robinson18_Alexis RosenfeldGetty Images_biodiversity Alexis Rosenfeld/Getty Images

Reiche Länder müssen ihre Finanzierungszusagen im Bereich Artenvielfalt erfüllen

DUBLIN – Dieser Sommer mit Rekordhitzewellen und umkämpften Wahlen auf der ganzen Welt bietet eine gute Gelegenheit, über die Rolle nachzudenken, die jeder Mensch spielen kann, wenn es darum geht, positive Veränderungen voranzutreiben. Wenn wir Koalitionen schmieden und jenen mehr Gehör verschaffen, die am meisten von den Krisen betroffen sind,  können wir den notwendigen Mut und politischen Willen aufbringen, um scheinbar unüberwindbare globale Herausforderungen zu bewältigen.

Der Klimawandel und der Verlust der Artenvielfalt sind die besten Beispiele dafür. Als langjährige Verfechterin der Umweltgerechtigkeit habe ich selbst erlebt, welche tiefgreifenden Auswirkungen beide Phänomene auf lokale Gemeinschaften und indigene Völker haben. Diese Bevölkerungsgruppen sind am stärksten von diesen miteinander verknüpften Krisen betroffen, die ihre Lebensgrundlagen, ihre Gesundheit und ihr kulturelles Erbe bedrohen.

Die vielfältigen Land- und Meeresgebiete, von denen indigene Gemeinschaften leben, bilden auch die Grundlage für das Leben und die Gesellschaft, wie wir sie kennen. Für Nahrung, Wohnen, Wasser, medizinischen Fortschritt und Krankheitsvorbeugung sind wir auf gesunde Ökosysteme angewiesen. Mehr als 50 Prozent des auf 44 Billionen Dollar geschätzten weltweiten BIP sind von der Natur abhängig. Von entscheidender Bedeutung sind dabei funktionierende Ökosysteme, die als natürliche Kohlenstoffsenken wirken und bis zu 50 Prozent der aufgrund menschlicher Aktivitäten entstehenden Treibhausgase absorbieren.

Der Verlust der biologischen Vielfalt bedroht wichtige Kohlenstoffsenken wie Regenwälder und Ozeane und verschärft damit den Klimawandel, der wiederum die Umweltzerstörung beschleunigt und Millionen Menschen sowie unzählige Pflanzen- und Tierarten zunehmend gefährdet. Die gute Nachricht lautet, dass diese Entwicklung umkehrbar ist: Durch die Förderung widerstandsfähiger und vielfältiger Ökosysteme können wir die Auswirkungen des Klimawandels abmildern und einen positiven Kreislauf in Gang setzen, der die Menschen vor Ort schützt.

Angesichts des größten Massensterbens seit mehr als 65 Millionen Jahren ist der Schutz der Artenvielfalt dringender denn je. Studien zeigen, dass fast die Hälfte der Tierarten auf der Welt einen rapiden Rückgang der Populationen erlebt, wobei Lateinamerika und Afrika am stärksten vom Verlust der Artenvielfalt betroffen sind.

Obwohl diese Entwicklungen ein düsteres Bild zeichnen, gibt es einige Fortschritte im Umgang mit der Biodiversitätskrise. Im Jahr 2022 verabschiedeten die Vertragsparteien des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt auf dem UN-Gipfel für biologische Vielfalt in Montreal (COP15) die Rahmenvereinbarung Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF). Dieses bahnbrechende Abkommen, das jahrelange Bemühungen um den Aufbau von Koalitionen und Kampagnen erforderte, skizziert eine Strategie, um den Verlust von Natur zu stoppen und umzukehren. Dazu gehört auch das ehrgeizige Ziel, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresflächen der Welt unter Schutz zu stellen.

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Im Rahmen des GBF haben sich die Industrieländer verpflichtet, dem Globalen Süden, wo sich der größte Teil der verbleibenden biologischen Vielfalt der Welt befindet, bis 2025 jährlich mindestens 20 Milliarden Dollar und bis 2030 jährlich 30 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. Falls diese Zusagen eingehalten werden, würden sie es den Entwicklungsländern ermöglichen, ehrgeizige nationale Aktionspläne für die biologische Vielfalt umzusetzen und so die am stärksten vom Klima bedrohten Bevölkerungsgruppen der Welt zu schützen.

Leider ist man derzeit weit davon entfernt, diese Ziele zu erreichen. Ein neuer Bericht der Londoner Denkfabrik ODI zeigt, dass von den 28 untersuchten Ländern 23 ihre Verpflichtungen zur Finanzierung der biologischen Vielfalt bis 2021 (dem letzten Jahr, für das Daten vorliegen) nicht erfüllt haben. Um ihre Ziele für 2025 zu erreichen, müssten diese Länder ihre Beiträge verdoppeln.

Die Kluft zwischen Klimazusagen und konkreten Maßnahmen erscheint noch beunruhigender, wenn man bedenkt, dass 20 Milliarden Dollar pro Jahr nur 1,1 Prozent jener 1,8 Billionen Dollar ausmachen, die Länder auf der ganzen Welt jährlich für umweltschädliche Subventionen ausgeben. Mit diesen Mitteln, die 2 Prozent des weltweiten BIP entsprechen, werden Sektoren wie fossile Brennstoffe und die industrielle Landwirtschaft unterstützt, die für die meisten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind und den Verlust der biologischen Vielfalt vorantreiben.

Um die natürlichen Ressourcen unseres Planeten zu schützen, gilt es für die Regierungen, ihre Ausgaben an die von ihnen vertretenen Werte anzupassen. Das neue Renaturierungsgesetz der Europäischen Union, im Rahmen dessen bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen in ihren ursprünglichen natürlichen Zustand gebracht und bis 2050 alle geschädigten Ökosysteme wiederhergestellt werden sollen, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Allerdings bleibt noch viel mehr zu tun. Im Vorfeld der UN-Biodiversitätskonferenz in Kolumbien (COP16) im Oktober müssen Politiker und Politikerinnen sowie Klimaschützer und Klimaschützerinnen weiterhin weltweite Koalitionen bilden, um die Finanzierungslücke im Bereich der biologischen Vielfalt zu schließen. Außerdem gilt es sicherzustellen, dass bei Schutz- und Wiederherstellungsprojekten die von der Umweltzerstörung am stärksten betroffenen Gemeinschaften - insbesondere indigene Völker - in den Entscheidungsprozess einbezogen werden.

Der Schutz und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt sind entscheidend, um die Erholung der natürlichen Ökosysteme unseres Planeten zu unterstützen und die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abzumildern. Auf der COP16 haben die führenden Köpfe der Welt die Chance, einen positiven Kreislauf des Wandels in Gang zu setzen. Diese Gelegenheit ist zu ergreifen, um eine nachhaltige Zukunft zu sichern.

Übersetzung: Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/RiukdSxde