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Wie kann der Wachstumsmotor der Welt besser werden?

NEW YORK ‑ Die Weltwirtschaft hat sich im Jahr 2023 als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen, wobei die USA entgegen den Erwartungen eine Rezession vermeiden konnten. Auch Indien, Vietnam und Japan erzielten unter den gegebenen Umständen eine beeindruckende Wirtschaftsleistung. Doch während diese Länder guten Grund haben, optimistisch in das Jahr 2024 zu blicken, wird China in diesem Jahr höchstwahrscheinlich den größten Beitrag zum globalen BIP-Wachstum leisten.

Angesichts der immer düsterer werdenden Prognosen für die chinesische Wirtschaft mag dies für viele eine Überraschung sein. Tatsächlich wird China 2024 sein volles Potenzial noch nicht erreichen. Durch sinnvolle Reformen und eine weitere wirtschaftliche Öffnung ‑ die beiden Säulen des bemerkenswert erfolgreichen Wachstumsmodells der letzten vier Jahrzehnte ‑ kann China jedoch seinen verlorenen Schwung zurückgewinnen.

Der relative Beitrag eines Landes zum globalen BIP-Wachstum hängt sowohl von seinem Anteil an der Weltwirtschaft als auch von seinem relativen Wirtschaftswachstum ab. In Kaufkraftparität (KKP) ausgedrückt, lag Chinas Anteil an der Weltwirtschaft im Jahr 2023 bei 18,8 %, verglichen mit 15,4 % in Amerika. Da der Internationale Währungsfonds für das Jahr 2024 ein Wachstum der chinesischen Wirtschaft von 4,6 % prognostiziert ‑ mehr als doppelt so viel wie für die USA ‑ wird China trotz der anhaltenden Verlangsamung wahrscheinlich einen wesentlich größeren Anteil am globalen BIP-Wachstum haben als die USA.

Auch Japan scheint nach einem Vierteljahrhundert der Stagnation einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erleben. Nachdem das Land endlich der Deflationsfalle entkommen ist, in der seine Wirtschaft mehr als drei Jahrzehnte lang gefangen war, wird für 2024 ein Wachstum von 1 % prognostiziert. Dennoch wird sein Beitrag zum globalen Wachstum aufgrund seines geringeren Anteils an der Weltwirtschaft und seines langsameren Wachstums geringer ausfallen als der Chinas oder der USA.

Die Aussichten für Großbritannien und die Europäische Union sind jedoch düster. Ohne eine unerwartete und unwahrscheinliche Lösung des Krieges in der Ukraine, wird die europäische Wirtschaft das globale Wachstum bestenfalls nicht bremsen.

Indien, für das in diesem Jahr ein Wachstum von 6,3 % prognostiziert wird, dürfte die einzige große Volkswirtschaft sein, die schneller wächst als China. Die geopolitischen Entwicklungen haben Indien in die Lage versetzt, billiges russisches Öl zu kaufen, Maßnahmen zu ergreifen, die China nicht durchführen kann, und sich auf der Weltbühne zu behaupten. Diese günstigen Entwicklungen haben zusammen mit den internen Reformen der Regierung von Premierminister Narendra Modi auch zu einem Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen geführt. Da Indiens Anteil an der Weltwirtschaft jedoch weniger als halb so groß ist wie der Chinas, wird auch sein Beitrag zum globalen Wachstum geringer ausfallen als der von China.

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Auch für Entwicklungsländer wie Vietnam, Tansania, Guyana, Gambia, Äthiopien, Dschibuti, Elfenbeinküste und Burkina Faso wird für das Jahr 2024 ein rasantes Wachstum prognostiziert. Sie alle haben jedoch nur einen sehr geringen Anteil an der Weltwirtschaft.

Auch wenn China weiterhin den größten Beitrag zum globalen BIP-Wachstum leisten dürfte, könnte das Land 2024 hinter seinem Wachstumspotenzial zurückbleiben, das ich auf etwa 5,1 % schätze. Darüber hinaus werden die positiven Spillover-Effekte des chinesischen Wachstums auf andere Volkswirtschaften begrenzt sein, wenn das Importwachstum des Landes nicht wieder auf das Niveau vor der Pandemie zurückkehrt.

Die größte mittelfristige wirtschaftliche Herausforderung für China ist der Rückgang der Erwerbsbevölkerung. Selbst wenn das Produktivitätswachstum konstant bleibt, wird dieser demografische Wandel das BIP-Wachstum unter Druck setzen. Angesichts des aktuellen Einbruchs im chinesischen Immobiliensektor, der hinter den Erwartungen zurückbleibenden Ausgaben der privaten Haushalte und der Investitionen des privaten Sektors scheinen die Chancen für einen weiteren immobilienbasierten Wirtschaftsboom gering.

Die größte Gefahr für die chinesische Wirtschaft besteht jedoch darin, in eine Schuldendeflationsfalle zu geraten. Da eine Deflation den realen Wert bestehender Schulden erhöht, könnten die Banken zunehmend zögern, Kredite an Unternehmen und Regionalregierungen zu vergeben. Da verschuldete Haushalte und Unternehmen ihre Ausgaben kürzen, könnte die toxische Kombination aus Verschuldung und Deflation einen Teufelskreis aus sinkenden Investitionen und geringerer Nachfrage in Gang setzen.

Das Zögern der chinesischen Währungshüter, eine expansivere Geldpolitik zu verfolgen, ist dabei nicht gerade hilfreich. Um die Kreditvergabe anzukurbeln, haben die People’s Bank of China (PBOC) und die chinesische Bankenaufsicht wichtige Leistungsindikatoren für die Kreditvergabe festgelegt. Staatliche Geschäftsbanken erfüllen diese Ziele jedoch häufig, indem sie Kredite eher an unproduktive Staatsunternehmen vergeben, die nicht so dringend auf Finanzmittel angewiesen sind wie viele nichtstaatliche Unternehmen.

Staatliche Unternehmen erhalten in der Regel Kredite zu Zinssätzen, die niedriger sind als die Zinssätze für Vermögensverwaltungsprodukte von Banken. Anstatt diese Mittel in produktive Projekte zu investieren, legen sie sie häufig zu einem höheren Zinssatz wieder an, so dass die Banken den gleichen staatlichen Unternehmen erneut Kredite gewähren können. Während diese Praxis die von den Banken gemeldeten Kredit- und Einlagenzahlen in die Höhe treibt und den Anschein einer effizienten Geldpolitik erweckt, trägt sie kaum zu einer Steigerung von Produktion, Beschäftigung und Steuereinnahmen bei.

Um eine deflationäre Schuldenspirale zu vermeiden, müssen die chinesischen Politiker dringend mehr Liquidität in die Wirtschaft pumpen. Damit der Kreditkanal jedoch effektiv funktioniert, muss China seine Staatsbanken reformieren, um sicherzustellen, dass sich die Finanzinstitute auf die Rentabilität konzentrieren und Kredite an die produktivsten Unternehmen vergeben, anstatt künstliche Geldströme zu erzeugen. Leider ist es unwahrscheinlich, dass China diese wichtigen Reformen in naher Zukunft durchführen wird.

Kurzfristig gibt es ein alternatives Maßnahmenpaket. Die chinesischen Politiker könnten eine aggressive Fiskalpolitik an eine Monetarisierung der Staatsschulden koppeln. Dies würde einen dreistufigen Plan erfordern. Erstens sollte sich die Fiskalpolitik auf den Bau von Wohnungen für einkommensschwache Bevölkerungsschichten, die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur und die Begleichung ausstehender Schulden lokaler und nationaler Behörden gegenüber privaten Unternehmen konzentrieren. Zweitens könnten diese Ausgaben durch die Emission neuer langfristiger Staatsanleihen finanziert werden. Schließlich sollte die PBOC diese Anleihen kaufen und bis zur Fälligkeit halten, zumindest aber so lange, bis die Wirtschaft wieder ihre potenzielle Wachstumsrate erreicht hat.

Eine expansivere Geldpolitik auf kurze Sicht und strukturelle politische Reformen auf mittlere Sicht könnten die chinesische Wirtschaft näher an ihr volles Wachstumspotenzial heranführen und damit auch das globale Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Übersetzung: Andreas Hubig

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