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Wie sich der digitale Bereich regeln lässt

MADRID/MONTREAL – Unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben verlagert sich bedingt durch die COVID-19-Pandemie heute zunehmend online. Dadurch verstärkt sich die Integration des digitalen und des physischen Bereichs mehr denn je. Und mehr denn je müssen Steuerung und Regulierung zur hyperdynamischen digitalen Welt aufschießen.

COVID-19 hat nicht nur die schwerste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression ausgelöst. Es beschleunigt zudem technologische Trends, die bereits vorher in vollem Gange waren. Einer der beachtenswertesten ist das zunehmende Wachstum der großen Technologiekonzerne. Der technologielastige NASDAQ-Index ist im bisherigen Jahresverlauf um 30% gestiegen, während die Marktkapitalisierung von Apple, Amazon, Facebook und Alphabet (der Muttergesellschaft von Google) zusammen inzwischen fünf Billionen Dollar übersteigt. Infolgedessen ist das Privatvermögen von Amazons CEO Jeff Bezos seit Beginn der Pandemie um über 70 Milliarden Dollar oder 68% gestiegen, und das von Facebooks CEO Mark Zuckerberg um 30 auf 87,8 Milliarden Dollar.

Diese zunehmende Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen einiger weniger globaler digitaler Unternehmen wird, wenn wir aus der Pandemie heraustreten, die nationale und internationale Politik bestimmen. Die großen Technologieunternehmen schöpfen ihre Gewinne aus immateriellen Vermögenswerten wie Daten, Algorithmen und geistigem Eigentum und nicht bloß aus materiellen Vermögenswerten wie physischer Arbeit oder Waren und Dienstleistungen. Und sie nutzen die schwache Regulierung des digitalen Bereichs, um die Zahlung von Steuern und Sozialabgaben zu vermeiden. Unser globales Ordnungssystem wurde für die materielle Welt konzipiert, und die Regierungen haben Gesetze und Verordnungen viel zu langsam angepasst, um eine gerechte digitale Wirtschaft aufzubauen.

Die wachsende Kluft zwischen den Gewinnern und Verlierern der digitalen Wirtschaft wird an der steil steigenden Ungleichheit und der Erosion der Mittelschicht deutlich, die sich pandemiebedingt kurzfristig noch verschärfen dürften. Auch die politische Mitte ist geschrumpft, und die Unterstützung für links- und rechtsextremistische Parteien wächst. Der Glaube an die Demokratie und das Vertrauen in die Medien haben sowohl in Europa als auch in den USA abgenommen: Bloße 30% der US-Millennials glauben heute, dass es wichtig ist, in einer Demokratie zu leben. Es besteht die Gefahr, dass sich all diese Trends zugunsten illiberaler Populisten in naher Zukunft noch verstärken.

Die Pandemie hat zudem die globalen geopolitischen Rivalitäten verstärkt und unterstrichen, dass sich die Konfrontation zwischen den Großmächten zunehmend im digitalen Raum abspielt – und zwar in Bereichen, die im Eigentum globaler privater Unternehmen stehen. Facebook und Google etwa entwickeln sich zum umkämpften Terrain sowohl bei nationalen als auch bei internationalen Konflikten; die US-Präsidentschaftswahlen 2016 und 2020 sowie andere Wahlen weltweit haben dies gezeigt.

Zugleich tut sich die nationale Politik schwer, ihre technologische Souveränität geltend zu machen, um die Daten und die digitalen Giganten zu regulieren. Die Regierungen einiger großer europäischer Länder haben es aufgrund des Würgegriffs von Apple und Google, die faktisch darüber entschieden haben, wie die 3,2 Milliarden Smartphones weltweit zur Bekämpfung der Pandemie genutzt bzw. nicht genutzt werden können, nicht geschafft, eigene Protokolle zur COVID-19-Kontaktverfolgung umzusetzen.

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Die Politik muss diesen Entwicklungen dringend Rechnung tragen. In The New Digital Domain,unserem aktuellen Bericht für das Center for the Governance of Change der IE University, empfehlen wir drei Bündel zwingend erforderlicher politischer Maßnahmen.

Zunächst einmal brauchen wir neue Ordnungsmodelle für die digitale Wirtschaft. Dazu sollte ein neues Forum für diplomatische und globale Koordination gehören, um die Balkanisierung bei der Data Governance zu überwinden. Weder der staatszentrierte Ansatz Chinas noch der unternehmenszentrierte der USA ermöglicht den Menschen, selbst über ihre persönlichen Daten zu bestimmen. Die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union geht diesbezüglich weiter. Das Problem ist, dass die drei durch diese Ansätze definierten Zonen nicht miteinander „reden“ können. Infolgedessen kann kein Technologieunternehmen oder -gesetz wirklich global sein, da es unmöglich ist, die Regeln aller drei Zonen gleichzeitig einzuhalten.

Wir brauchen zudem ein internationales Gremium, um globale Standards und Regeln für die Plattformwirtschaft zu gestalten. Diese Einrichtung könnte zu bewährten Verfahren beraten, von neuen Technologien ausgehende Risiken (einschließlich ihrer Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft) überwachen und regulatorische und politische Interventionen entwickeln, um diesen Risiken zu begegnen. Der heutige digitale Bereich untergräbt unsere Fähigkeit, ein gemeinsames Verständnis der Faktenlage zu entwickeln. Zur Vermeidung einer epistemologischen Krise brauchen wir einen informationellen Raum, der ein öffentliches Gut ist, und keinen, der auf Gewinnmaximierung ausgelegt ist.

Zweitens brauchen wir neue wirtschaftliche Ordnungsmodelle.Die digitale Wirtschaft wird von proprietärer Technologie angetrieben und begünstigt von ihrer Art her First Mover und Agglomerationseffekte. Die Regierungen müssen Chancengleichheit für Innovatoren und Nachzügler schaffen und intelligente, agile Regeln entwickeln, um die Auswirkungen der technologischen Disruption auf traditionelle Branchen abzumildern. Die Politik sollte zudem neue Methoden entwickeln, um Arbeitnehmer in der Gig Economy zu schützen und ihnen – wenn auch mittels anderer Mechanismen – dieselben Formen sozioökonomischer Absicherung zu bieten, die normale Arbeitnehmer genießen.

Drittens brauchen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag, um die gesellschaftliche Fragmentierung und die Polarisierung der Politik zu beenden. Der Status quo einer nicht besteuerten und weitgehend unregulierten digitalen Wirtschaft ist nicht länger haltbar. Das Versäumnis, die Gewinne der großen Aktiengesellschaften zu besteuern, beschränkt die Fähigkeit der Regierungen, soziale öffentliche Güter und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Wir müssen ein neues globales Ordnungssystem entwickeln, um das Problem der Steuerarbitrage der multinationalen Konzerne, die ihre Gewinne weitgehend aus der immateriellen Wirtschaft schöpfen, zu bekämpfen.

Darüber hinaus könnte die Förderung und Regulierung inklusiver und innovativer Beschäftigungsverhältnisse dazu beitragen, weniger entwickelte Gebiete neu zu besiedeln und die politische Polarisierung fördernde regionale Unterschiede zu verringern. Bildung ist das wirksamste Instrument für gesellschaftliche Mobilität, doch ihre Kosten wachsen, während sich die Lehrpläne nur langsam den Bedürfnissen der digitalen Wirtschaft anpassen. Den Bürgern eine wirksame, zeitgemäße und bezahlbare Bildung zu ermöglichen ist unverzichtbar.

Die negativen Auswirkungen des digitalen Bereichs abzumildern erfordert holistische Ansätze zur Plattformregulierung und Data Governance. Die Politik hat die Ordnung der Technologie schon zu lange und bei zu vielen Themen denen überlassen, die sie konzipieren. Sie kann es sich nicht länger leisten, inaktiv zu bleiben.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/mdMfH9Ide