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Wie KI die Medizin neu gestalten könnte

BOSTON – Vor Kurzem stellte ich auf einer Auslandsreise fest, dass ich spät dran war, um meinen Flug zu erwischen. Da ich die Landessprache nicht wirklich beherrsche, nutzte ich eine Übersetzungs-App, mit der ich dem Taxifahrer meine Eile kommunizieren konnte. Die Kamerafunktion der App ermöglichte es mir durch Echtzeit-Updates außerdem, die Straßenschilder zu entschlüsseln.

Das ist nur ein Beispiel dafür, wie digitale Innovationen, insbesondere künstliche Intelligenz, unsere Welt neu gestalten. Aktuelle Studien haben ergeben, dass KI-Modelle mittlerweile in der Lage sind, erste Anzeichen gesundheitlicher Probleme wie Sepsis zu erkennen, wodurch sich diese Technologien anschicken, auch die Medizin zu revolutionieren.

Diese rasanten technologischen Fortschritte unterstreichen auch die dringende Notwendigkeit einer KI-Regulierung. Ein Musterbeispiel dafür ist das Gesetz über künstliche Intelligenz der Europäischen Union, das voraussichtlich in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 verabschiedet werden wird. Dieses bahnbrechende Gesetz klassifiziert KI-Systeme nach Risikostufen und verbietet ausdrücklich bestimmte Hochrisiko-Anwendungen wie Social Scoring (Einstufung von Menschen anhand ihres Sozialverhaltens oder persönlicher Merkmale) und Emotionserkennung, die eine Bedrohung für die persönliche Sicherheit, Bürgerrechte und demokratische Regierungsführung darstellen. Darüber hinaus wird die Bedeutung von Transparenz und Erklärbarkeit hervorgehoben, damit Nutzerinnen und Nutzer Zugang zu Informationen über KI-gestützte Entscheidungen haben.

Die ambitionierte EU-Gesetzgebung bietet einen geeigneten Ausgangspunkt für eine weltweite Debatte darüber, wie man KI nicht einsetzen sollte. Angesichts des enormen Potenzials dieser Technologien zur Umgestaltung des Gesundheitswesens ist es jedoch von genauso entscheidender Bedeutung zu ergründen, wie sie eingesetzt werden können, um die menschenzentrierten Aspekte der Medizin zu ergänzen.

Zunächst einmal verfügt KI über das Potenzial, Medizin einfühlsamer zu gestalten. In einer kürzlich in JAMA Internal Medicineveröffentlichen Studie wurden beispielsweise die Antworten von ChatGPT auf gesundheitsbezogene Fragen mit denen von menschlichen Ärztinnen und Ärzte verglichen. Interessanterweise bevorzugte ein Gruppe zugelassener medizinischer Fachkräfte in 79 Prozent der Fälle die Antworten von ChatGPT, da diese als einfühlsamer gegenüber Patientinnen und Patienten empfunden wurden. Frühere Studien haben gezeigt, dass ein höheres Maß an Empathie und Mitgefühl Patientenergebnisse verbessern und die Genesung beschleunigen kann.

In den letzten Jahren sind Gesundheitsdienstleister zunehmend durch Management- und Verwaltungsaufgaben belastet, wodurch sich ihre Möglichkeiten einschränken, im klinischen Alltag eine gute Beziehung zu Patientinnen und Patienten aufzubauen. Diese „Dokumentationslast” führt häufig zu Burnout und beeinträchtigt die Versorgungsqualität. Durch automatisierte Antworten auf Routinefragen, Terminplanung und Erledigung des bürokratischen Aufwands könnten KI-gestützte Plattformen die Verwaltungsabläufe straffen und dem medizinischen Personal mehr Zeit für Patientinnen und Patienten verschaffen.

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Die Einsatzmöglichkeiten von KI reichen jedoch weit über die Optimierung von Verwaltungsaufgaben hinaus. Eine wachsende Zahl klinischer Nachweise deutet darauf hin, dass Deep-Learning-Algorithmen - die auf Grundlage riesiger Datensätze aus medizinischen Bildern und Patientenakten trainiert werden - Röntgenbilder, MRTs und andere medizinische Aufnahmen mit bemerkenswerter Genauigkeit analysieren können und die diagnostischen Fertigkeiten von Ärzten häufig übertreffen. Durch die Früherkennung von Krankheiten wie Lungenentzündung und Krebs könnten diese Innovationen die Präzisionsdiagnostik revolutionieren und die weltweiten Bemühungen im Gesundheitsbereich unterstützen, insbesondere in abgelegenen Gebieten mit begrenztem Zugang zu spezialisierter Versorgung.

Politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt erkennen zunehmend die Bedeutung einer präventiven Gesundheitsversorgung, vor allem aufgrund ihrer wirtschaftlichen Vorteile. KI spielt bei diesem Wandel eine zentrale Rolle. Durch die Interpretation von Daten aus Wearables und Sensoren können erste Krankheitsanzeichen, insbesondere von Herzerkrankungen, erkannt werden. So ließe sich auch verhindern, dass aus kleineren Gesundheitsproblemen verhängnisvolle Krisen entstehen. Darüber hinaus kommen in Smartwatches und Fitnessarmbändern KI-gestützte Tracking-Systeme zum Einsatz, die eine mögliche Schlafapnoe erkennen und Nutzerinnen und Nutzer auffordern, einen Arzt aufzusuchen, bevor es zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen kommt.

Freilich ist die Integration von KI in die Gesundheitsversorgung mit erheblichen Herausforderungen verbunden und wirft zahlreiche ethische Fragen auf. Neben der Gewährleistung von Fairness, der Bekämpfung algorithmischer Verzerrungen sowie der Wahrung des Datenschutzes und der Datensicherheit ist es von entscheidender Bedeutung zu erkennen, dass KI die in der klinischen Praxis unerlässliche persönliche Betreuung nicht ersetzen kann. Medizinische Fachkräfte sollten an der Spitze dieses Übergangs stehen und neue Technologien nutzen, um ihre Kompetenzen zu erweitern. Auch wenn Chatbots Ärzte und Pflegepersonal in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht ersetzen werden, unterstützen KI-Werkzeuge Gesundheitsdienstleister bereits jetzt durch die Verbesserung der Diagnosegenauigkeit und die Erleichterung einer stärker personalisierten, datengesteuerten Pflege.

Da fortbestehende Gesundheitsprobleme, insbesondere chronische Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck, häufig auf unzureichende Investitionen in die öffentliche Gesundheit und einen mangelnden sozialen Zusammenhalt zurückzuführen sind, erfordert ihre Bewältigung mehr als nur technologische Lösungen. In derartigen Fällen bedarf es einer umfassenden Reform der nationalen Gesundheitspolitik.

Durch den verantwortungsvollen und ethisch vertretbaren Einsatz neuer digitaler Technologien können wir die Art und Weise der Diagnose, Behandlung und Prävention von Krankheiten verändern und eine Ära der datengesteuerten Medizin einläuten, in der medizinische Fachkräfte und KI-Systeme zusammenarbeiten, um eine bessere Versorgung für alle zu gewährleisten. Maschinen können helfen, aber die Gestaltung einer gesünderen Zukunft liegt allein in unseren Händen.

Übersetzung: Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/ZYgmMqwde