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Die Mär vom chinesischen Whistleblower

NEW HAVEN/HONGKONG – Die öffentliche Meinung in den USA schiebt die Schuld für die COVID-19-Pandemie ganz klar auf China. Schließlich nahm das Virus dort seinen Anfang. Und Präsident Donald Trump und Außenminister Mike Pompeo haben die Flammen weiter angeheizt, indem sie China beschuldigten, den Ausbruch vertuscht und die Verbreitung des neuartigen Coronavirus wissentlich zugelassen zu haben. Doch ihr angeblich schlagender Beweis – das tragische Schicksal des heldenhaften Whistleblowers Li Wenliang – ist gar keiner.

Li, ein Arzt, wurde angeblich wegen seiner Warnung vom 30. Dezember 2019 über ein neues Virus im Krankenhaus Wuhan von chinesischen Behördenvertretern zu Schweigen gebracht und abgestraft. Als sich abgezeichnet habe, dass er etwas Ernstem auf der Spur gewesen sei – derart ernst, dass es ihn letztlich tötete – habe die chinesische Regierung ihre Haltung dann geändert und Lis zum Helden erklärt. Wenn das doch nur früher geschehen wäre, so wird argumentiert, hätte die Welt diese schreckliche Pandemie vermieden.

So war das freilich nicht. Li war ein mutiger junger Mann. Seine Handlungen jedoch waren relativ wenig bemerkenswert. Tatsächlich wird seine Rolle unter Missachtung der Tatsachen verzerrend dargestellt.

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