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Wider die Klimaverzweiflung

STOCKHOLM/BRÜSSEL/OSLO – Düstere Vorhersagen über den bevorstehenden Zusammenbruch der Zivilisation gehören inzwischen mehr oder weniger zum Alltag. OK, Untergangspropheten – es reicht.

Es stimmt, dass sich die Menschheit existentiellen Risiken ausgesetzt sieht. Am härtesten wird es in den kommenden Jahrzehnten Milliarden von Menschen in den weltärmsten Ländern treffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Planet gleich mehrere Kipppunkte überschreiten wird, liegt inzwischen bei über 50 %.

Es erwartet uns unzweifelhaft eine schwierige Zukunft mit fortgesetzten Schocks, die die Regierungen überall auf der Welt in ihrem Kern erschüttern werden. Und es stimmt auch, dass wir nur uns selbst – oder genauer: den Reichsten von uns – die Schuld dafür geben können. Aber ist der Zusammenbruch unserer unbekümmerten, endlos erfinderischen, häufig verwirrenden Zivilisation unvermeidlich? Absolut nicht.

Mia Mottley, die Ministerpräsidentin von Barbados, hat es gegenüber den in dieser Woche in Ägypten versammelten Regierungsvertretern auf der Weltklimakonferenz so ausgedrückt: „Wir wissen, was es heißt, die Sklaverei aus unserer Zivilisation zu tilgen, innerhalb von zwei Jahren einen Impfstoff gegen eine Pandemie zu entwickeln, einen Mann auf den Mond zu schicken.“ Doch die einzige von den Politikern angebotene Lösung für die aktuelle Krise heißt Wirtschaftswachstum. Und während Wachstum unverzichtbar ist, um die ärmsten Länder aus der Armut zu heben, werden resiliente Gesellschaften nicht durch immer mehr Reichtum geschmiedet, sondern durch stärkeren sozialen Zusammenhalt, gute Regierungsführung und die Fähigkeit zur Innovation.

Vor zwei Jahren haben wir die Initiative Earth4All ins Leben gerufen, eine internationale gemeinsame Anstrengung von Ökonomen, Wissenschaftlern und Aktivisten, um politische Lösungen zu prüfen, die die Menschheit vom Zusammenbruch weg- und zur Resilienz hinführen. Wir stellen unsere Erkenntnisse in einem neuen Buch vor: Earth for All: Ein Survivalguide für unseren Planeten.

Wir erkunden darin zwei Szenarien: „zu wenig zu spät“ und den „großen Sprung“. In beiden Szenarien wächst die Weltwirtschaft in diesem Jahrhundert. Im ersteren werden die Reichen reicher und die Armen werden weiter abgehängt. Die sozialen Spannungen nehmen zu. Die Regierungen tun sich schwer, die großen Erschütterungen zu bewältigen. Die Gefahr eines regionalen Zusammenbruchs wächst mit jedem Jahrzehnt. Es ist mit Sicherheit zu erwarten, dass die weltweite Durchschnittstemperatur bei Fortsetzung der aktuellen Entwicklung katastrophale 2,5 °C erreichen wird – was die Welt in größte Gefahr bringt. Das ist unser aktueller Kurs.

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Aber es ist nicht der einzige Kurs. Mit außergewöhnlichen Anstrengungen können sich unsere Gesellschaften in „Well-Being Economies“ verwandeln, die widerstandsfähiger gegen Erschütterungen sind. Die sozialen Spannungen nehmen ab. Die weltweite Temperatur stabilisiert sich bei etwa 2 °C. Das ist der „große Sprung“.

Die Ursprünge von Earth4All reichen bis zu dem vor 50 Jahren veröffentlichten, vom Club of Rome in Auftrag gegebenen Bericht Die Grenzen des Wachstums zurück. Damals nutzten die Wissenschaftler frühe Computermodelle, um zu zeigen, dass die endlichen Ressourcen der Erde irgendwann unter dem Gewicht des Rohstoffverbrauchs nachgeben würden. Die Nahrungsmittelproduktion würde sinken, gefolgt von einem steilen Bevölkerungsrückgang. Damals schockierte die Schlussfolgerung, dass die Überforderung der Grenzen des Planeten einen Zusammenbruch herbeiführen könnte, viele Menschen. Während der letzten 50 Jahre ist die Welt dem Worst-Case-Szenario des Berichts gefolgt, und inzwischen sind tiefe Brüche in den Systemen unserer Erde und innerhalb von Gesellschaften erkennbar.

Wir sind jedoch der Ansicht, dass unsere Zukunft auf wirtschaftlichem Optimismus aufbauen wird und nicht auf Verzweiflung. Unsere Analyse kommt zu dem Schluss, dass jede Strategie für den Aufbau fairer und resilienter Gesellschaften Armut, Ungleichheit, Ungleichgewichte zwischen den Geschlechtern, die Unsicherheit der Nahrungsmittelversorgung und den Zugang zu Energie ansprechen muss. Die erforderliche Transformation kann nur gelingen, wenn wir alle diese Probleme gleichzeitig in Angriff nehmen.

Um wieder Vertrauen in die demokratischen Systeme aufzubauen, bedarf es einer Vermögensumverteilung, die unverzichtbar ist, um die politische Unterstützung für mutige Entscheidungen zu erhöhen. Die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen – darunter progressive Einkommens- und Vermögenssteuern, eine internationale Angleichung der Steuersätze und eine allgemeine Grunddividende – würden sicherstellen, dass die reichsten 10 % um das Jahr 2030 herum weniger als 40 % des Volkseinkommens besäßen, und würden die Ungleichheit in den Folgejahren weiter verringern. Die Bekämpfung der Vermögens- und Einkommensungleichheit muss zudem eng mit der Begrenzung der überproportional hohen Treibhausgas-Emissionen und der Aufzehrung der Biosphäre durch die Reichsten verknüpft werden. Daher ist ein fairer Kohlenstoffpreis eine intelligente Methode zur Vermögensumverteilung und zur Senkung der Emissionen.

Ohne tiefgreifende Veränderungen dürften Klimachaos, Ernährungsunsicherheit und Armut in den gefährdeten Regionen Konflikte und soziale Turbulenzen auslösen, die auf die gesamte restliche Welt ausstrahlen. Wie Mottley in Sharm El-Sheikh warnte, können wir bis 2050 von einer Milliarde Flüchtlingen ausgehen. Dies ist angesichts der Tatsache, dass sich die weitgehend unbewohnbaren Zonen am Äquator ohne tiefgreifende Emissionsverringerungen in den kommenden Jahren ausweiten und auch dicht bevölkerte Gebiete einbeziehen werden, eine realistische Schätzung. Zu den Hochrisikoländern gehören einige der fragilsten und gefährdetsten Staaten der Erde: Ägypten, der Sudan, Nigeria, der Jemen, Pakistan, Afghanistan und die Philippinen.

Es mag derzeit scheinen, als sei die Welt so weit von einer Erde für alle entfernt wie eh und je. Doch gibt es nach unserer Erkenntnis etwas Grund zu Optimismus. Womöglich haben wir bereits einen positiven sozialen Kipppunkt erreicht: Die Menschen wollen den Wandel. Unsere globale Erhebung ergab, dass 74 % der Menschen in den G20-Ländern sich wünschen, dass ihre Regierungen die Wirtschaftssysteme reformieren, um dem menschlichen Wohlbefinden und dem Planeten Vorrang vor einem singulären Fokus auf Wachstum und Profit einzuräumen.

Unsere Zivilisation tut häufig das Richtige, wenn wir alle anderen Alternativen erschöpft haben. Dieser Punkt ist nun erreicht. Die Zukunft der Menschheit auf der Erde wird enorm viel friedlicher, wohlhabender und sicherer ausfallen, wenn wir alles in unserer Macht Stehende tun, um unsere Volkswirtschaften so umzugestalten, dass sie menschliches Wohlbefinden und planetare Resilienz und nicht den Shareholder-Value maximieren.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/Hl0DkHbde