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Was ist der Globale Süden?

CAMBRIDGE – Der Begriff „Globaler Süden“ ist heute in aller Munde. So warnen manche Kommentatoren, Israels Angriffe auf den Gazastreifen würden „den Globalen Süden gegen das Land aufbringen“ und wir hören oft, der „Globale Süden“ fordere eine Waffenruhe in der Ukraine. Was aber ist mit diesem Begriff gemeint?

Geografisch bezeichnet der Begriff die 32 Länder südlich des Äquators (auf der Südhalbkugel) im Gegensatz zu den 54 Ländern, die komplett nördlich des Äquators liegen. Trotzdem wird er oft irreführend als Kürzel für eine globale Mehrheit genutzt, obwohl die Mehrzahl der Weltbevölkerung nördlich des Äquators lebt (wo sich auch der größte Teil der Landmasse befindet). Oft heißt es etwa, Indien, das bevölkerungsreichste Land der Erde, und China, das zweitbevölkerungsreichste, wetteiferten um die Führungsrolle im Globalen Süden. Und beide haben zu diesem Zweck vor kurzem diplomatische Konferenzen abgehalten. Allerdings befinden sich beide auf der nördlichen Halbkugel.

Das macht den Begriff eher zu einem politischen Slogan als zu einer korrekten Beschreibung der Welt. In diesem Sinne ist er, wie es scheint, zu einem beliebten Euphemismus geworden, der andere, nicht mehr gesellschaftsfähige Begriffe ersetzt. Im Kalten Krieg wurden Länder, die weder mit den Vereinigten Staaten noch mit der Sowjetunion verbündet waren als „Dritte Welt“ bezeichnet. Einige blockfreie Länder hielten 1955 im indonesischen Bandung eine eigene Konferenz ab und noch heute bilden 120 Länder eine schwache Bewegung der Blockfreien Staaten.

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