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Multilateralismus und der private Sektor

BRÜSSEL – In unserer von hochentwickelter Technik geprägten Zeit vergessen wir leicht, dass wir Menschen – und alles Leben – vollständig von den zerbrechlichen Bedingungen unseres Planeten abhängen. Angesichts der zunehmende Zahl ernster – wenn nicht existenzieller – Bedrohungen, denen wir uns gegenübersehen, würden wir gut daran tun, uns diese grundlegende Wahrheit wieder bewusst zu machen. Klimawandel, kritische Versorgungsengpässe, Artensterben und verheerende Pandemien verdeutlichen die Krisenanfälligkeit unserer Gesellschaft in ungekannter Dringlichkeit.

Kein Land kann diesen Herausforderungen entkommen oder sie allein bewältigen. Obwohl multilaterale Kooperation schon an guten Tagen schwierig ist, brauchen wir sie in schweren Zeiten besonders. In Krisenzeiten müssen wir enge nationale Interessen überwinden und auf Zusammenarbeit setzen; wir müssen unsere Ressourcen zusammenlegen und die Verfahren verbessern, mit denen wir kollektive Entscheidungen treffen und umsetzen.

Das G20-Treffen in diesem Monat in Indonesien fiel in eine solche Zeit. Aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine, Dürren und andere Faktoren leiden Millionen von Menschen in der ganzen Welt unter einer kritischen Lebensmittel- und Energieknappheit, die von rekordhohen Temperaturen in Europa, China, Südasien und anderen Teilen der Welt begleitet wird. Ohne abgestimmte globale Maßnahmen könnten diese Krisen leicht in eine umfassende humanitäre Katastrophe umschlagen.

Die G20 vertreten 85 % des weltweiten BIP, 75 % des internationalen Handels und zwei Drittel der Weltbevölkerung. Wenn es ihnen gelingt, geschlossen zu handeln, können sie zur Lösung dieser Probleme beitragen und eine Vorreiterrolle übernehmen. Wer sich der Kooperation und dem Gemeinwohl verweigert, sollte zur Rechenschaft gezogen werden, ebenso wie jeder, der Zeit und Energie auf Gewalt und Krieg verschwendet, verurteilt und bestraft werden sollte.

Staaten und Regierungen sind in diesem globalen Drama jedoch nicht die einzigen Akteure. Um die aktuelle Krise zu bewältigen, müssen wir auch den privaten Sektor ins Spiel bringen. Staaten haben weder die Ressourcen noch die Expertise, um Lieferengpässe zu beheben, die Produktion sauberer Energie flächendeckend auszubauen oder selbst Impfstoffe und Arzneimittel zu entwickeln. Ihre Stärke liegt darin, die Kraft und den Einfallsreichtum des privaten Sektors zu mobilisieren und voll zu nutzen. Das wird entscheiden, ob – und wie schnell – die Menschheit die Erderwärmung bremst, ausreichend Lebensmittel und sauberes Trinkwasser für unsere und die nächsten Generationen erzeugt und künftige Pandemien überlebt.

Bei dieser Mobilisierung spielen internationale Foren und Institutionen eine entscheidende Rolle. Multilaterale Finanzinstitutionen beispielsweise können die Wirkung öffentlicher Gelder vervielfachen, indem sie für Kredite bürgen und dadurch die Finanzierung wünschenswerter Investitionen erleichtern und die Risiken für private Investoren mindern.

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Und dank ihrer technischen Expertise und ihrer durch weltweite Tätigkeit gewonnenen Erfahrungen können sie die Planung, Gestaltung und Umsetzung von Projekten mit unbezahlbaren Ratschlägen begleiten. So kann die EIB Global, die Entwicklungsabteilung der Europäischen Investitionsbank, beispielsweise über 60 Jahre Erfahrung in mehr als 150 Ländern in die Waagschale werfen. Als Teil des Team Europa unterstützt sie die EU-Organe und die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Strategie Global Gateway.

Global Gateway ist eine Initiative der EU, mit deren Hilfe sie Investitionen in Höhe von bis zu 300 Mrd. Euro in Partnerländern weltweit für Klimaschutz, digitale Technologien, nachhaltigen Verkehr, Gesundheitssysteme, Bildung und Forschung mobilisieren will. Die Ende 2021 eingeführte Strategie ist inzwischen ein Teil der Partnerschaft für globale Infrastruktur und Investitionen, die von den G7 letzten Monat der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und für dieselben Zwecken 600 Mrd. US-Dollar aufbringen soll.

Die Coronakrise hat uns die Gefahr durch Pandemien vor Augen geführt, deren Häufigkeit infolge des Klimawandels und des Verlusts von Lebensräumen künftig noch steigen wird. Wir brauchen internationale Kooperation, um Investitionen in Infrastruktur, medizinische Grundversorgung und gut ausgebildete medizinische Fachkräfte zu ermöglichen und dadurch künftige Krankheitsausbrüche schnell eindämmen zu können, bevor sie zur Pandemie werden.

Zu diesem Zweck entwickelt die EIB eine Finanzierungsstrategie, die später an andere globale Herausforderungen angepasst werden kann. Gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation, der Europäischen Kommission und der Afrikanischen Union wollen wir 1 Milliarde Euro für Investitionen mobilisieren, die in Afrika südlich der Sahara die medizinische Grundversorgung stärken und den Zugang zu Impfstoffen verbessern.

Die EIB wird dabei mindestens 500 Millionen Euro bereitstellen und diese Ländern dabei unterstützen, die Ziele für nachhaltige Entwicklung im Bereich Gesundheit zu erreichen. Wir hoffen, dass diese Investition zusätzliche Mittel aus dem öffentlichen Sektor anzieht und dadurch den Zugang zu wichtigen Gesundheitsdiensten wiederherstellt, erweitert und aufrechterhält, den Schutz vor Finanzierungsrisiken verstärkt, die Verfügbarkeit von Impfstoffen, Arzneimitteln, Diagnostik, Geräten und anderen medizinischen Produkten verbessert sowie den Ausbau innovativer Modelle zur medizinischen Grundversorgung und Investitionen in Gesundheitsfachkräfte ermöglicht. Solche Partnerschaften sind enorm wichtig, um Ökosysteme zu schaffen, die eine Beteiligung des privaten Sektors fördern, besonders wenn es um die Entwicklung von Kompetenzen und Investitionen in spezialisierte Fachkräfte geht.

Angesichts globaler Herausforderungen, die für ein einzelnes Land viel zu groß und zu komplex sind, können echte Erfolg nur durch globale Kooperation erzielt werden – nicht nur zwischen Staaten, sondern auch zwischen Regierungen und dem privaten Sektor. Multilaterale Finanzinstitutionen sind dazu geschaffen, diese Kooperation zu ermöglichen. In einer Zeit, in der uns globale Fliehkräfte auseinander zu reißen drohen, können und müssen sie – im Wortsinn und bildlich gesprochen – Brücken bauen, die uns einander näherbringen.

https://prosyn.org/TFOaJPsde