gros173_ INA FASSBENDERAFP via Getty Images_solar panels INA FASSBENDER/AFP via Getty Images

Ein besserer Ansatz zur Minderung von Handelsrisiken

MAILAND: Handel impliziert immer wechselseitige Abhängigkeit: Wenn beide Seiten vom Austausch von Waren und Dienstleistungen profitieren, verlieren beide, wenn die Geschäfte ausgesetzt werden. Bis vor relativ kurzer Zeit konzentrierte sich die Politik auf den Nutzen – die Effizienzsteigerungen und Chancen, die der Handel hervorbringt. Doch in einer Zeit sich verschärfender geopolitischer Konflikte rücken zunehmend die Risiken – insbesondere durch Lieferausfälle – in den Blickpunkt. Beispielhaft steht hierfür die jüngst von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagene Strategie zur Minderung von Handelsrisiken.

Das Problem bei der aktuellen Diskussion über die Verringerung von Handelsrisiken ist, dass sie dazu neigt, sich dem Thema von einer allgemeinen Warte aus zu nähern. Jedoch gehen von unterschiedlichen Arten von Handel sehr unterschiedliche Risiken aus. Ein nuancierterer Ansatz würde bei der Unterscheidung zwischen Gütern ansetzen, die die Wirtschaft zum Funktionieren braucht (z. B. Rohstoffen wie Erdgas oder Mineralien) und solchen, die gebraucht werden, um künftige Produktionskapazitäten zu errichten (z. B. Solarmodulen).

Eine relativ einfache Methode zur Risikominderung beim Handel mit Mineralien ist die strategische Bevorratung. Weil sich Mineralien im Allgemeinen problemlos lagern lassen, würde die Bevorratung – etwa mit dem Bedarf eines Jahres – nur so viel kosten wie die Zinsen auf die ursprüngliche Investition. Bei den aktuellen Zinssätzen etwa könnte die EU angesichts von Gesamteinfuhren im Wert von 120 Millionen Euro in 2021 ihren Jahresbedarf an seltenen Erden für unter fünf Millionen Euro jährlich lagern.

Erdgas zu lagern ist deutlich kostspieliger. In der EU kam im vergangenen Jahr Panik über einen möglichen durch verringerte Lieferungen aus Russland bedingten winterlichen Gasmangel auf. Das lag daran, dass die EU nur den Bedarf von drei bis vier Monaten an Gas lagern konnte. Zwar kam sie dank ihrer vorhandenen begrenzten, aber in der Situation unschätzbar wertvollen Vorräte und ungewöhnlich warmer Temperaturen ohne Versorgungsausfälle durch den Winter. (Russland hat den „Energiekrieg“ also verloren.) Trotzdem ist klar, dass Bevorratung zur Minderung der Risiken beim Handel mit Erdgas allein nicht ausreicht.

An dieser Stelle kommt die Substitution ins Spiel. Für fast jeden Rohstoff lässt sich Ersatz finden. Statt Erdgas kann man für Industrie-Aktivitäten Öl nutzen und zur Stromerzeugung Kohle (oder erneuerbare Energien). Bei seltenen Erden tut es womöglich irgendeine andere Kombination aus Metallen. Die Alternativen sind gewöhnlich etwas teurer – sonst wäre sie ja die Erstwahl –, doch kann eine gewisse Substitution Versorgungsengpässe deutlich verringern, u. a. durch Verringerung des Preises für das Material erster Wahl.

Europa hat dies im letzten Winter unter Beweis gestellt, als Ersatzstoffe und eine Umstellung der Produktion auf weniger energieintensive Sektoren die Industrie in die Lage versetzten, ihr Produktionsniveau aufrechtzuerhalten und dabei 15-20 % weniger Gas zu verbrauchen. Dies führte dazu, dass die Gaspreise unter Vorkriegsniveau fielen.

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Als China 2010/11 im Rahmen eines geopolitischen Disputs Exporte seltener Erden nach Japan mit einem Embargo belegte, verzehnfachte sich der Preis. Japan diversifizierte daraufhin nicht nur hastig seine Bezugsquellen dieser Erden, sondern begann auch, sie zu recyceln oder Ersatzstoffe zu nutzen. Die Preise fielen rasch wieder auf ihr Ausgangsniveau.

Während eine Kombination aus Substitution und Bevorratung zur Risikominderung in Bezug auf die Versorgung mit Rohstoffen beitragen könnte, ist die Lage bei Investitionsgütern eine andere. China, das bei der Produktion von Solarmodulen dominiert, ist dafür bekannt, dass es Handelsbeschränkungen nutzt, um andere Länder politisch unter Druck zu setzen, besonders wenn es der Meinung ist, dass sich diese in seine inneren Angelegenheiten einmischen. Man kann sich also ein Szenario vorstellen, bei dem die chinesischen Behörden Exporte von Solarmodulen nach Europa untersagen.

Angesichts dieses Risikos steht Europa unter wachsendem Druck, seine Importabhängigkeit bei Solarmodulen zu verringern. Die EU-Kommission hat kürzlich die Europäische Allianz für die Photovoltaik-Industrie (European Solar Photovoltaic Industry Alliance; ESIA) ins Leben gerufen, um durch Ausweitung der eigenen Fertigungstechnologien eine PV-Wertschöpfungskette „made in Europe“ aufzubauen.

Doch weil Solarmodule keine Betriebsmittel bei der laufenden Produktion von Solarstrom darstellen, hätte ein chinesisches Embargo auf Exporte nach Europa keine wesentlichen Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft. Die vorhandenen Solarkapazitäten würden auch weiterhin kostenfrei dieselbe Menge an Strom produzieren.

Zwar würde ein chinesisches Exportverbot den Ausbau erneuerbarer Energien in Europa zumindest vorübergehend verlangsamen. Doch dies würde weniger Europa schaden als der Weltgemeinschaft im Allgemeinen (einschließlich Chinas), weil es die europäischen Bemühungen zur Emissionsminderung behindern würde.

Zudem wäre eine Absicherung gegen dieses Risiko – indem man billige Importe von Solarmodulen durch im Inland produzierte Mengen ersetzt – mit beträchtlichen Kosten verbunden. Aktuelle Schätzungen legen nahe, dass in Europa hergestellte Solarmodule etwa 35 % mehr kosten würden als Importe aus China. Geht man von Importen im Volumen von elf Milliarden Euro aus (wie 2021), so würde eine Produktion derselben Anzahl Solarmodule in der EU mehr als 15 Milliarden Euro jährlich kosten. Angesichts einer steigenden Nachfrage – die Importe dürften 2022 deutlich über denen des Jahres 2021 gelegen haben – würden die Kosten weiter steigen.

Man sollte zudem nicht vergessen, dass die vor über einem Jahrzehnt verhängten Anti-Dumping-Zölle der EU auf aus China importierte Solarmodule nicht lange Bestand hatten, was an den hohen Kosten für Europa und den Drohungen Chinas mit Vergeltungsmaßnahmen lag. Diese Episode zeigt, wie schwierig es für die EU wäre, den Import von Solarmodulen aus China zu begrenzen, ohne gegen globale Handelsregeln zu verstoßen.

Die offizielle Vorstellung der ESIA gibt keinerlei Hinweise darauf, wie deren ehrgeizige Produktionsziele – eine Versechsfachung der Jahresproduktion aller wichtigen Komponenten von Solarmodulen bis 2025 – erreicht werden könnten. Doch sie deutet eine großzügige Auslegung der öffentlichen Beschaffungsregeln zugunsten europäischer Produzenten an, selbst wenn diese nicht wettbewerbsfähig sind. Auch dies wäre mit den WTO-Regeln unvereinbar.

All dies legt nahe, dass eine Risikominderung beim Handel mit PV-Produkten und - Komponenten durch Subventionierung der heimischen Produktion nicht anzuraten ist. Stattdessen sollte Europa die durch billige Importe erzielten Ersparnisse in die Erforschung der nächsten Generation umweltfreundlicher Technologien stecken.

Die Minderung von Handelsrisiken erlaubt eindeutig keine Einheitslösungen. Die Dominanz geopolitischer Überlegungen sollte die Politik nicht davon abhalten, sich um wirtschaftlich solide Lösungen zu bemühen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/7ulSiR6de