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Wird die Fed es übertreiben?

CHICAGO – Die US-Notenbank ist fest entschlossen, die Inflation zu senken. Aber niemand weiß wirklich, wie hoch sie ihren Leitzins anheben muss – und wie lange sie ihn dort halten muss –, um ihr Ziel zu erreichen. Viele fragen sich daher, ob die Fed eine Rezession herbeiführen wird.

Die Inflation geht zurück, zum Teil weil die Engpässe in den Lieferketten beseitigt wurden, aber auch weil die Nachfrage zurückgeht. Höhere Zinssätze haben den Erwerb von Wohneigentum und damit den Wohnungsbau gebremst. Höhere Preise für Waren und Dienstleistungen haben die Budgets der Haushalte aufgezehrt und die Verbraucherausgaben gebremst. Und das schwache Wachstum Chinas hat die Rohstoffpreise weltweit gedämpft.

Die Fed ist jedoch mit der derzeitigen Situation nicht zufrieden. Sie befürchtet, dass die Löhne die Inflation immer noch einholen und dann in die Höhe treiben könnten, bis sich auf Amerikas überhitzten Arbeitsmarkt eine gewisse Flaute einstellt. Das Letzte, was die Fed will, ist, eine Pause einzulegen und dann zu sehen, wie die Inflation wieder ansteigt, wenn die Finanzmärkte feiern und die Preise für Finanzanlagen steigen, was die Nachfrage wieder anheizt. Dies würde die politischen Entscheidungsträger dazu zwingen, die Zinssätze höher und länger anzuheben. „Einmal und fertig“ wäre viel besser als „endlos wiederholen“, sowohl für die Wirtschaft als auch für den Ruf der Fed.

Außerdem ist die Fed nicht unbedingt der Ansicht, dass eine größere Flaute auf dem Arbeitsmarkt auch mehr Arbeitslosigkeit bedeutet. Im Idealfall würde das Verhältnis zwischen offenen Stellen und Arbeitslosen sinken, wobei die Zahl der offenen Stellen deutlich zurückgehen würde. Aber selbst wenn die Arbeitslosigkeit nur geringfügig anstiege, ließe sich die Fed nicht abschrecken. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass die Wirtschaft, sollte sie sich zu sehr verlangsamen, immer durch Zinssenkungen wieder zum Wachstum angeregt werden kann. Es herrscht daher Einigkeit darüber, dass die Fed im Zweifel eher zu viel tun wird, da sie dann immer noch in der Lage wäre, einen Abschwung durch Zinssenkungen abzumildern. In der Tat deuten die Marktpreise darauf hin, dass die Fed die Zinsen noch in diesem Jahr wieder senken wird.

Was könnte bei dieser übereinstimmenden Auffassung schiefgehen? Betrachten wir zwei alternative Szenarien. Erstens könnte die Fed die Wirtschaft in eine Rezession treiben, aber die Inflation könnte sich immer noch hartnäckig über ihrem 2 %-Ziel einpendeln. Eine solche Stagflation würde – ähnlich wie in den 1970er-Jahren, als sich die Inflationserwartungen auf einem höheren Niveau verfestigten – die Fed zu weiteren Zinserhöhungen zwingen, während die Wirtschaft gleichzeitig schrumpft. Hier würde der Eifer der Fed bei der Inflationsbekämpfung und ihre Fähigkeit, politischem Druck standzuhalten, auf eine harte Probe gestellt werden.

Eine zweite Möglichkeit ist, dass die Inflation zurückgeht, aber mit einem starken (und nicht mit einem sanften) Rückgang des Wachstums einhergeht. Betrachten wir den aktuellen Arbeitsmarkt. Kleine und mittlere Unternehmen haben nicht nur Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu finden, sondern sie halten bisher an ihren Mitarbeitern fest, selbst wenn große Unternehmen Entlassungen ankündigen, weil sie wissen, wie schwierig es geworden ist, neue Mitarbeiter einzustellen. Einige stellen sogar noch ein, weil sie die Aussicht haben, mehr höherqualifizierte Arbeitskräfte einzustellen, nachdem die großen Unternehmen ihre Türen geschlossen haben.

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Wenn sich jedoch auf dem Arbeitsmarkt eine Flaute bildet, werden diese kleineren Unternehmen möglicherweise zuversichtlicher, dass auch in Zukunft hochqualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen werden. In diesem Fall könnten auch sie einen Einstellungsstopp verhängen oder sich sogar von einigen Arbeitnehmern, die sie bei angespannten Arbeitsmärkten eingestellt haben, trennen. Anders ausgedrückt: Der Strom von Entlassungen, den wir bereits beobachten, könnte zu einer Flut werden.

Das würde sich auf andere Märkte auswirken. So haben sich beispielsweise die Verkäufe von Eigenheimen in den USA erheblich verlangsamt, aber die Hauspreise haben sich im Allgemeinen gehalten, wahrscheinlich weil nicht viel Angebot auf den Markt kommt. Da die Hypothekenzinsen im letzten Jahr so stark gestiegen sind, muss eine Hausbesitzerin mit einer 30-jährigen Hypothek zu 4 % viel mehr an monatlichen Zahlungen leisten, wenn sie in ein etwas besseres Haus mit einer neuen Hypothek zu 7 % umzieht. Weil sie sich den Kauf nicht leisten kann, verkauft sie nicht. Und da diese Dynamik das Angebot an Häusern auf dem Markt einschränkt, gibt es kaum Druck auf die Preise.

Wenn die Entlassungen jedoch zunehmen, werden immer mehr Hausbesitzer nicht einmal mehr in der Lage sein, ihre Hypothekenzahlungen von 4 % zu leisten, und sie werden zu Notverkäufen gezwungen sein. Das Angebot wird plötzlich zunehmen, die Immobilienpreise werden drastisch fallen, und die Kombination aus größerer Beschäftigungsunsicherheit und geringerem Immobilienvermögen könnte das Vertrauen der Verbraucher erschüttern und das Wachstum weiter verringern.

Betrachten wir nun einen weiteren möglichen Dominostein. Wir haben gerade eine dreijährige Periode hinter uns, in der die Unternehmensinsolvenzen zurückgingen, was nicht zuletzt auf die pandemiebedingte steuerliche Unterstützung zurückzuführen ist. Doch trotz der jüngsten Anzeichen für die Notlage von Unternehmen sollte man meinen, dass viel mehr angeschlagene Firmen aufgeben müssten. Warum tun sie es nicht?

Ein Grund dafür ist, dass viele Firmen in den ersten Monaten der Pandemie eine Refinanzierung vornahmen und die günstigen Kreditbedingungen nutzten, um die Fälligkeit ihrer Schulden zu verlängern. Aber die schwächsten Firmen hatten damals nur begrenzten Spielraum, und bald wird das Volumen der fällig werdenden Unternehmensschulden steigen. Wenn diese Schulden in einem Umfeld zunehmender wirtschaftlicher Eintrübung umgeschuldet werden müssen, kann man davon ausgehen, dass viele nicht in der Lage sein werden, sich zu refinanzieren, und dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen erheblich steigen wird. Der reguläre Finanzsektor mag klug genug gewesen sein, sich von Kryptowährungen fernzuhalten, aber er ist nicht immun gegen die Notlage von Haushalten und Unternehmen. Und wie wir aus der Geschichte wissen, können Verluste im Finanzsektor schnell zu katastrophalen Szenarien führen.

Bei diesen beiden Szenarien weiß die Fed zumindest, was sie im ersten Fall tun muss: die Zinsen anheben, um die hartnäckig hohe Inflation zu bekämpfen. Wenn die Entwicklungen jedoch nicht linear nach unten verlaufen, ist es schwer zu erkennen, welche Wegweiser die Fed verwenden kann, um zwischen der Skylla (zu wenig zu tun und „endlos wiederholen“ zu müssen) und der Charybdis (zu viel zu tun und zuzusehen, wie die Wirtschaft von einer Klippe stürzt) zu navigieren. Vielleicht wäre es für sie das Beste, sich vor Selbstgefälligkeit gegenüber der Fähigkeit der Wirtschaft, sich zu biegen, ohne zu brechen, zu hüten und auf die eingehenden Daten zu achten, während wir in eine Zeit der größten Gefahr eintreten.

Übersetzung: Andreas Hubig

https://prosyn.org/w1wKL9Sde