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Syriens House of Cards

WASHINGTON, DC – Rund 54 Jahre nach der Machtergreifung von Hafiz al-Assad in Syrien stürzten Rebellen die Dynastie, deren Schicksal durch seinen Sohn Baschar besiegelt wurde. Der Sturz Baschar al-Assads wurde unter anderem dadurch ermöglicht, dass seine iranischen und russischen Gönner aufgrund eigener existenzieller Probleme abgelenkt waren. Letztlich waren es aber Assads eigene Defizite, die den Zusammenbruch des Regimes beschleunigten. Eingezwängt zwischen einer parasitären Wirtschaft und einem verkrusteten politischen System, in dem kein Widerspruch geduldet wurde, fehlte es Assad an Stärke, um irgendetwas zu reformieren.

Baschar wurde nie darauf vorbereitet, Syrien zu führen. Eigentlich war sein älterer Bruder Basil als Erbe des väterlichen Amtes vorgesehen. Doch nach Basils frühem Tod im Jahr 1994 wurde Baschar aus London, wo er eine Facharztausbildung in Augenheilkunde absolvierte, nach Hause gerufen.

Als Hafiz im Jahr 2000 starb, hinterließ er seinem Sohn einen starken und stabilen Staat. Die Tage Syriens als Paria waren vorbei. Das Land lag wegen des Abschusses von Navy-Piloten nicht mehr mit Amerika in Konflikt. Nachdem Hafiz 1991 Truppen entsandt hatte, um den Irak aus Kuwait zu vertreiben, wurde er zu einem Partner im Rahmen der Friedensbemühungen und entwickelte ein enge Beziehung zu US-Präsident Bill Clinton.

Viele hofften, dass Baschar, der im Gegensatz zu seinem Vater Erfahrungen im Westen gesammelt hatte, die seit 1963 regierende Baath-Partei gemäßigter gestalten würde. Zunächst schien Baschar die Rolle des Reformers auch zu übernehmen. Er ließ politische Gefangene frei und ermöglichte, dass intellektuelle Salons florierten.

Doch dann änderte er abrupt seinen Kurs, unterdrückte abweichende Meinungen und ließ der Korruption freien Lauf. Als Ausgleich lenkte er die Frustration der Syrer auf die Dämonisierung ausländischer Feindbilder. Er beschuldigte die Juden, Jesus verraten zu haben. Er öffnete sein Land für ausländische Dschihadisten und erleichterte ihnen die Einreise in den Irak, um gegen Amerikaner zu kämpfen. Und er zeigte sich bereit, den gewalttätigen Vorlieben seines Vaters nachzueifern. Als sich der libanesische Premierminister Rafiq Hariri weigerte, nach Baschars Pfeife zu tanzen, drohte er, den Libanon zu „zerschlagen“, und verschwor sich mit der Hisbollah, um Hariri zu ermorden.

Baschar war an das Baath-Regime gekettet, das sein Vater aus Minderheiten zusammengeschustert hatte, um über die arabischen Sunniten zu herrschen, die etwa 64 Prozent der syrischen Bevölkerung ausmachen. Anklang fand die Baath-Partei auch bei Sunniten in der Provinz, die lange Zeit von städtischen Eliten diskriminiert worden waren. Jede Reform hätte die Vorherrschaft von Assads alawitischer Glaubensgemeinschaft gefährdet, einem schiitischen Ableger, auf den etwa 12 Prozent der Bevölkerung entfallen.

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Im Jahr 2006 hatten selbst die eifrigsten westlichen Unterstützer Syriens mit Assad gebrochen. Der französische Präsident Jacques Chirac, ein Verbündeter von Hafiz al-Assad, räumte ein, dass Baschar „mit Sicherheit und Frieden unvereinbar zu sein schien“. Einige bezeichneten ihn als „blinden Augenarzt“, andere nannten ihn „Fredo“, nach Don Corleones unfähigem mittleren Sohn in Der Pate.

Als 2011 in der gesamten arabischen Welt Aufstände ausbrachen, war es daher nur logisch davon auszugehen, dass sich die Unruhen auch auf Syrien ausweiten würden. Doch Baschar war sich der Missstände in Syrien entweder nicht bewusst oder entschied sich, sie zu ignorieren. Wochen bevor die Menschen auf die Straße gingen, sagte er dem Wall Street Journal, dass „wir davon nicht betroffen sind“ und dass Syrien „stabil“ sei, weil er „eng mit den Überzeugungen des Volkes verbunden“ sei.

Als sich jedoch die Basis des Regimes in den ländlichen Gebieten gegen das Regime wandte, brachen Proteste aus. Um den Aufstand zu unterdrücken, stützte sich Assad auf städtische Eliten, die die Landbevölkerung verachteten, und auf die Arbeiterschicht, die sich nie mit den Missständen auf dem Land identifizierte.

Allerdings reichte das zur Rettung Baschars nicht aus, weswegen er gezwungen war, sich zwecks Luftunterstützung an die Russen und an die vom Iran unterstützten Milizen, insbesondere die Hisbollah, zu wenden. Nach mehreren Jahren des Kampfes gelang es Baschar, die Kontrolle über den Großteil des zentralen Landesteils von Aleppo im Norden bis Damaskus im Süden zurückzuerlangen, wo die meisten Syrer leben.

Wie sein Vater bekam auch Baschar eine zweite Chance, doch im Gegensatz zu seinem Vater ließ er sie ungenutzt verstreichen. Da er nicht in der Lage war, politische Reformen durchzusetzen, forderten seine Anhänger nun lautstark wirtschaftliche Veränderungen, wobei sie sich auf die Verteilung der Ressourcen und den Wiederaufbau konzentrierten. Doch ein Regime mit so vielen Ähnlichkeiten zu den Sopranos konnte seine lukrativen Pfründe unmöglich aufgeben, auch wenn das den sozialen Frieden gebracht hätte. Wie die fiktive Mafiafamilie war auch Assads Regime auf Schmiergelder von wohlhabenden Geschäftsleuten und auf die Ausbeutung von ausländischen Akteuren angewiesen. Als das Welternährungsprogramm die Zahlung von Bestechungsgeldern in syrischen Häfen verweigerte, verrotteten die Reislieferungen der Organisation in den Lagern. In ähnlicher Weise gab Baschars Onkel einmal gegenüber einem amerikanischen Diplomaten zu verstehen, dass Syrien Boeing-Flugzeuge kaufen würde, wenn man ihn zum Verkaufsagenten bestellen würde.

Dank ausreichender Einkünfte konnte das Regime ein Trickle-down-Wirtschaftsmodell aufbauen, die Gesellschaft mit subventionierten Konsumgütern ruhigstellen und sich selbst mit unrechtmäßig erworbenen Gewinnen bereichern. Doch der Bürgerkrieg schmälerte die Einkommensbasis, aus der sich Renten im Inland abschöpfen ließen, und es fehlten die Ausländer, die man erpressen konnte. Heute verdient Syrien mit dem illegalen Export des Amphetamins Captagon fast doppelt so viel wie mit legalem Handel. Da die Wirtschaft schrumpft und Kürzungen bei den Subventionen dazu führen, dass Grundnahrungsmittel für die Durchschnittslohnempfänger unerschwinglich werden, geben rund 70 Prozent der syrischen Haushalte an, ihre Grundbedürfnisse nicht decken zu können.

Unter Assad litten jedoch nicht nur die Armen. Ein auf der Beschlagnahmung von Ressourcen gründendes Regime, wandte sich letztendlich gegen Unternehmer und Wirtschaftsführer, die es mit ihren rechtmäßigen Unternehmen stützten.

Man denke nur an Samer al-Dibs, einen Spross jener Elite, die Syrien von 1860 bis 1963, also vor der Baath-Partei, regierte. Al-Dibs Familie ist in verschiedenen Branchen tätig, von der Papierherstellung bis zum Bankwesen. Er hat die Proteste im Jahr 2011 zu keinem Zeitpunkt unterstützt und war sogar bereit, das Regime auf internationalen Konferenzen zu vertreten. Bei den Parlamentswahlen im vergangenen Juli entzog ihm das Regime jedoch den Sitz, den er 17 Jahre lang innehatte, und verwehrte ihm die Vorrechte, die er und andere zur Erweiterung ihrer Geschäfte genutzt hatten.

Als die Rebellen vor 12 Tagen ihren Blitzkrieg starteten, weigerten sich Persönlichkeiten wie al-Dibs, das Regime zu unterstützen. Und da die iranischen und russischen Gönner Baschars mit dringlicheren Konflikten gegen Israel und die Ukraine beschäftigt waren, mangelte es ihnen an den Ressourcen, um ihn ein weiteres Mal zu retten. Letztlich aber waren es seine Selbstüberschätzung und seine Weigerung, wirtschaftliche und politische Reformen zuzulassen, die seine Herrschaft dem Untergang weihten.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/M9goWxUde