AMSTERDAM – Nachdem kanadische Wissenschaftler im Jahr 1921 das Insulin entdeckt hatten, verkauften sie das Patent für ihre Formel um nur 1 kanadischen Dollar. Der Wissenschaftler Frederick Banting sagte damals, man wolle die Substanz so umfassend wie möglich zur Verfügung stellen, weil sie „der ganzen Welt gehört.“ In den seit damals vergangenen einhundert Jahren wurde ein ganz Reihe verbesserter Insulin-Darreichungsformen entwickelt, die den Menschen mit Diabetes mehr Effizienz und andere Vorteile bieten. Dennoch ringen immer noch Millionen Menschen um Zugang zu irgendeiner Form dieses lebensrettenden Medikaments.
Schätzungsweise leben heute weltweit eine halbe Milliarde Erwachsene mit Diabetes und man rechnet, dass diese Zahl bis 2045 auf beinahe 800 Millionen ansteigen wird. Für Menschen mit Typ-1-Diabetes wird eine tödliche Krankheit durch Insulin zu einem beherrschbaren Leiden. Bei Menschen, die unter der häufiger vorkommenden Variante vom Typ 2 leiden, verhindert Insulin Nierenversagen, Erblindung und das Risiko von Wundinfektionen.
Traurigerweise bedeuten schlechte Verfügbarkeit und unerschwingliche Preise, dass die Hälfte aller Menschen weltweit, die Insulin zur Behandlung von Typ-2-Diabetes brauchen, keinen Zugang zu diesem Medikament haben. Am gravierendsten ausgeprägt ist dieser Mangel in Ländern niedriger und mittlerer Einkommen, wo die Zahl der Diabetes-Fälle in alarmierender Weise steigt.
Dem Unvermögen, allen Menschen gleichberechtigten Zugang zu Insulin zu verschaffen, liegt ein tragisches Versagen des weltweiten Gesundheitssystems zugrunde. Das ist Verrat an der ursprünglichen Vision der Wissenschaftler für ihre lebensrettende Behandlung und fügt Patientinnen und Patienten unnötigen Schaden zu. Und das trotz erheblicher Fortschritte in der Produktentwicklung und -herstellung in den letzten zwei Jahrzehnten.
Aufgrund der Tatsache, dass sich Insulin von einem Instrument zur Kontrolle des Typ-1-Diabetes zu einer wichtigen Methode zur Behandlung von Typ-2-Diabetes wandelte, haben die pharmazeutischen Unternehmen ihre Produktion des Medikaments ausgeweitet und auch innovative neue Produkte wie synthetische Insuline entwickelt. Diese Analoga haben die Möglichkeiten der Diabetesbehandlung verbessert, da sie eine längere Wirkungsdauer und die bessere Kontrolle des Blutzuckerspiegels zwischen den Mahlzeiten und über Nacht bieten. Sie können den Patienten das Leben erleichtern und die Gefahr einer gefährlichen Unterzuckerung vermindern. Analoga stellen für Ärzte und Patienten zunehmend das Mittel der Wahl dar.
Darüber hinaus haben Analoga den drei größten Herstellern– Eli Lilly, Novo Nordisk und Sanofi – die über 90 Prozent des weltweiten Insulinmarktes und zwei Drittel des Marktes in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen kontrollieren – einen milliardenschweren Geldsegen beschert. In ärmeren Ländern sind diese Produkte jedoch größtenteils nicht verfügbar, weswegen Millionen Patienten keine Wahl hinsichtlich der für ihre medizinischen Bedürfnisse richtigen Medikation haben. Und obwohl das Auslaufen der Patente auf bestimmte Analoga der Produktion billigerer Biosimilar-Produkte Tür und Tor öffnen sollte, sind trotz einiger bemerkenswerter Markteinführungen durch das indische Unternehmen Biocon und das in den USA ansässige Unternehmen Viatris nur wenige Hersteller in den Markt eingetreten.
At a time of escalating global turmoil, there is an urgent need for incisive, informed analysis of the issues and questions driving the news – just what PS has always provided.
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Kürzlich beschloss die Weltgesundheitsorganisation, lang wirksame Insulinanaloga und ihre generischen Pendants in die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel aufzunehmen - ein Verzeichnis grundlegender Produkte, die in jedem Gesundheitssystem für Patienten vorhanden sein sollten. Dieser Schritt könnte einen verbesserten Zugang zu diesen Medikamenten beschleunigen, aber nur, wenn die Industrie ihre Produktion erhöht und die Staaten bereit sind, die Kosten zu tragen.
Die Kosten stellen nach wie vor einen Hauptfaktor für die Verfügbarkeit von Insulin dar. Obwohl die drei großen Hersteller Initiativen zur Schließung dieser Lücke ins Leben gerufen haben, reicht das nicht, um das Problem zu lösen. Eine Studie über die Preisgestaltung für Insulin in 13 Ländern niedriger und mittlerer Einkommen ergab enorme Diskrepanzen und Ungereimtheiten bei den Kosten für Insulin. In einigen Ländern wird Insulin kostenlos über die jeweiligen öffentlichen Gesundheitssysteme zur Verfügung gestellt, doch für Patienten, die aus eigener Tasche zahlen, liegen die Kosten in öffentlichen Apotheken im Median bei 9,36 Dollar für herkömmliches Insulin und bei 29,39 Dollar für Analoga. In privaten Apotheken sind 9,65 Dollar für herkömmliches Insulin sowie 43,81 Dollar für Analoga zu bezahlen.
Diese Median-Kosten verschleiern möglicherweise jedoch die enorme Kluft zwischen den Ländern hinsichtlich der Erschwinglichkeit der Präparate. So zahlen Patienten im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh für das Analoginsulin Glargin in privaten Apotheken etwa 13 Dollar, während Patienten in Brasilien dafür zehnmal so viel berappen müssen.
Ein Teil des Problems besteht darin, dass die Regierungen ebenfalls sehr unterschiedliche Preise für die Beschaffung von Insulin zahlen. Dieselbe Studie ergab nämlich, dass Indonesien für ein Markeninsulin-Analogon 21,56 Dollar zu bezahlen hat, während man von China für das gleiche Produkt 106,52 Dollar verlangt.
Um den Zugang zu Insulin in ärmeren Ländern zu verbessern, muss sich die Zahl der Hersteller aller Arten von Insulin erhöhen. Komplexe und kostspielige Regulierungsverfahren sollten vereinfacht werden, um mehr Produzenten den Markteintritt zu ermöglichen. Auch staatliche Regelwerke gilt es zu reformieren, um die Kapazitäten der Regulierungsbehörden für die Bearbeitung von Zulassungen für Biologika zu erweitern. Analoga sind aufgrund bürokratischer Verzögerungen oftmals aus staatlichen Rückerstattungssystemen ausgeschlossen.
Die drei großen Insulinhersteller ihrerseits müssen mehr tun, um zu gewährleisten, dass ihre Produkte diejenigen erreichen, die sie brauchen, und zwar ungeachtet ihres Wohnortes. Die derzeitigen Programme der Hersteller, Insulin an die Ärmsten zu spenden, sind zwar großartig, aber die Unternehmen müssen auch daran arbeiten, die regionale Produktion von herkömmlichem Insulin und von Analoginsulinen zu unterstützen. Erweiterte Produktionskapazitäten werden Verfügbarkeit und niedrigere Kosten sicherstellen.
Da weitere Verbesserungen bei den Analoga in Vorbereitung sind, müssen diese Veränderungen jetzt in Angriff genommen werden. So wird beispielsweise ein neues von Novo Nordisk entwickeltes Produkt, nämlich Insulin Icodec, nicht täglich, sondern nur einmal pro Woche genommen. Dies könnte die Kosten für die Patienten erheblich senken und ihre Therapietreue verbessern.
Derartige Innovationen sollten allen zur Verfügung stehen, die sie benötigen, nicht nur den reichsten Patienten oder solchen, die in Ländern mit finanziell gut ausgestatteten Gesundheitssystemen leben. Solange die chronischen Probleme auf dem Insulinmarkt nicht gelöst sind, werden viele gefährdete Patienten weiterhin unnötig leiden müssen. Erst wenn jeder insulinabhängige Diabetes-Patient zuverlässigen Zugang zu einer erschwinglichen Versorgung mit der für ihn am besten geeigneten Behandlung hat, wird Insulin wirklich „der ganzen Welt gehören.“
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With German voters clearly demanding comprehensive change, the far right has been capitalizing on the public's discontent and benefiting from broader global political trends. If the country's democratic parties cannot deliver, they may soon find that they are no longer the mainstream.
explains why the outcome may decide whether the political “firewall” against the far right can hold.
The Russian and (now) American vision of "peace" in Ukraine would be no peace at all. The immediate task for Europe is not only to navigate Donald’s Trump unilateral pursuit of a settlement, but also to ensure that any deal does not increase the likelihood of an even wider war.
sees a Korea-style armistice with security guarantees as the only viable option in Ukraine.
Rather than engage in lengthy discussions to pry concessions from Russia, US President Donald Trump seems committed to giving the Kremlin whatever it wants to end the Ukraine war. But rewarding the aggressor and punishing the victim would amount to setting the stage for the next war.
warns that by punishing the victim, the US is setting up Europe for another war.
Within his first month back in the White House, Donald Trump has upended US foreign policy and launched an all-out assault on the country’s constitutional order. With US institutions bowing or buckling as the administration takes executive power to unprecedented extremes, the establishment of an authoritarian regime cannot be ruled out.
The rapid advance of AI might create the illusion that we have created a form of algorithmic intelligence capable of understanding us as deeply as we understand one another. But these systems will always lack the essential qualities of human intelligence.
explains why even cutting-edge innovations are not immune to the world’s inherent unpredictability.
AMSTERDAM – Nachdem kanadische Wissenschaftler im Jahr 1921 das Insulin entdeckt hatten, verkauften sie das Patent für ihre Formel um nur 1 kanadischen Dollar. Der Wissenschaftler Frederick Banting sagte damals, man wolle die Substanz so umfassend wie möglich zur Verfügung stellen, weil sie „der ganzen Welt gehört.“ In den seit damals vergangenen einhundert Jahren wurde ein ganz Reihe verbesserter Insulin-Darreichungsformen entwickelt, die den Menschen mit Diabetes mehr Effizienz und andere Vorteile bieten. Dennoch ringen immer noch Millionen Menschen um Zugang zu irgendeiner Form dieses lebensrettenden Medikaments.
Schätzungsweise leben heute weltweit eine halbe Milliarde Erwachsene mit Diabetes und man rechnet, dass diese Zahl bis 2045 auf beinahe 800 Millionen ansteigen wird. Für Menschen mit Typ-1-Diabetes wird eine tödliche Krankheit durch Insulin zu einem beherrschbaren Leiden. Bei Menschen, die unter der häufiger vorkommenden Variante vom Typ 2 leiden, verhindert Insulin Nierenversagen, Erblindung und das Risiko von Wundinfektionen.
Traurigerweise bedeuten schlechte Verfügbarkeit und unerschwingliche Preise, dass die Hälfte aller Menschen weltweit, die Insulin zur Behandlung von Typ-2-Diabetes brauchen, keinen Zugang zu diesem Medikament haben. Am gravierendsten ausgeprägt ist dieser Mangel in Ländern niedriger und mittlerer Einkommen, wo die Zahl der Diabetes-Fälle in alarmierender Weise steigt.
Dem Unvermögen, allen Menschen gleichberechtigten Zugang zu Insulin zu verschaffen, liegt ein tragisches Versagen des weltweiten Gesundheitssystems zugrunde. Das ist Verrat an der ursprünglichen Vision der Wissenschaftler für ihre lebensrettende Behandlung und fügt Patientinnen und Patienten unnötigen Schaden zu. Und das trotz erheblicher Fortschritte in der Produktentwicklung und -herstellung in den letzten zwei Jahrzehnten.
Aufgrund der Tatsache, dass sich Insulin von einem Instrument zur Kontrolle des Typ-1-Diabetes zu einer wichtigen Methode zur Behandlung von Typ-2-Diabetes wandelte, haben die pharmazeutischen Unternehmen ihre Produktion des Medikaments ausgeweitet und auch innovative neue Produkte wie synthetische Insuline entwickelt. Diese Analoga haben die Möglichkeiten der Diabetesbehandlung verbessert, da sie eine längere Wirkungsdauer und die bessere Kontrolle des Blutzuckerspiegels zwischen den Mahlzeiten und über Nacht bieten. Sie können den Patienten das Leben erleichtern und die Gefahr einer gefährlichen Unterzuckerung vermindern. Analoga stellen für Ärzte und Patienten zunehmend das Mittel der Wahl dar.
Darüber hinaus haben Analoga den drei größten Herstellern– Eli Lilly, Novo Nordisk und Sanofi – die über 90 Prozent des weltweiten Insulinmarktes und zwei Drittel des Marktes in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen kontrollieren – einen milliardenschweren Geldsegen beschert. In ärmeren Ländern sind diese Produkte jedoch größtenteils nicht verfügbar, weswegen Millionen Patienten keine Wahl hinsichtlich der für ihre medizinischen Bedürfnisse richtigen Medikation haben. Und obwohl das Auslaufen der Patente auf bestimmte Analoga der Produktion billigerer Biosimilar-Produkte Tür und Tor öffnen sollte, sind trotz einiger bemerkenswerter Markteinführungen durch das indische Unternehmen Biocon und das in den USA ansässige Unternehmen Viatris nur wenige Hersteller in den Markt eingetreten.
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Die Kosten stellen nach wie vor einen Hauptfaktor für die Verfügbarkeit von Insulin dar. Obwohl die drei großen Hersteller Initiativen zur Schließung dieser Lücke ins Leben gerufen haben, reicht das nicht, um das Problem zu lösen. Eine Studie über die Preisgestaltung für Insulin in 13 Ländern niedriger und mittlerer Einkommen ergab enorme Diskrepanzen und Ungereimtheiten bei den Kosten für Insulin. In einigen Ländern wird Insulin kostenlos über die jeweiligen öffentlichen Gesundheitssysteme zur Verfügung gestellt, doch für Patienten, die aus eigener Tasche zahlen, liegen die Kosten in öffentlichen Apotheken im Median bei 9,36 Dollar für herkömmliches Insulin und bei 29,39 Dollar für Analoga. In privaten Apotheken sind 9,65 Dollar für herkömmliches Insulin sowie 43,81 Dollar für Analoga zu bezahlen.
Diese Median-Kosten verschleiern möglicherweise jedoch die enorme Kluft zwischen den Ländern hinsichtlich der Erschwinglichkeit der Präparate. So zahlen Patienten im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh für das Analoginsulin Glargin in privaten Apotheken etwa 13 Dollar, während Patienten in Brasilien dafür zehnmal so viel berappen müssen.
Ein Teil des Problems besteht darin, dass die Regierungen ebenfalls sehr unterschiedliche Preise für die Beschaffung von Insulin zahlen. Dieselbe Studie ergab nämlich, dass Indonesien für ein Markeninsulin-Analogon 21,56 Dollar zu bezahlen hat, während man von China für das gleiche Produkt 106,52 Dollar verlangt.
Um den Zugang zu Insulin in ärmeren Ländern zu verbessern, muss sich die Zahl der Hersteller aller Arten von Insulin erhöhen. Komplexe und kostspielige Regulierungsverfahren sollten vereinfacht werden, um mehr Produzenten den Markteintritt zu ermöglichen. Auch staatliche Regelwerke gilt es zu reformieren, um die Kapazitäten der Regulierungsbehörden für die Bearbeitung von Zulassungen für Biologika zu erweitern. Analoga sind aufgrund bürokratischer Verzögerungen oftmals aus staatlichen Rückerstattungssystemen ausgeschlossen.
Die drei großen Insulinhersteller ihrerseits müssen mehr tun, um zu gewährleisten, dass ihre Produkte diejenigen erreichen, die sie brauchen, und zwar ungeachtet ihres Wohnortes. Die derzeitigen Programme der Hersteller, Insulin an die Ärmsten zu spenden, sind zwar großartig, aber die Unternehmen müssen auch daran arbeiten, die regionale Produktion von herkömmlichem Insulin und von Analoginsulinen zu unterstützen. Erweiterte Produktionskapazitäten werden Verfügbarkeit und niedrigere Kosten sicherstellen.
Da weitere Verbesserungen bei den Analoga in Vorbereitung sind, müssen diese Veränderungen jetzt in Angriff genommen werden. So wird beispielsweise ein neues von Novo Nordisk entwickeltes Produkt, nämlich Insulin Icodec, nicht täglich, sondern nur einmal pro Woche genommen. Dies könnte die Kosten für die Patienten erheblich senken und ihre Therapietreue verbessern.
Derartige Innovationen sollten allen zur Verfügung stehen, die sie benötigen, nicht nur den reichsten Patienten oder solchen, die in Ländern mit finanziell gut ausgestatteten Gesundheitssystemen leben. Solange die chronischen Probleme auf dem Insulinmarkt nicht gelöst sind, werden viele gefährdete Patienten weiterhin unnötig leiden müssen. Erst wenn jeder insulinabhängige Diabetes-Patient zuverlässigen Zugang zu einer erschwinglichen Versorgung mit der für ihn am besten geeigneten Behandlung hat, wird Insulin wirklich „der ganzen Welt gehören.“
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier