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Was steht in Libyen auf dem Spiel?

PRINCETON – Der anhaltende Krieg in Libyen präsentiert sich als Mikrokosmos jener Tragödie, die zahlreiche Länder des Nahen Ostens erfasst hat. Findet sich nicht bald eine Lösung, könnten die Kämpfe in Libyen für Instabilität in Nachbarländern wie Tunesien und Ägypten sorgen und noch mehr Flüchtlinge zum Aufbruch in Richtung Europa bewegen.

Im Grunde ist die libysche Krise ein Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Gruppen, die durch Stammeszugehörigkeiten und regionale Loyalitäten sowie auch durch ideologische Überzeugungen gespalten sind. Allen geht es um die Kontrolle der Öleinnahmen des Landes. Doch derzeit stehen sich im Konflikt hauptsächlich zwei Parteien gegenüber: auf der einen Seite die islamistisch dominierte, international anerkannte Regierung der nationalen Einheit, die nach wie vor die Hauptstadt Tripolis kontrolliert und auf der anderen das Repräsentantenhaus in Tobruk sowie die Libysche Nationalarmee unter dem Kommando des anti-islamistischen Feldmarschalls Khalifa Haftar. Obwohl sich der größte Teil des Landes mittlerweile unter Kontrolle des autoritären Nationalisten Haftar befindet, ist Tripolis noch nicht gefallen.

Hinter jedem dieser kriegführenden Lager stehen äußere Mächte, die ihre eigenen Interessen verfolgen. Während die Türkei und Katar hinter der nationalen Einheitsregierung stehen, wird Haftar von Ägypten, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt. In der internationalen Medienberichterstattung über diesen Krieg wird diese Einmischung von außen auf den – hauptsächlich zwischen der Türkei und Ägypten ausgetragenen – Wettstreit um die Öl- und Gasvorkommen zurückgeführt.

Die Ägypter verfolgen ein Gasprojekt, das sich potenziell mit Anlagen in Israel, Zypern und Griechenland für die Versorgung Europas verbinden ließe. Dieses Ziel steht jedoch in direktem Widerspruch zu dem türkischen Ziel, mit Libyen eine ausschließlich von diesen beiden Mächten zu nutzende Meereszone zu schaffen und sich die alleinige Kontrolle über die libyschen Energieressourcen zu sichern.

Doch der Wettstreit um Energieressourcen ist nur ein Teil der Geschichte. Um den Libyen-Konflikt in seiner Gesamtheit zu verstehen, muss man auch die komplexen Zusammenhänge zwischen Geopolitik und Ideologie berücksichtigen. Ein Sieg der Islamisten in Tripolis würde es der Türkei und Katar nicht nur ermöglichen, ihren Einfluss auf einen wichtigen Öl produzierenden Mittelmeerstaat  zu erweitern, sondern ihnen auch strategische Tiefe verleihen, die ihren Einfluss auf andere Länder wie Tunesien und Ägypten (einen langjährigen Rivalen) stärkt.

So förderte Katar die Islamisten über weite Strecken dieses Krieges hauptsächlich durch finanzielle Unterstützung einer einzigen Person, nämlich des religiösen Aktivisten und Wissenschaftlers Ali Muhammad al-Salabi. Mit der Finanzhilfe Katars hat sich al-Salabi als

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Defacto-Chef der Einheitsregierung etabliert. Ende letzten Jahres schien die Einheitsregierung jedoch kurz vor der Niederlage zu stehen, weswegen es zu einer türkischen  Intervention zugunsten der Einheitsregierung kam. Seither setzt die Türkei in der Schlacht um Tripolis Waffen, Drohnen, Soldaten und sogar syrische Kämpfer ein.

Auf der anderen Seite des Konflikts wollen Ägypten und die VAE verhindern, dass ein Petro-Staat, der in der Lage ist, täglich 2,5 Millionen Fass Öl zu fördern, in die Hände von Islamisten fällt, die ihren regionalen Konkurrenten verpflichtet sind. Ein Sieg der Einheitsregierung würde aus Libyen eine Islamisten-Hochburg und einen Brückenkopf machen, der die autoritäre Vision, die Ägypten und den VAE für die Region vorschwebt, untergräbt. Haftar – ein uniformierter und hochdekorierter Militärdiktator wie aus dem Bilderbuch – würde eine Ordnung etablieren, die ihren Wünschen viel eher entspricht.  Bleibt er siegreich, könnten Libyens Ölvorkommen im umfassenderen Kampf gegen das islamistische Schreckgespenst in der gesamten Region eingesetzt werden.

Russlands Motivation, sich auf die Seite Haftars zu schlagen, ist zwar interessanter, kann aber in einem Wort zusammengefasst werden: Revanchismus.  Obwohl der russische Präsident Wladimir Putin Söldner (hauptsächlich aus der paramilitärischen Gruppe Wagner) entsandte, um sich den Kämpfen anzuschließen, ist Kaftar nicht der bevorzugte Kandidat, den der Kreml an der Spitze Libyens sehen will. Vielmehr möchte Putin Saif al-Islam Gaddafi an der Staatsspitze installieren -  den Sohn des verstorbenen libyschen Diktators, der das Land von 1969 bis 2011 regierte.

Mit Unterstützung ehemaliger Regimetreuer hat sich Gaddafi Haftar angeschlossen. Doch die Russen vertrauen Haftar nicht, weil er zwei Jahrzehnte als amerikanischer Staatsbürger in Langley, Virginia lebte (wo sich zufällig auch das CIA-Hauptquartier befindet) und sie ihn somit als Agenten des US-Geheimdienstes betrachten. Indem man Gaddafi zum nächsten Herrscher Libyens macht, hofft der Kreml es Amerikanern und Europäern heimzuzahlen, die zum Sturz seines Vaters beigetragen haben. Nach seinem Erfolg, den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad trotz immenser Widrigkeiten an der Macht zu halten, möchte Putin nun zeigen, dass er die Zukunft Libyens diktieren und in der Region das Sagen haben wird. Behält Moskau tatsächlich die Oberhand, wird es interessant, was mit Haftar geschieht.

Die komplexe Situation in Libyen präsentiert sich schon beinahe surreal. Leider kann das von dem sehr realen Leid der Menschen in Libyen nicht gesagt werden, die zwischen den konkurrierenden Gruppen gefangen sind. Die Vereinigten Staaten sind mit der Krise fahrlässig umgegangen. In der Hoffnung, dass andere regionale Mächte die Ordnung wieder herstellen, hat man sie nämlich größtenteils ignoriert. Tatsächlich allerdings verbreiten diese anderen Mächte Chaos und nur die USA verfügen über den diplomatischen Einfluss, um den Konflikt zu beenden.

Sollte der Bürgerkrieg in Libyen andauern, werden seine Auswirkungen zweifellos auf andere Teile der Region übergreifen. Noch mehr Menschen werden nach Europa fliehen, insbesondere wenn sich der Konflikt als Vorbote kommender Bürgerkriege erweist. Tunesien, Algerien, der Sudan oder der Libanon könnten die nächsten Schauplätze sein, wo internationale Mächte Stellvertreterkriege führen und gleichzeitig davon träumen, der nächste Hegemon der arabischen Welt zu werden. Wie das Trümmerfeld Syrien deutlich zeigt, wird der Sieger Beute machen, die den Aufwand nicht mehr rechtfertigt.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

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