NEW YORK – Es sieht so aus, als würde die Ökonomie ihrem Ruf als trostlose Wissenschaft 2023 wieder einmal voll gerecht werden. Wir sind zwei Katastrophen ausgeliefert, auf die wir schlicht keinen Einfluss haben. Die erste ist die Coronapandemie, die uns immer aufs Neue mit tödlicheren, ansteckenderen oder gegen Impfstoffe resistenten Varianten bedroht. Besonders schlecht ist der Umgang mit der Pandemie in China gelungen, weil sich das Land geweigert hat, seine Bürger mit besser wirksamen mRNA-Impfstoffen (aus dem Westen) zu impfen.
Die zweite Katastrophe ist Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Ein Ende dieses Konflikts ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil könnte er leicht weiter eskalieren oder noch schlimmere Ausstrahlungseffekte zeigen. In beiden Fällen wären weitere Störungen der Energie- und Nahrungsmittelmärkte so gut wie sicher. Und als wären diesen Probleme nicht ärgerlich genug, gibt es guten Grund zu der Annahme, dass die Antwort der Politik unsere üble Lage nur noch weiter verschlimmern wird.
Das gilt vor allem dann, wenn die US-amerikanische Federal Reserve die Zinsen zu stark und zu schnell erhöhen sollte. Die aktuelle Inflation wird im Wesentlichen von Versorgungsengpässen getrieben, die teilweise bereits behoben werden. Eine Erhöhung der Zinsen ist daher eher kontraproduktiv. Sie sorgt nicht für mehr Nahrungsmittel, Öl oder Gas, sondern macht es nur schwieriger, Investitionen zu tätigen, die diese Versorgungsengpässe beseitigen würden.
Außerdem könnte eine striktere Geldpolitik die Weltwirtschaft drosseln. Tatsächlich sagen die meisten Kommentatoren genau dies voraus und manche bejubeln die Rezession geradezu, weil sie sich selbst davon überzeugt haben, dass der Kampf gegen die Inflation eben Opfer erfordert. Ihnen kann sie gar nicht schnell und tief genug sein und es scheint ihnen nicht aufzufallen, dass das Heilmittel womöglich schlimmer ist als die Krankheit.
Schon jetzt zu Beginn des Winters sind die globalen Erschütterungen durch die Straffungspolitik der US-Notenbank spürbar. Die USA verfolgen eine moderne Form der Sankt-Florian-Politik. Ein starker Dollar dämpft zwar die Inflation in den Vereinigten Staaten, schwächt dabei aber gleichzeitig die Währungen andere Länder und heizt dort die Inflation weiter an. Um diese Währungseffekte zu abzuschwächen, sind auch Länder mit einer schwächeren Wirtschaft gezwungen, die Zinsen zu erhöhen, was ihre Wirtschaft weiter drosselt. Höhere Zinsen, Währungsverfall und eine globale Wirtschaftskrise haben bereits Dutzende Länder an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht.
Hohe Zinsen und Energiepreise werden aber auch viele Unternehmen in die Insolvenz stürzen Einige dramatische Beispiele haben wir schon gesehen, wie das inzwischen verstaatlichte deutsche Versorgungsunternehmen Uniper. Aber auch Unternehmen und Haushalte, die keinen Insolvenzschutz brauchen, werden durch verschärfte Finanzierungs- und Darlehenskonditionen belastet. Wenig überraschend sind viele Länder, Unternehmen und Haushalte nach 14 Jahren extrem niedriger Zinsen heute überschuldet.
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Die massiven Veränderungen bei Zinssätzen und Wechselkursen bergen viele versteckte Risiken – wie der Beinahe-Zusammenbruch einiger britischer Rentenfonds Ende September und Anfang Oktober deutlich gezeigt hat. Ein Missverhältnis zwischen Laufzeiten und Wechselkursen ist ein Kennzeichen nicht ausreichend regulierter Volkswirtschaften, das sich mit der Entwicklung intransparenter Derivate nur noch weiter verschärft hat.
Diese wirtschaftlichen Turbulenzen treffen natürlich am stärksten die ohnehin schon schwächsten Länder und bereiten den Boden für populistische Demagogen, die Wut und Verzweiflung der Menschen für ihre Zwecke nutzen. Die ganze Welt atmete erleichtert auf, als Luiz Inácio Lula da Silva bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien Jair Bolsonaro besiegte. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass Bolsenaro fast 50 Prozent der Stimmen erhalten hat und immer noch das brasilianische Parlament kontrolliert.
In allen Lebensbereichen, einschließlich der Wirtschaft, ist die größte Gefahr heute politischer Natur. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt aktuell unter einem autoritären Regime. Und selbst in den USA hat sich eine der beiden großen Parteien zu einem Personenkult entwickelt, der die Demokratie ablehnt und immer noch Lügen über das Ergebnis der Wahl von 2020 verbreitet. Dabei greift sie Presse, Wissenschaft und Hochschuleinrichtungen an und pumpt gleichzeitig so viel Falsch- und Desinformationen in die Kultur, wie sie nur kann.
Damit verfolgt sie allem Anschein nach das Ziel, den Fortschritt der letzten 250 Jahre zu großen Teilen zurückzudrehen. Vorbei ist der verbreitete Optimismus nach dem Ende des Kalten Krieges, als Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“, das heißt das Verschwinden jeder ernsthaften Konkurrenz zum liberal-demokratischen Modell, verkünden konnte.
Ohne Zweifel gibt es immer noch eine positiveAgenda, die den Abstieg in Nostalgie und Verzweiflung verhindern könnte. Leider haben politischer Polarisierung und Blockade diese Agenda in vielen Ländern inzwischen unmöglich gemacht. Mit besser funktionierenden politischen Systemen hätten wir Produktion und Versorgung viel schneller hochfahren und dadurch den Inflationsdruck, der unsere Volkswirtschaften nun belastet, zum Teil vermeiden können. Nachdem Europa und die USA von ihren Bauern ein halbes Jahrhundert lang verlangt haben, nicht so vielzu produzieren, wie sie eigentlich könnten, hätten sie sie jetzt bitten können, mehr zu produzieren. Die USA hätten die Kinderbetreuen verbessern können, damit mehr Frauen ins Erwerbsleben einsteigen und den angeblichen Arbeitnehmermangel ausgleichen – und Europa hätte bei der Reform seiner Energiemärkte einen Zahn zulegen und die Explosion der Elektrizitätspreise verhindern können.
Länder in aller Welt hätten Zufallsgewinne auf eine Weise besteuern können, die tatsächlich Investitionen fördert und Preise dämpft, und mit den Einnahmen benachteiligte Menschen schützen und in die Krisenfestigkeit der Wirtschaft investieren können. Als internationale Gemeinschaft hätten wir den Verzicht auf Patentrechte für Coronaimpfstoffe durchsetzen können. Dann wäre die Impfstoff-Apartheid und der Zorn, den sie auslöst, wesentlich schwächer ausgefallen, und wir hätten das Risiko durch gefährliche neue Mutationen gesenkt.
Alles in allem würde ein Optimist sagen, dass unser Glas ungefähr ein Achtel voll ist. Ein paar wenige Länder haben bei dieser Agenda Fortschritte gemacht, und dafür sollten wir dankbar sein. Aber fast 80 Jahre nach der Veröffentlichung von Friedrich von Hayeks Der Weg zur Knechtschaft leben wir immer noch mit dem Erbe der extremistischen Politik, die er und Milton Friedman zum vorherrschenden Modell gemacht haben. Diese Ideen haben uns auf einen gefährlichen Kurs gebracht: den Weg in einen Faschismus für das 21. Jahrhundert.
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NEW YORK – Es sieht so aus, als würde die Ökonomie ihrem Ruf als trostlose Wissenschaft 2023 wieder einmal voll gerecht werden. Wir sind zwei Katastrophen ausgeliefert, auf die wir schlicht keinen Einfluss haben. Die erste ist die Coronapandemie, die uns immer aufs Neue mit tödlicheren, ansteckenderen oder gegen Impfstoffe resistenten Varianten bedroht. Besonders schlecht ist der Umgang mit der Pandemie in China gelungen, weil sich das Land geweigert hat, seine Bürger mit besser wirksamen mRNA-Impfstoffen (aus dem Westen) zu impfen.
Die zweite Katastrophe ist Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Ein Ende dieses Konflikts ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil könnte er leicht weiter eskalieren oder noch schlimmere Ausstrahlungseffekte zeigen. In beiden Fällen wären weitere Störungen der Energie- und Nahrungsmittelmärkte so gut wie sicher. Und als wären diesen Probleme nicht ärgerlich genug, gibt es guten Grund zu der Annahme, dass die Antwort der Politik unsere üble Lage nur noch weiter verschlimmern wird.
Das gilt vor allem dann, wenn die US-amerikanische Federal Reserve die Zinsen zu stark und zu schnell erhöhen sollte. Die aktuelle Inflation wird im Wesentlichen von Versorgungsengpässen getrieben, die teilweise bereits behoben werden. Eine Erhöhung der Zinsen ist daher eher kontraproduktiv. Sie sorgt nicht für mehr Nahrungsmittel, Öl oder Gas, sondern macht es nur schwieriger, Investitionen zu tätigen, die diese Versorgungsengpässe beseitigen würden.
Außerdem könnte eine striktere Geldpolitik die Weltwirtschaft drosseln. Tatsächlich sagen die meisten Kommentatoren genau dies voraus und manche bejubeln die Rezession geradezu, weil sie sich selbst davon überzeugt haben, dass der Kampf gegen die Inflation eben Opfer erfordert. Ihnen kann sie gar nicht schnell und tief genug sein und es scheint ihnen nicht aufzufallen, dass das Heilmittel womöglich schlimmer ist als die Krankheit.
Schon jetzt zu Beginn des Winters sind die globalen Erschütterungen durch die Straffungspolitik der US-Notenbank spürbar. Die USA verfolgen eine moderne Form der Sankt-Florian-Politik. Ein starker Dollar dämpft zwar die Inflation in den Vereinigten Staaten, schwächt dabei aber gleichzeitig die Währungen andere Länder und heizt dort die Inflation weiter an. Um diese Währungseffekte zu abzuschwächen, sind auch Länder mit einer schwächeren Wirtschaft gezwungen, die Zinsen zu erhöhen, was ihre Wirtschaft weiter drosselt. Höhere Zinsen, Währungsverfall und eine globale Wirtschaftskrise haben bereits Dutzende Länder an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht.
Hohe Zinsen und Energiepreise werden aber auch viele Unternehmen in die Insolvenz stürzen Einige dramatische Beispiele haben wir schon gesehen, wie das inzwischen verstaatlichte deutsche Versorgungsunternehmen Uniper. Aber auch Unternehmen und Haushalte, die keinen Insolvenzschutz brauchen, werden durch verschärfte Finanzierungs- und Darlehenskonditionen belastet. Wenig überraschend sind viele Länder, Unternehmen und Haushalte nach 14 Jahren extrem niedriger Zinsen heute überschuldet.
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Diese wirtschaftlichen Turbulenzen treffen natürlich am stärksten die ohnehin schon schwächsten Länder und bereiten den Boden für populistische Demagogen, die Wut und Verzweiflung der Menschen für ihre Zwecke nutzen. Die ganze Welt atmete erleichtert auf, als Luiz Inácio Lula da Silva bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien Jair Bolsonaro besiegte. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass Bolsenaro fast 50 Prozent der Stimmen erhalten hat und immer noch das brasilianische Parlament kontrolliert.
In allen Lebensbereichen, einschließlich der Wirtschaft, ist die größte Gefahr heute politischer Natur. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt aktuell unter einem autoritären Regime. Und selbst in den USA hat sich eine der beiden großen Parteien zu einem Personenkult entwickelt, der die Demokratie ablehnt und immer noch Lügen über das Ergebnis der Wahl von 2020 verbreitet. Dabei greift sie Presse, Wissenschaft und Hochschuleinrichtungen an und pumpt gleichzeitig so viel Falsch- und Desinformationen in die Kultur, wie sie nur kann.
Damit verfolgt sie allem Anschein nach das Ziel, den Fortschritt der letzten 250 Jahre zu großen Teilen zurückzudrehen. Vorbei ist der verbreitete Optimismus nach dem Ende des Kalten Krieges, als Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“, das heißt das Verschwinden jeder ernsthaften Konkurrenz zum liberal-demokratischen Modell, verkünden konnte.
Ohne Zweifel gibt es immer noch eine positiveAgenda, die den Abstieg in Nostalgie und Verzweiflung verhindern könnte. Leider haben politischer Polarisierung und Blockade diese Agenda in vielen Ländern inzwischen unmöglich gemacht. Mit besser funktionierenden politischen Systemen hätten wir Produktion und Versorgung viel schneller hochfahren und dadurch den Inflationsdruck, der unsere Volkswirtschaften nun belastet, zum Teil vermeiden können. Nachdem Europa und die USA von ihren Bauern ein halbes Jahrhundert lang verlangt haben, nicht so vielzu produzieren, wie sie eigentlich könnten, hätten sie sie jetzt bitten können, mehr zu produzieren. Die USA hätten die Kinderbetreuen verbessern können, damit mehr Frauen ins Erwerbsleben einsteigen und den angeblichen Arbeitnehmermangel ausgleichen – und Europa hätte bei der Reform seiner Energiemärkte einen Zahn zulegen und die Explosion der Elektrizitätspreise verhindern können.
Länder in aller Welt hätten Zufallsgewinne auf eine Weise besteuern können, die tatsächlich Investitionen fördert und Preise dämpft, und mit den Einnahmen benachteiligte Menschen schützen und in die Krisenfestigkeit der Wirtschaft investieren können. Als internationale Gemeinschaft hätten wir den Verzicht auf Patentrechte für Coronaimpfstoffe durchsetzen können. Dann wäre die Impfstoff-Apartheid und der Zorn, den sie auslöst, wesentlich schwächer ausgefallen, und wir hätten das Risiko durch gefährliche neue Mutationen gesenkt.
Alles in allem würde ein Optimist sagen, dass unser Glas ungefähr ein Achtel voll ist. Ein paar wenige Länder haben bei dieser Agenda Fortschritte gemacht, und dafür sollten wir dankbar sein. Aber fast 80 Jahre nach der Veröffentlichung von Friedrich von Hayeks Der Weg zur Knechtschaft leben wir immer noch mit dem Erbe der extremistischen Politik, die er und Milton Friedman zum vorherrschenden Modell gemacht haben. Diese Ideen haben uns auf einen gefährlichen Kurs gebracht: den Weg in einen Faschismus für das 21. Jahrhundert.