inflation auf die Ausgaben der Biden-Regierung zur Unterstützung der Erholung von der Pandemie zurückzuführen sei. Doch diese Ausgaben wurden angesichts tiefer Unsicherheit getätigt, bevor Dauer und Ausmaß des pandemiebedingten Abschwungs bekannt waren. Die neue Regierung handelte klug, als sie sich entschied, lieber zu viel als zu wenig zu tun, und Biden lieferte letztlich ein Konjunkturpaket ab, das bemerkenswert nah an dem lag, was nötig war. Eine sorgfältige Prüfung der Daten zeigt, dass die postpandemische Inflation nicht in erster Linie durch eine übermäßig starke Gesamtnachfrage verursacht wurde, sondern durch pandemiebedingte Angebotsengpässe und Nachfrageverschiebungen (die durch Russlands Invasion in der Ukraine im Februar 2022 noch verschärft wurden).

Diejenigen von uns, die diese Haltung verteidigten, argumentierten, dass die Inflation eingedämmt werden und dann zu sinken beginnen würde (obwohl niemand genau vorhersagen könne, wann). Genau das ist passiert. Leider haben die Notenbanken fälschlich eine übermäßig starke Nachfrage als Inflationsursache ausgemacht und alles getan, um diese zu dämpfen. Hierzu haben sie die Zinssätze schnell und enorm stark erhöht.

Jedoch haben die USA das Glück, dass sich hier zwei Fehler gegenseitig aufheben werden. Während sich die fiskalpolitischen Maßnahmen unerwartet stark auszuwirken scheinen – der IRA wird laut Prognosen nun dreimal so hohe Ausgaben auslösen wie erwartet –, hat die übermäßige Straffung der Geldpolitik durch die US Federal Reserve diesen Effekt ausgeglichen. Dies hat eine weiche Landung bewirkt, die schon allein Bidens Aussichten erheblich verbessert hätte, wäre er von den Turbulenzen im Nahen Osten verschont geblieben.

Was die Zukunft angeht, so werden hohe Ölpreise aufgrund der Energieunabhängigkeit der USA in erster Linie eine Einkommensumverteilung von den Verbrauchern hin zu den Ölproduzenten zur Folge haben. Zwar ließe sich dieses regressive Ergebnis durch eine gut konzipierte Steuer auf Zufallsgewinne rückgängig machen. Selbst wenn Biden ein derartiges Gesetz nicht durch den Kongress bringen kann, könnte es ihm politisch nutzen, wenn er sich dafür stark macht. Die Verbraucher wüssten, dass er sich für sie einsetzt und sich den Ölunternehmen und den Republikanern, deren Wahlkampf diese finanzieren, entgegenstellt. Doch fürchte ich, dass Biden wie schon bei Vorschlägen zur Besteuerung von Zufallsgewinnen während der Pandemie auch diesmal vor dieser Option zurückschrecken wird.

Die übrige Welt hat weniger Glück. In Europa, wo die weniger umfangreichen fiskalpolitischen Maßnahmen die kontraktive Geldpolitik nicht ausgleichen konnten, werden sich die höheren Energiepreise verheerend auswirken. Es bestehen zudem ernste Zweifel in Bezug auf Chinas Fähigkeit, die wachsenden Probleme in seinem Immobiliensektor oder die Auswirkungen des neuen Kalten Krieges auf seine Exporte zu bewältigen – insbesondere, da die chinesische Regierung derzeit ihre Kontrolle über den Privatsektor verschärft. Und die hohen Schulden in vielen Ländern des Globalen Südens könnten sich bei einer globalen Konjunkturabkühlung als untragbar erweisen, insbesondere im Verbund mit hohen Zinssätzen und höheren Öl- und Nahrungsmittelpreisen.

Vor dem Flächenbrand in Gaza hatte ich eine weiche Landung in den USA erwartet, aber härtere Zeiten für die übrige Welt. Jetzt rechne ich überall mit Schwierigkeiten und sehe eine erhöhte Chance, dass Trump ins Weiße Haus zurückkehrt. Die Welt könnte in ihre gefährlichste Periode seit den 1930er Jahren eintreten.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/c6iUNtKde