moreno9_Oscar GonzalezNurPhoto via Getty Images_pedestrians Oscar Gonzalez/NurPhoto via Getty Images

Ein grüner Wiederaufbau in den Schwellenländern

WASHINGTON, DC – Obwohl die Verbreitung des Coronavirus in vielen Ländern durch Lockdowns verlangsamt werden konnte, waren die wirtschaftlichen Folgen dieser Maßnahmen verheerend. Durch sinkende Pendlerzahlen, stillstehende Fabriken und eingeschränkte Bautätigkeit wurde allerdings auch die bisherige Zerstörung der Umwelt durch den Menschen offensichtlich.

Obwohl die Menschen durch die COVID-19-Pandemie weltweit tragische Verluste an Menschenleben hinnehmen müssen, erleben sie gleichzeitig, wie sich ihre natürliche Umwelt wieder erholt. Viele Stadtbewohner sehen seit Jahren erstmals wieder blauen Himmel, hören Vögel zwitschern und atmen frische Luft.

Diese „Rückkehr der Natur“ zeigt, dass sogar in Ländern mit geringerem Einkommen das Leben innerhalb von Wochen verwandelt werden kann, wenn nur entschiedene Maßnahmen getroffen werden und gemeinsam gehandelt wird. Dies sollten die Regierungen bei ihrer Politik für eine Erholung nach der Pandemie beachten. Kurzfristig werden die Maßnahmen verständlicherweise darauf abzielen, die akuten Wirtschaftsprobleme zu lindern. Aber um langfristig erfolgreich zu sein, müssen wir die strukturellen Probleme angehen, die bereits vor der Pandemie für öffentliche Unzufriedenheit gesorgt haben.

Vor sechs Monaten herrschte in großen lateinamerikanischen und karibischen Städten pures Chaos. Für die Massenproteste in der Region gab es viele Gründe, aber immer wieder herrschte Wut über begrenzte Arbeitsmöglichkeiten, schwache öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur sowie ökologische Schäden. Die Menschen hatten genug von langen Arbeitswegen in überfüllten Bussen durch die verschmutzte Stadtluft. Sie wollten kein unhygienisches Leitungswasser und keine unzuverlässige Stromversorgung mehr. Und angesichts von Volkswirtschaften, die unter Naturkatastrophen und schwacher politischer Führung leiden, hatten sie Angst um ihre Zukunft.

Diese Sorgen wurden von den Zerstörungen der Pandemie vorübergehend überlagert. Aber wenn das Leben der Menschen in diesen Ländern in einem Jahr immer noch genauso zu sein scheint wie 2019, haben sie das Recht zu fragen, warum die Politiker nicht mit vereinten Kräften ihre Forderungen erfüllt haben.

Auch die Bedrohung durch den Klimawandel hat nicht abgenommen. Wird dieses Thema nicht in Angriff genommen, sind zukünftige Zerstörungen, die die wirtschaftliche Sicherheit, politische Stabilität und Gesundheit unseres Planeten und seiner Bürger bedrohen, unvermeidlich. Daher sind die politischen Entscheidungen nach der Pandemie für unsere Zukunft entscheidender als das Virus selbst.

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Die Entwicklungsländer haben eine historische Gelegenheit, ihr Wirtschaftsmodell anzupassen, um sich auf diese Herausforderungen vorzubereiten. Sie sollten zunächst einen „grünen Wiederaufbau“ planen, der auf nachhaltiger Infrastruktur bei Transport, Energie, Hygiene, Logistik und Kommunikationstechnologie beruht.

So überarbeiten die Staaten in aller Welt aufgrund von COVID-19 beispielsweise ihre Transportsysteme, um soziale Distanz gewährleisten zu können. In Europa führen einige Städte große „autofreie“ Zonen ein, um Fußgänger und Radfahrer zu fördern. Die Entwicklungs- und Schwellenländer sollten diese Gelegenheit nutzen, um öffentliche Transportsysteme der nächsten Generation wie Elektrobusse, Züge oder U-Bahnen zu bauen, mit denen die Emissionen verringert und gleichzeitig große Mengen von Menschen sicher zur Schule oder zur Arbeit gebracht werden können.

Ähnliche Entscheidungen sind im Energiesektor fällig. Statt ihre Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verstärken (was angesichts fallender Ölpreise momentan besonders verlockend ist), sollten die Regierungen die jüngsten Preissenkungen für erneuerbare Energien nutzen.

Länder in oder nahe der tropischen Zone sind auch überproportional von den Überschwemmungen, Dürren und Stürmen betroffen, die aufgrund des Klimawandels prognostiziert werden. Weiterhin wird erwartet, dass die warmen Temperaturen mehr Pandemien zur Folge haben. Jetzt ist es an der Zeit, nicht nur Feuchtgebiete zu schützen und zu erneuern, sondern auch die Infrastruktur der Küsten wieder aufzubauen sowie in günstige Wohnimmobilien und Wassersysteme zu investieren, die wetterbedingte Schocks aushalten können.

Auch Investitionen zum Schutz und zur Erneuerung der reichen Artenvielfalt empfindlicher Ökosysteme würden viele Vorteile bringen, vor allem in den Tropen. Tropische Wälder spielen nicht nur eine wichtige Rolle bei der Speicherung von Kohlenstoff, sondern sind auch sehr wichtig für die dort lebenden indigenen Völker und für den Ökotourismus – was bedeutet, dass durch die Erneuerung natürlicher Lebensräume viele Arbeitsplätze entstehen könnten.

Finanzieren können wir diese Bemühungen durch eine Kombination klügerer öffentlicher Ausgaben mit aggressiven Anreizen für private Investitionen. Ein großer Anteil der enormen Summen, die für die Stimulierung der Haushalte ausgegeben werden, sollte in nachhaltige Infrastruktur und die damit verbundenen Initiativen geleitet werden. Die zig Milliarden Dollar, die bisher zur Subventionierung fossiler Brennstoffe ausgegeben wurden, könnten nun zur Finanzierung sauberer Transportmöglichkeiten beitragen. Laut einer aktuellen Studie der Universität von Oxford bringen Projekte zum „grünen Wiederaufbau“ mehr Arbeitsplätze und höhere Renditen als traditionelle Maßnahmen zur Haushaltsstimulierung.

Zur Finanzierung solcher Initiativen können die Schwellenländer auch auf externe Einkommensquellen zurückgreifen. Investoren suchen momentan nach Gelegenheiten, um in grüne Anleihen zu investieren – eine Anlageklasse, die letztes Jahr 255 Milliarden Dollar an privatem Kapital angezogen hat. Darüber hinaus sind potenziell viele Milliarden Dollar globaler NROs und ausländischer Regierungen verfügbar, um damit Naturräume zu schützen und zu erneuern. Außerdem könnten die Gläubiger haushaltspolitisch eingeschränkter Länder bereit sein, diesen einen Teil ihrer Schulden zu erlassen, um die tropische Artenvielfalt zu schützen.

Die Pandemie hat uns gezwungen, inne zu halten, über unseren Einfluss auf den Planeten nachzudenken und uns die Art von Welt vorzustellen, in der wir zukünftig leben wollen. Wir haben immer noch Zeit. Indem die Regierungen einen grünen Wiederaufbau planen, können sie dazu beitragen, dass das Coronavirus den zukünftigen Generationen ein positives Erbe hinterlässt.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/t5FM8OJde